Hotelneubau in der Schillerstraße 3, 3a
Antrag Stadtrats-Mitglieder Christian Müller, Heide Rieke und Jens Röver (SPD-Fraktion) vom 14.8.2018
Antwort Stadtbaurätin Professorin Dr.(I) Elisabeth Merk:
Mit Antrag vom 14.8.2018 wurden wir gebeten, zum einen Stellung zum Neubauvorhaben eines Hotels in der Schillerstraße 3 und 3a zu nehmen und zum anderen planerische Möglichkeiten darzustellen, welche eine Verdrängung von Mieterinnen und Mietern im Südlichen Bahnhofsviertel verhindern könnten.
Ihr Einverständnis vorausgesetzt, erlaube ich mir, Ihren Antrag als Brief zu beantworten.
1. Bestandssituation
Die Gebäude Schillerstraße 3 und 3a liegen im Geltungsbereich des einfachen Bebauungsplans Nr. 1756 der Landeshauptstadt München (Mittererstraße, Schwanthalerstraße, Goethestraße, Landwehrstraße, Sonnenstraße, Karlsplatz, Schützenstraße, Bahnhofsplatz und Bayerstraße) vom 31.7.1996. Der rechtsverbindliche Bebauungsplan setzt als Art der Nutzung ein Kerngebiet (MK) fest und regelt darüber hinaus, dass Vergnügungsstätten nur ausnahmsweise zulässig sind. Rechtliche Bedenken hinsichtlich der Gültigkeit der Festsetzungen des Bebauungsplans Nr. 1756 bestehen auch von Seiten des Verwaltungsgerichts München nicht (vgl. Urteil v. 14.1.2013, M 8 K 11.794, S. 10).
Gemäß § 7 Abs. 2 Nr. 6 und Nr. 7 Baunutzungsverordnung (BauNVO) sind im Kerngebiet nur Wohnungen für Aufsichts- und Bereitschaftspersonal, für Betriebsinhaber und Betriebsleiter zulässig, sowie im Übrigen sonstiges Wohnen gemäß § 7 Abs. 3 BauNVO nur ausnahmsweise zulässig ist, wenn dies der Gebietstypik nicht widerspricht.
Der Bebauungsplan trifft zur allgemeinen Wohnnutzung keine gesonderte Festsetzung, weswegen sonstiges Wohnen in dem Gebiet nur ausnahmsweise und nach einer eingehenden Einzelfallprüfung überhaupt zulässig ist. § 7 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO ist nach der Rechtsprechung äußerst restriktiv anzuwenden, um zu verhindern, dass ein MK nicht zu einem Misch- oder gar Wohngebiet mutiert. Der gesetzliche Grundgedanke des MK-Typus entspricht im Wesentlichen auch der tatsächlichen Situation vor Ort innerhalb des Umgriffs des Bebauungsplans Nr. 1756. Das Areal südlich des Hauptbahnhofes wird überwiegend gewerblich genutzt, u.a. durch Einzelhandelsbetriebe, Kaufhäuser, Banken, Versicherungen, Praxen und Kanzleienbis zu Einrichtungen der Post und Vergnügungsstätten. Wie die als Anlage 1 beigefügte Kartendarstellung der Gebäudenutzungen zeigt, sind nur in der Schillerstraße Nr. 3, 3a und Nr. 7 Wohnungsanteile feststellbar. Gegenüber ist keine Wohnnutzung gegeben, ebenso wenig im Übrigen Geviert. Die in der Anlage 1 dargestellte Wohnnutzung in der Adolf-Kolping-Straße 9 konnte im Rahmen einer Begehung zudem nicht bestätigt werden, hier liegt mittlerweile offenbar eine rein gewerbliche Nutzung vor.
Im Rahmen der Bekanntgabe der Ergebnisse der Konzeptstudie „Maßnahmenkonzept zur Stärkung des Wohnens im Südlichen Bahnhofsviertel“ (RIS-Vorlagen-Nr. 14-20/V 06429 vom 6.7.2016) wurde bereits deutlich, dass das Geviert, in welchem die Gebäude Schillerstraße 3 und 3a liegen, kein (ausreichendes) Potenzial zur Verbesserung der Wohnungssituation hat. Der Untersuchungsraum der Studie nimmt in erster Linie die Quartiere südlich der Schwanthalerstraße für eine Wohnnutzung in den Blick (Anlage 2 der Bekanntgabe, dort S. 7). Dieser Bereich liegt außerhalb des Umgriffs des Bebauungsplans Nr. 1756.
