Fragenkatalog zum Unterhaltsvorschuss – muss das Jugendamt Alleinerziehenden wirklich diskriminierende und demütigende Fragen stellen?
Anfrage Stadtrats-Mitglieder Gülseren Demirel, Katrin Habenschaden, Jutta Koller und Dominik Krause (Fraktion Die Grünen/Rosa Liste) vom 12.1.2018
Antwort Sozialreferentin Dorothee Schiwy:
In Ihrer Anfrage vom 12.1.2018 führen Sie Folgendes aus:
„Presseberichten der letzten Tage war zu entnehmen, das Jugendamt fordere von Alleinerziehenden, die einen Unterhaltsvorschuss beantragen, die Beantwortung von z.T. demütigenden, diskriminierenden und auch sinnlosen Fragen. Diese Fragen sollen laut Jugendamt dazu beitragen, den unbekannten Vater u.U. doch noch ausfindig zu machen. Doch schie- ßen die Fragen weit über das Ziel hinaus und sind offensichtlich getragen von dem vorurteilsbehafteten Verdacht, die Mutter wolle die Identität des Unterhaltspflichtigen verheimlichen. Natürlich ist die Mutter laut Bundesgesetzgebung verpflichtet, an der Identitätsklärung des Unterhaltspflichtigen mitzuwirken. Doch gibt es dabei immer einen gewissen Spielraum und konkrete Fragestellungen nach Zeitpunkt, Ort und Häufigkeit des Geschlechtsverkehrs werden nicht vom Gesetzgeber in dieser Form vorge- geben, sind aber dafür diskriminierend, demütigend und beleidigend. Die dabei im Endeffekt Leidtragenden sind immer die Kinder. Dem Wohl der Kinder ist das Jugendamt aber eigentlich verpflichtet.“
Zu Ihrer Anfrage vom 12.1.2018 nimmt das Sozialreferat im Auftrag des Herrn Oberbürgermeisters im Einzelnen wie folgt Stellung:
Frage 1:
Trifft es zu, dass das Jugendamt die oben beschriebenen bzw. in den Zeitungen geschilderten Fragen nach Zeitpunkt, Ort und Häufigkeit des Geschlechtsverkehrs im persönlichen Gespräch zur Identitätsklärung des Unterhaltspflichtigen verschreibt?
Antwort:
Die Verwaltungsvorschriften zur Durchführung des Unterhaltsvorschussgesetzes (VwUVG) werden vom Freistaat Bayern anhand der Richtlinien zur Durchführung des Unterhaltsvorschussgesetzes des Bundesministeriums für Familie, Frauen, Senioren und Jugend erstellt. Somit soll der einheitli-che Gesetzesvollzug innerhalb des Freistaates Bayern sichergestellt werden.
Bei der Landeshauptstadt München erfolgt die Leistungserbringung dezentral in drei Schwerpunkt-Sozialbürgerhäusern, welche der Leitung der Sozialbürgerhäuser/Soziales unterstellt sind. Die Fachsteuerung Unterhaltsvorschuss ist dem Stadtjugendamt unterstellt und trägt die Verantwortung für die einheitlichen Vorgaben zum Vollzug des Unterhaltsvorschussgesetzes innerhalb der Verwaltung der Landeshauptstadt München.
Dem Unterhaltsvorschussgesetz (UVG) ist zu entnehmen, dass Anträge auf Leistungen nach dem UVG gem. § 1 Abs. 3 UVG abzulehnen sind, wenn bei der Feststellung der Vaterschaft nicht mitgewirkt wird.
In den Verwaltungsvorschriften wird der Umfang der Mitwirkungspflichten sehr ausführlich, auch unter Nennung aktueller Gerichtsurteile, benannt. Da Leistungen nach dem UVG dem Grunde nach Unterhaltsvorschussleistungen sind, muss eine Entscheidung über Ausfallleistungen im Einzelfall unter sehr engen Maßstäben geprüft werden. Hierzu ist auch eine ausführliche und detaillierte Befragung zur Entstehung der Schwangerschaft notwendig. Sollte sich aus der persönlichen Befragung herausstellen, dass die Mutter zum Beispiel nähere Informationen zur Identität des vermeintlichen Kindesvaters besitzt, so muss sie zwingend die förmliche Vaterschaftsfeststellung erwirken. Sollten die Angaben aus der Befragung ggf. ergeben, dass die Aussagen „lebensfremd“ wirken und somit Anlass geben, daraus zu schließen, dass unwahre Angaben gemacht worden sind, so ist ein gestellter Antrag auf Leistungen nach dem UVG abzulehnen.
