Perfluorierte Substanzen im Münchener Trinkwasser – sind die Daten bekannt?
Anfrage Stadtrats-Mitglieder Lydia Dietrich, Anna Hanusch, Dominik Krause, Sabine Krieger, Sabine Nallinger und Thomas Niederbühl (Fraktion Die Grünen/Rosa Liste) vom 14.12.2017
Antwort Stephanie Jacobs, Referentin für Gesundheit und Umwelt:
Ihrer Anfrage liegt folgender Sachverhalt zu Grunde:
„Das Bayerische Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit veröffentlichte im Jahr 2016 den Sachstandbericht ‚ADONA und perfluorierte Substanzen‘. Im Rahmen dieser Studie wurden in den drei bayeri- schen Kommunen Emmerting, Passau und München Plasmaproben des Blutspendedienstes des Bayerischen Roten Kreuzes auf insgesamt 8 Substanzen untersucht.
Bei den getesteten Substanzen handelt es sich um perfluorierte Tenside (PFT). Unter diesem Begriff werden organische Verbindungen zusammengefasst, bei denen alle Wasserstoffatome am Kohlenstoffgerüst durch Fluoratome ersetzt wurden. Die beiden wichtigsten PFT-Vertreter sind Perfluoroktansäure (PFOA) und die Perfluoroktansulfonsäure (PFOS). Aufgrund ihrer thermischen und chemischen Stabilität, ihrer Beständigkeit gegenüber UV-Strahlung und Verwitterung sowie der schmutz-, farb-, fett-, öl- und wasserabweisenden Eigenschaften fanden diese Verbindungen in einer Vielzahl von Industrie- und Konsumprodukten Verwendung – beispielsweise bei Textilien, Funktionskleidung, Pfannen, Papier und Verpackungen, Teppichen, Farben, Reinigungsmitteln und Kosmetikartikeln. Außerdem wird PFOA großtechnisch als Prozessierungshilfe bei der Herstellung von Fluorpolymeren (z.B. Teflon) eingesetzt.
Für Menschen und Tiere sind perfluorierte Tenside giftig. Sie gelten als krebserregend und in hohen Konzentrationen auch als fortpflanzungsschädigend. Sie lagern sich im Blut und im Organgewebe, insbesondere in der Leber, ab und werden nur langsam ausgeschieden (Halbwertszeit beim Menschen 4,5 Jahre). Da perfluorierte Tenside nicht abbaubar sind, reichern sie sich zudem in der Nahrungskette an. Aufgrund ihrer Persistenz und Akkumulation in Organismen und in der Umwelt wurden manche PFT bereits verboten.
Das Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit stellte bei den Untersuchungen der Plasmaproben aus München fest, dass über 11% der Proben den so genannten HBM-I- Wert (PFOS und PFOA bezogen auf Körpergewicht und täglicher Trinkwasseraufnahme) überschreiten. Dieser Leitwert wird von der Kommission Human-Biomonitoring des Umweltbundesamtes festgelegt.
In Emmerting überschritten ihn alle Proben; in Passau über 50%. Die interne Belastung durch PFT ist nach Ansicht des Landesamtes in den meisten Kommunen hauptsächlich auf das Trinkwasser zurückzuführen. Auch wenn die Überschreitungen in München im Gegensatz zu den anderen Kommunen verhältnismäßig gering erscheinen, sind sie aufgrund der gefährlichen Eigenschaften der perfluorierten Tenside keinesfalls zu verharmlosen.“
Herr Oberbürgermeister Reiter hat mir Ihre Anfrage zur Beantwortung zugeleitet. Die darin aufgeworfenen Fragen beantworte ich wie folgt:
Frage 1:
Ist der Landeshauptstadt München das Untersuchungsergebnis aus dem Jahr 2016 des Landesamtes bekannt?
Antwort:
Ja, die Ergebnisse des Sachstandsberichtes „ADONA und perfluorierte Substanzen“ sind der Landeshauptstadt München bekannt.
Frage 2:
Wie werden die Ergebnisse der Blutproben hinsichtlich der 11%-igen Überschreitung des sogenannten HBM-I-Wertes (PFOS und PFOA bezogen auf Körpergewicht und täglicher Trinkwasseraufnahme) eingeschätzt?
Antwort:
In München kommt das Trinkwasser nicht als Eintragsquelle für per- und polyfluorierte Chemikalien (PFC) in Betracht. Die Untersuchung der Plasmaproben von Blutspendern aus München diente in der Studie des Landesamtes für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit lediglich zu Vergleichszwecken, da in München eben keine Aufnahme von PFOA über das Trinkwasser anzunehmen war.
Die Überschreitung des HBM-I-Wertes für PFOA in 11% der untersuchten Plasmaproben aus München ist als Resultat anderer möglicher Expositionen und damit als eine im Vergleich zu anderen Orten übliche Hintergrundbelastung ohne erkennbaren spezifischen Eintragspfad zu werten.
Wie in der Stadtratsanfrage korrekt angeführt, kennzeichnet der HBM-I-Wert die Konzentration eines Stoffes in einem Körpermedium, bei deren Unterschreitung nicht mit einer gesundheitlichen Beeinträchtigung zu rechnen ist.
Da die Untersuchungsergebnisse in München den Ergebnissen anderer Studien entsprechen und die ermittelten Überschreitungen mit max. 3,7 µg/l PFOA im Bereich der üblichen Hintergrundbelastung von 10 µg/l liegen, gibt es keinen Anlass, diese Ergebnisse als besorgniserregend einzuschätzen.