2. Neubauvorhaben eines Hotels in der Schillerstraße 3 und 3a
Dem Referat für Stadtplanung und Bauordnung (Hauptabteilung IV) liegen bisher drei Anträge zur Schillerstraße 3 und 3a vor:
-Ein Neubauantrag „Neubau eines Hotels mit Gastronomie im EG und Tiefgarage“ (Aktenzeichen 1.1-2018-11471-21 vom 24.5.2018). Dieser Antrag wurde nach entsprechendem Erstüberprüfungsschreiben wegen Mängel der Bauvorlage am 27.7.2018 gem. Art. 65 Abs. 2 BayBO zurückgegeben. Hauptmangel war ein nicht vorliegendes ausreichendes Anlieferkonzept. Ein neuer Bauantrag ist seither nicht eingegangen.
-Eine Abbruchanzeige für die beiden Gebäude Schillerstraße 3 und 3a, Aktenzeichen 1.3-2018-13582-21 vom 25.6.2018. Auch hier wurden im Erstüberprüfungsschreiben Mängel mitgeteilt, u.a. fehlende Originalunterschrift und fehlender Berechtigungsnachweis des Tragwerksplaners. Eine Rückgabe erfolgte hier noch nicht.
-Am 4.10.2018 ging ein neuer Antrag auf Baugenehmigung „Neubau eines Hotels mit Gastronomie im EG und Tiefgarage“ ein, der Antrag liegt derzeit dem Genehmigungsteam (HA IV/21T) zur Prüfung vor.
Für das Grundstück gilt der o.g. einfache Bebauungsplan Nr. 1756, der das Grundstück als Kerngebiet ausweist. Planungsrechtlich ist daher ein Hotelneubau nach derzeitiger Rechtslage grundsätzlich zulässig.
3. Planerische Möglichkeiten
a. Änderungsbebauungsplan
Mit dem Bebauungsplans Nr. 1756 hat sich die Landeshauptstadt München bewusst dafür entschieden, grundsätzlich keine allgemeine Wohnnutzung in dem Kerngebiet zuzulassen. Es besteht grundsätzlich die Möglichkeit, einen Änderungsbebauungsplan zu erlassen, in welchen das Wohnen ausdrücklich und allgemein zulässig ist. Hierfür wäre unter anderem die Änderung der Gebietskategorie nach der BauNVO erforderlich. In Betracht käme ein Besonderes Wohngebiet (WB), ein Urbanes Gebiet (MU) oder ein Mischgebiet (MI).
Die Aufstellung eines Änderungsbebauungsplanes zur Änderung der Art der Nutzung wird jedoch aus nachfolgenden Gründen als nicht zielführend erachtet:
-In allen drei in Frage kommenden Gebietskategorien (WB, MU, MI) wäre ein Hotelbetrieb nicht ausgeschlossen und müsste voraussichtlich ebenfalls genehmigt werden. Selbst durch eine Festsetzung eines Wohnanteils in dem Bebauungsplan, z.B. ab dem ersten Obergeschoss, könnten die konkret betroffenen Wohnungen in der Schillerstraße Nr. 3 und Nr. 3a nicht erhalten bleiben.
-Eine Änderungsplanung dürfte nur erfolgen, wenn städtebauliche Gründe diese erfordern. Da der Schutz bzw. der Erhalt der konkreten Wohnungen durch diese Änderungsplanung nicht erreicht werden kann, dies jedoch der maßgebliche Grund für die Einleitung des Bebauungsplanverfahrens wäre, fehlt es nach einer Gesamtschau der planerischen Ausgangslage an städtebaulichen Gründen, die eine Planung rechtfertigen könnten. Zudem entspräche ein Änderungsbebauungsplan (WB, MU, MI), der erstmals einen (festen) Wohnanteil festsetzen würde, mit Blick auf die Umgebungsbebauung, die ebenfalls nahezu ausschließlich kerngebietstypische Nutzungen ohne einen großen Wohnanteil aufweist, nicht mehr den realen Begebenheiten. Eine gemischte Stadtstruktur ist grundsätzlich gewünscht, aber es lässt sich für dieses Areal aus der bereits erwähnten Konzeptstudie „Maßnahmenkonzept zur Stärkung des Wohnens im Südlichen Bahnhofsviertel“ (RIS-Vorlagen-Nr. 14-20/V 06429 vom 6.7.2016) ablesen, dass die Potenzialbereiche für das Wohnen gerade nicht in dem betroffenen Geviert, in welchem die Gebäude Schillerstraße 3 und 3a liegen, gesehen werden.