Die Verwaltungsvorschriften benennen dieses Verfahren detailliert unter den Ziffern 1.11.4 und 1.11.5 und geben vor, dass im Anschluss an eine derartige Befragung eine Niederschrift im Wortlaut zu erstellen ist. Somit ist in den Fällen, in denen zum Zeitpunkt der Antragstellung kein vermeintlicher Kindesvater benannt wird, eine Befragung zur Entstehung der Schwangerschaft durchzuführen. Diese erfolgt immer, auch für die Erstellung der Niederschrift, im Rahmen eines persönlichen Gesprächs.
Frage 2:
Wer hat den Fragenkatalog des Jugendamtes in dieser Detailliertheit ausgearbeitet und aufgrund welcher Vorgaben?
Antwort:
Der aktuelle Fragebogen wurde in Zusammenarbeit zwischen der Sachbearbeitung und Fachberatung erstellt. Er dient als Unterstützung bei derBefragung. Eine Verwendung dessen ist nicht zwingend vorgegeben. Im Übrigen verweise ich auf die Antwort zu Frage 1.
Frage 3:
Was genau erhofft sich das Jugendamt mit den Angaben von Zeitpunkt, Ort und Angaben wirklich im Detail nach (also z.B. recherchiert wirklich ein/e Jugendamtsmitarbeiter/in in dem angegebenen Hotel, wer an dem betreffenden Tag Dienst hatte und ggf. Angaben zu dem vermeintlichen Vater machen kann)?
Antwort:
Eine Recherche seitens der Landeshauptstadt München erfolgt nicht. Eine Weitergabe der erhobenen Daten an Dritte erfolgt ebenfalls nicht. Im Rahmen der Befragung wird u.a. eruiert, ob die Mutter nach Bekanntwerden der Schwangerschaft versucht hat, den Putativvater ausfindig zu machen. Sollten sich des Weiteren Anhaltspunkte für die Identität des vermeintlichen Kindesvaters ergeben, so ist die Mutter verpflichtet bei der Feststellung der Vaterschaft mitzuwirken, da ansonsten ein Antrag auf Leistungen nach dem UVG abgelehnt werden würde.
Frage 4:
Das Sozialreferat erklärt zum einen immer wieder, dass Alleinerziehende einem stark erhöhten Armutsrisiko ausgesetzt sind und stellt sie andererseits mit solchen derart detaillierten Fragenkatalogen unter Generalverdacht, ihrer Mitwirkungspflicht nicht nachkommen zu wollen. Wie steht das Jugendamt zu diesem Widerspruch?
Antwort:
Unterhaltsvorschuss ist eine öffentlich-rechtliche Leistung, welche Kindern aus sog. Teilfamilien unterstützen soll. Die Auszahlung ist, wie bereits erwähnt als Vorschussleistung gedacht und ist vom unterhaltspflichtigen Elternteil zurück zu zahlen. Sollte in einem Antrag auf Leistungen nach dem Unterhaltsvorschuss seitens der Mutter angegeben sein, dass der vermeintliche Kindesvater unbekannt oder unbekannten Aufenthalts ist, so ist das Verfahren nach den Verwaltungsvorschriften zur Durchführung des Unterhaltsvorschussgesetzes des Bayerischen Staatsministeriums für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Integration durchzuführen. Wird die Mitwirkungspflicht erfüllt, so ist die Leistung nach dem UVG als Ausfallleistung zu erbringen, was sich wiederum negativ auf die Rückholquote auswirkt.
Frage 5:
Wird das Jugendamt die betreffenden zu weit gehenden Fragen künftig aus dem Fragenkatalog streichen?
Antwort:
Ein Überarbeitungsauftrag zu diesem Thema wurde bereits weit vor dieser Stadtratsanfrage an das Stadtjugendamt erteilt. Daher liegt der überarbeitete Fragebogen schon seit längerem vor und wird bereits in neuer Form verwendet. Dabei sind die Vorgehensweisen der Städte Nürnberg und Erfurt mit eingeflossen und es hat eine juristische Überarbeitung stattgefunden. Der Fragebogen wird seitdem nur noch als Protokollierungshilfe für das Wortlautprotokoll angewandt und nicht mehr ausgereicht.
Ich hoffe, auf Ihr Anliegen hinreichend eingegangen zu sein. Ich gehe davon aus, dass die Angelegenheit damit abgeschlossen ist.