Die Regisseurin Jessica Glause und der Choreograf und Tänzer Stephan Herwig werden für ihre bisherigen künstlerischen Leistungen und ungewöhnliche künstlerische Positionen mit den Förderpreisen Theater und Tanz der Landeshauptstadt München 2018 ausgezeichnet.
Die Preise werden im Rahmen von RODEO, dem Münchner Tanz- und Theaterfestival, am Sonntag, 14. Oktober, 19 Uhr, im Theater HochX, Entenbachstraße 37, von Kulturreferent Dr. Hans-Georg Küppers überreicht. Die Laudationes halten die Tanzpädagogin und Choreografin Karen Piewig sowie die Dramaturgin Julia Reichert. Musikalisch begleitet wird die Verleihung durch Joe Masi, Manu Rzytki und Tom Wu. Die mit jeweils 6.000 Euro dotierten Förderpreise werden biennal in allen Stilrichtungen des Theaters und der Performance-Kunst sowie des Tanzes vergeben. Die Veranstaltung ist öffentlich. Der Eintritt ist frei. Weitere Informationen unter www.rodeomuenchen.de.
Jurybegründung Theaterpreis für Jessica Glause:
„Beim Münchner Rodeo-Festival 2016 konnte man Jessica Glause einmal ganz anders erleben: Mit drei europäischen Kolleginnen hatte sie zum Thema Männergewalt recherchiert und mit ‚Get to know Kassandra‘ ein außerordentlich gewitztes Zwischenergebnis präsentiert, in dem die Kulturwissenschaftlerin und Regisseurin selbst als aufgetakelte Blondine über die Bühne stakste und erotische Wetterfeetänze aufführte. Eine Ausnahme, gewiss! Und doch ist es unter anderem ihre Vielseitigkeit, die Jessica Glause auszeichnet. Ohne dass das, was sie tut, je beliebig würde. Seit sie 2006 beim zweiten Bunny Hill-Projekt der Kammerspiele eine Gruppe Rentner zu performativen Stadtführern umschulte, ist die in Niedersachsen geborene Wahlmünchnerin, die in Hildesheim und Marseille studiert hat, in dieser Stadt präsent. Als freischaffende Regisseurin inszeniert sie im öffentlichen Raum wie auf der Theaterbühne, im Stadt- und Staatstheater wie in der freien Szene, zeitgenössische Dramatik wie dokumentarische Stückentwicklungen zu aktuellen gesellschaftspolitischen Themen.
Beim Münchner Regiefestival Radikal jung war Glause 2014 mit dem am Teatru Spalatorie Chisinau entstandenen ‚Dear Moldova, can we kiss just a little bit?‘ eingeladen, einem Abend über die Schwierigkeit, in Moldawien offen homosexuell zu leben, bei dem Betroffene auf der Bühne standen. Was sie zu erzählen hatten, war aufwühlend; wie sie es taten, ästhetisch herausragend. Und beides zusammen stellte eindrucksvoll unter Beweis, dass Glause Wissenshunger, Einfühlungsvermögen, Formwillen und Handwerk gleichermaßen besitzt. Was weitaus seltener ist als es klingt und ihr auch bei der Arbeit mit Schauspielprofis etwa am Münchner Volkstheater zugute kommt, wo sie u.a. ein Sachbuch inszenierte und Sibylle Bergs düstere Sinnverlust-Suada ‚Und jetzt: Die Welt‘ zu einem quirligen Drei-Frauen- Stück mit Suchtfaktor und Tiefgang machte, das die Presse feierte und das bei Radikal jung 2015 den Publikumspreis bekam.
Dass Glause die Dramen der Realität in packende theatrale Erzählungen verwandeln kann, weiß man mittlerweile auch über die Grenzen Bayerns und Deutschlands hinaus. So hat sie u.a. am Deutschen Theater Berlin und am Volkstheater Wien inszeniert, mit Dresdner Punks deren Geschichte erkundet oder in Bremerhaven ein mobiles Klassenzimmerstück über die Geschwister Scholl eingerichtet, das die Zuschauer das Thema Zivilcourage selbst nacherleben lässt. In München hat sie zuletzt an der Bayerischen Staatsoper mit Jugendlichen mit und ohne Fluchterfahrung die Abende ‚NOAH‘ und ‚MOSES‘ entwickelt. Anfang Mai hatte ihre Inszenierung ‚Miunikh – Damaskus‘ mit dem Open Border Ensemble der Kammerspiele Premiere, das damit erstmals der Öffentlichkeit vorgestellt wurde. Menschen und Künstler wie sie, die immer wieder neue Brücken schlagen zwischen Kunst und realem Leben, braucht man heute ganz besonders.“
Jurybegründung Tanzpreis für Stephan Herwig
„Vor über zehn Jahren zeigte der Münchner Choreograf und Tänzer Stephan Herwig mit ‚the sanctuary project‘ seine erste abendfüllende Produktion in der Tanztendenz München. Seitdem hat er seinen sehr eigenen, minimalistischen Stil in bisher zwölf langen Choreografien und zahlreichen kurzen Arbeiten konsequent fortgeführt und pointiert. Themen wie in ‚Throwing myself in front of you‘ oder zuletzt in ‚Schweifen‘, die sich im weitesten Sinne mit dem Aufeinandertreffen von Menschen auseinandersetzen, widmete er sich dabei genauso wie Politischem. Eher abstrakt im Stück ‚Monument‘ oder ganz konkret in ‚Editorial Bareback‘ von 2013, in dem Herwig im Untertitel fragt: ‚Are you man enough to be gay‘ und dann mit fünf schwulen Männern auf der Bühne dem zeitgenössischen Tanz eine kantige politische Aussage gibt. Neben seiner eigenen choreografischen Arbeit gibt Stephan Herwig Unterricht an verschiedenen Münchner Schulen und war bis 2007 Ausbildungslehrer an der Iwanson Schule. Egal ob er mit Laien arbeitet, wie bei der vergangenen Tanzwerkstatt Europa im Sommer 2017, oder mit angehenden Profis, Herwigs Unterricht ist von einer ähnlichen Präzision wie seine Choreografien geprägt. Zeitgenössischer Tanz, so reduziert, lapidar und verwischt er bei Herwig bisweilen wirken mag, ist für ihn immer eine genau gesetzte Kunst, die sich in musikalische Zählzeiten einfügt; strukturiert und durchdacht.
Als Tänzer ist Herwig tief verwurzelt in der Münchner Szene und arbeite viele Jahre eng mit Micha Purucker zusammen, aber auch mit Cindy van Acker, Romeo Castellucci, Tino Sehgal oder Mårten Spångberg. Zuletzt konzentrierte sich seine künstlerische Arbeit jedoch mehr und mehr auf seine eigenen Choreografien.
Herwig präsentiert dabei immer stärker seine sehr genau gesetzten Be- wegungsqualitäten, mit denen er musikalisch und in meist reduziertem Setting Inhalte erzählt, die vom Zwischenmenschlichen bis ins Politische reichen. Seine Arbeiten sind immer zurückhaltend, aber in ihrer Reduktion gleichsam auch zwingend. Stephan Herwig ist keiner, dessen Kunst laut schreit oder voller Pop-Appeal um Zugänglichkeit buhlt. Genau diese Ruhe aber, mit der er seit 2006 durchgehend Stücke produziert und seine eigene Ästhetik weiterentwickelt, setzt ein wohltuendes und nötiges Zeichen, in einer Welt, in der derzeit an allen Ecken eher zu laut geschrien wird.“