-Ein Änderungsbebauungsplan würde überdies einen erheblichen Eingriff in das Eigentumsrecht der Grundstückseigentümer innerhalb des Umgriffs des künftigen Bebauungsplans darstellen. Hier wäre voraussichtlich mit nicht unerheblichen Entschädigungsansprüchen der Eigentümer gegenüber der Landeshauptstadt München zu rechnen. Grundsätzlich sind gemäß den §§ 39 ff. BauGB dem Eigentümer oder sonstigen Nutzungsberechtigten als Vertrauensschutz Entschädigung für wertlos gewordene Aufwendungen, einschließlich der Erschließungsabgaben, die im Vertrauen auf den Bestand eines verbindlichen Bebauungsplanes zur Vorbereitung der plangemäßen Nutzung gemacht und durch eine Planänderung, -ergänzung oder -aufhebung entwertet worden sind, zu ersetzen. Das konkrete Ausmaß einer Entschädigungspflicht wäre im Einzelfall zu prüfen und hängt maßgeblich von den Festsetzungen eines Änderungsbebauungsplans und somit dem konkreten Eingriff in das Eigentumsrecht ab. Darüber hinaus würde bei einer Überplanung und Festsetzung eines Wohnanteils voraussichtlich bei den betroffenen Eigentümern keine Mitwirkungsbereitschaft bestehen, sondern entsprechende Einwände in das Verfahren eingebracht werden, da die Festsetzung in vielen Fällen voraussichtlich nicht der Bestandsnutzung entspräche.
b. Erhaltungssatzung
Grundsätzlich kommt der Erlass einer Erhaltungssatzung in Betracht, wenn dies zur Erhaltung der städtebaulichen Eigenart des Gebietes auf Grund seiner städtebaulichen Gestalt (§ 172 Abs. 1 S 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 3 BauGB) oder zur Erhaltung der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung (§ 172 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 i.V.m. Abs. 4 BauGB) oder bei städtebaulichen Umstrukturierungen (§ 172 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 i.V.m. Abs. 5 BauGB) erforderlich ist. In Betracht käme vorliegend alleine der Erhalt der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung, § 172 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 i.V.m. Abs. 4 BauGB. Hiernach kann für die in einem intakten Gebiet wohnenden Menschen der Bestand der Umgebung gesichert und so die Bevölkerungsstruktur in einem bestimmten Ortsteil vor unerwünschten Veränderungen geschützt werden.
Bereits der Erlass einer Erhaltungssatzung setzt jedoch ein Gebiet voraus, in welchem die Wohnbebauung ein nicht ganz unerhebliches Gewicht einnimmt und dessen Bestand über den Geltungsbereich der Satzung gesichert werden kann. Wie die Anlage 1 verdeutlicht, fehlt es bereits an einem Gebiet mit einer Wohnbevölkerung von gewissem Gewicht, welches geschützt werden kann. In dem Quartier sind mehr Gebäude ohne eine Wohnnutzung als Gebäude mit einer Wohnnutzung. Die gewerbliche Nutzung prägt – nicht zuletzt wegen der Festsetzung als Kerngebiet i.S.d. § 7 Abs. 1 BauNVO – in erster Linie das Areal und nicht die Wohnnutzung.Unterstellt man den Erlass einer entsprechenden Erhaltungssatzung, so ist zudem lediglich der Rückbau, die Änderung und die Nutzungsänderung, in dem von der Satzung betroffenen Gebiet, genehmigungspflichtig. Dies bedeutet, dass nicht automatisch ein „Veränderungsverbot“ für die Bestandswohnungen besteht, sondern es obliegt einer Einzelfallbetrachtung des Amtes für Wohnen und Migration im Genehmigungsverfahren zu entscheiden, ob die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung an dieser Stelle aus städtebaulichen Gründen erhalten werden muss.