In diesem Zusammenhang darf ich darauf hinweisen, dass gemäß der ADONA-Studie nicht der HBM-I-Wert für PFOA (und PFOS) um 11%
überschritten wurde, sondern nur für PFOA in 11% der untersuchten 158 Plasmaproben aus München eine Überschreitung des HBM-I-Wertes festgestellt wurde. Der maximal gemessene Wert lag, wie bereits ausgeführt, dabei bei 3,7 µg/l.
Für die Belastungen der Münchner Bürgerinnen und Bürger ist das Trinkwasser als Eintragsquelle nicht anzunehmen, da im Münchner Trinkwasser keine PFC vorhanden sind. Dem entsprechend gibt es keinen Anlass, Maßnahmen in Zusammenhang mit der Münchner Trinkwasserversorgung zu ergreifen.
Frage 3:
Wie wird auf die Empfehlung des Landesamtes reagiert, die weitere Maß- nahmen zur Verbesserung des Trinkwassers unter dem Aspekt der gesundheitlichen Vorsorge empfiehlt?
Antwort:
Die Stadtwerke München GmbH untersuchen nachweislich das Münchner Trinkwasser seit 2012 jährlich, über die Vorgaben der Trinkwasserverordnung hinaus, auf fast 1.000 Spurenstoffe, darunter auch auf PFC. Die Probenahmestellen an den drei Hochbehältern sind hierbei als repräsentativ für das an die Münchner Bürgerinnen und Bürger abgegebene Trinkwasser zu werten. Im Münchner Trinkwasser waren in den Untersuchungen aus den letzten sechs Jahren erfreulicherweise keine PFC nachzuweisen, obwohl die Bestimmungsgrenze mit 0,001 µg/l sehr niedrig liegt.
Die freiwilligen Trinkwasseruntersuchungen auf PFC werden dennoch weitergeführt und ab 2018 auch auf den Parameter Perfluoro-4,8-dioxa-3H-nonansäure (ADONA) erweitert, auch wenn dieser nicht im Blut der Münchner Bevölkerung nachgewiesen werden konnte.
Frage 4:
Kann die Belastung im Blut der Münchenerinnen und Münchener auch auf andere Quellen zurückgeführt werden?
Antwort:
Angesichts der vorliegenden Erkenntnisse zur Herkunft und zum Verhalten von PFC in der Umwelt und der Ergebnisse aus dem Trinkwassermonitoring der Stadtwerke München GmbH ist eine relevante PFC-Aufnahme durch das Münchner Trinkwasser auszuschließen. Demnach müssen andere Quellen einen Beitrag zur PFC-Aufnahme liefern.
PFC kommen nicht natürlich vor, sondern haben einen anthropogenen Ursprung. Aufgrund ihrer besonderen chemischen Eigenschaften, sie verleihen u. a. Kleidungsstücken atmungsaktive, Wasser, Schmutz und Fett abweisende Eigenschaften, werden PFC in vielen Verbraucherprodukten eingesetzt.
In Regionen, in denen PFC für die Herstellung von Produkten verwendet wird, können PFC durch Eintrag in den Untergrund nach der Bodenpassage auch in das Grundwasser und damit letztendlich auch in das Trinkwasser gelangen.
Da sich in den Einzugsgebieten der Münchner Trinkwassergewinnung nach Kenntnis der SWM GmbH keine PFC produzierenden oder herstellenden Industriebetriebe befinden, ergibt sich diesbezüglich kein die Trinkwassergewinnung der Landeshauptstadt München betreffender Handlungsbedarf.
Menschen nehmen PFC, neben der Aufnahme über kontaminiertes Trinkwasser, hauptsächlich über die Nahrung auf. PFC wurden zum Beispiel bereits in Kartoffeln, Popcorn, Fleisch, Milchprodukten, Eiern, Fisch nachgewiesen. Auch erhöhte Konzentrationen in Innenräumen – zum Beispiel durch mit PFC behandelte Teppiche oder Möbelstücke – tragen zur PFC-Belastung im Blut bei.
Neben der Aufnahme über Nahrungsmittel kommen als Eintragsquellen für PFC sowohl direkte Quellen bei der Produktion und dem industriellen Einsatz entsprechender perfluorierter Chemikalien als auch indirekte Quellen bspw. bei der Anwendung von PFC-haltigen Verbraucherprodukten wie z. B. Imprägniersprays oder eine Aufnahme von flüchtigen perfluorierte Chemikalien aus Heimtextilien und Teppichen in Betracht.Für die bedeutendsten Vertreter der PFC, PFOA und PFOS, sind aufgrund verschiedener Untersuchungen Referenzwerte abgeleitet, die die sogenannte Hintergrundbelastung widerspiegeln, das heißt die Konzentration dieser Stoffe im Blut, die im Bevölkerungsquerschnitt bei Personen ohne erkennbaren konkreten Kontakt mit dem Schadstoff vorhanden ist. Dass eine messbare Hintergrundbelastung weltweit im Blut der Allgemeinbevölkerung verbreitet ist, ist demnach bekannt.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass das Münchner Trinkwasser nicht als Belastungsquelle für perfluorierte Verbindungen im Blut von Münchner Bürgerinnen und Bürger in Frage kommen kann.