c. Zweckentfremdung
Das Gesetz über das Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum
(Zweckentfremdungsgesetz – ZwEWG) bestimmt, dass Gemeinden für Gebiete, in denen die ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit Mietwohnungen zu angemessenen Bedingungen besonders gefährdet ist, durch Satzung mit einer Geltungsdauer von höchstens fünf Jahren bestimmen können, dass Wohnraum nur mit ihrer Genehmigung überwiegend anderen als Wohnzwecken zugeführt werden darf, wenn sie dem Wohnraummangel nicht auf andere Weise mit zumutbaren Mitteln und in angemessener Zeit abhelfen können. Die Landeshauptstadt München hat hiervon durch Erlass der Satzung über das Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum (ZeS) Gebrauch gemacht.
Hiernach wird Wohnraum zweckentfremdet, wenn er durch die Verfügungsberechtigte bzw. den Verfügungsberechtigten und/oder die Mieterin bzw. den Mieter anderen als Wohnzwecken zugeführt wird. Eine Zweckentfremdung liegt hiernach dann vor, wenn der Wohnraum „zu mehr als 50% der Gesamtfläche für gewerbliche oder berufliche Zwecke verwendet oder überlassen wird, baulich derart verändert oder in einer Weise genutzt wird, dass er für Wohnzwecke nicht mehr geeignet ist, mehr als insgesamt acht Wochen im Kalenderjahr für Zwecke der Fremdenbeherbergung genutzt wird, länger als drei Monate leer steht oder beseitigt wird (Abbruch).“
Die ZeS findet grundsätzlich im gesamten Stadtgebiet Anwendung, allerdings dient die Satzung nicht unmittelbar dem Erhalt der vorhandenen Wohnbevölkerung vor Veränderungen, sondern verhindert lediglich, dass diese ihren eigenen Wohnraum zu anderen Zwecken als dem Wohnen nutzen. Da eine Zweckentfremdung grundsätzlich auch bereits beim Abbruch vorliegen kann und der Abbruch der Gebäude bereits dem Referat für Stadtplanung und Bauordnung angezeigt wurde (s.o.), ist das für die ZeS zuständige Amt für Wohnen und Migration eingeschaltet worden.Das Sozialreferat, Amt für Wohnen und Migration hat die Auskunft erteilt, dass für die zum Abriss beabsichtigten Wohnungen Ersatzwohnraum im Stadtgebiet zu stellen oder Ausgleichszahlungen zu leisten sind. Ein zweckentfremdungsrechtlicher Erlaubnisbescheid ist aber nach Auskunft des Sozialreferates, Amt für Wohnen und Migration noch nicht ergangen.
4. Zusammenfassung
Das Neubauvorhaben in der Schillerstraße 3 und 3a ist entsprechend den Festsetzungen des Bebauungsplans Nr. 1756 grundsätzlich zulässig.
Weder die Änderung des bestehenden Bebauungsplanes noch der Erlass einer Erhaltungssatzung stellen planerische Instrumente dar, die den Erhalt der Wohnbevölkerung in dem Gebäude Schillerstraße 3 und 3a sichern könnten. Ein Änderungsbebauungsplan würde zudem einen Eingriff in das Eigentumsrecht der betroffenen Grundstückseigentümer darstellen und mit hoher Wahrscheinlichkeit zu Entschädigungsansprüchen führen. Auch die in dem Gebiet grundsätzlich anzuwendende Zweckentfremdungssatzung erreicht das Ziel, die vorhandenen Wohnungen zu erhalten, nicht, da nach der ZeS ein Abriss nicht verhindert werden kann, sondern lediglich Ersatzwohnraum zu stellen wäre. Weitere planungsrechtliche Maßnahmen sind nicht ersichtlich.
Um Kenntnisnahme von den vorstehenden Ausführungen wird gebeten. Wir gehen davon aus, dass die Angelegenheit damit abgeschlossen ist.
Die Anlage zur Antwort kann abgerufen werden unter:
https://www.ris-muenchen.de/RII/RII/ris_antrag_dokumente.jsp?risid=5092335