Massiver Missbrauch von Sozialwohnungen – Schlamperei im Wohnungsamt?
Anfrage Stadtrats-Mitglieder Johann Altmann, Dr. Josef Assal, Eva Caim, Richard Progl, Mario Schmidbauer und Andre Wächter (Fraktion Bayernpartei) vom 5.6.2019
Antwort Sozialreferentin Dorothee Schiwy
In Ihrer Anfrage vom 5.6.2019 führen Sie Folgendes aus:
„Kürzlich hat das Amtsgericht München einen einschlägig ‚amtsbekannten‘ Mann verurteilt, der seit mehreren Jahren (obwohl offiziell mit Wohnsitz in Berlin) in München zwei Sozialwohnungen in Anspruch genommen und diese an sog. Medizintouristen vermietet hatte. Dieser skandalöse Fall bildet aber anscheinend nur die Spitze des Eisbergs beim Missbrauch von Sozialwohnungen – Schätzungen gehen von 1 bis 5%, d.h. bis zu 4.000 Wohnungen, aus, die vom Amt für Wohnen und Migration vergeben wurden und falsch belegt sind.“
Die Anfrage konnte nicht innerhalb der geschäftsordnungsgemäßen Frist erledigt werden, da für die Beantwortung Ihrer Fragen umfangreiche Sachverhaltsermittlungen erforderlich waren. Zwischenmitteilungen mit der Bitte um Terminverlängerung zunächst bis zum 30.8.2019 und zum 4.10.2019 und schließlich bis zum 29.11.2019 sind an Sie am 29.7.2019, 13.9.2019 und 6.11.2019 ergangen.
Vor Beantwortung Ihrer nachfolgend aufgeführten Fragen kann ich Ihnen vorab mitteilen, dass die Vergabe und Überwachung von gefördertem Wohnraum in Bayern den Vorschriften des Bayerischen Wohnungsbindungsgesetzes (BayWoBindG) und des Bayerischen Wohnraumförderungsgesetzes (BayWoFG) unterliegt. Darüber hinaus ist in den Verwaltungsvorschriften zum Vollzug des Wohnungsbindungsrechts (VVWoBindR) die automatisierte Erfassung von Förder-, Objekt- und Nutzerdaten im geförderten Wohnungsbestand umfassend geregelt. Bei Vergabe von geförderten Wohnungen über das Amt für Wohnen und Migration erfolgt die Erfassung der entsprechenden Nutzerdaten in der EDV-Anwendung WIM (Wohnen in München) direkt im Rahmen des elektronischen Vergabevorganges. Ansonsten besteht für die Verfügungsberechtigten eine Meldepflicht über die eigenverantwortliche Wohnungsvergabe an das Amt für Wohnen und Migration, wo die entsprechenden Nutzerdaten nachträglich manuell in WIM eingepflegt werden.Seit dem Jahr 2018 besteht zudem ein elektronischer Datenaustausch zwischen dem Einwohnermeldeamt und dem Amt für Wohnen und Migration. Änderungen in den Meldeverhältnissen von Mieterinnen und Mietern in geförderten Wohnungen werden mit dem beim Amt für Wohnen und Migration hinterlegten Nutzerdaten im geförderten Wohnungsbestand abgeglichen und in automatisierter Form an die zuständige Arbeitsgruppe Wohnraumüberwachung weitergemeldet. Etwaige Belegungsverstöße können mit diesem Verfahren umgehend aufgegriffen, bearbeitet und gegebenenfalls auch mit Mitteln des Verwaltungszwangs beendet werden. Damit kann die parallele Nutzung von zwei Sozialwohnungen, die Gegenstand Ihrer Anfrage ist, in Zukunft ausgeschlossen werden.
Zu Ihrer Anfrage vom 5.6.2019 nimmt das Sozialreferat im Auftrag des Herrn Oberbürgermeisters im Übrigen wie folgt Stellung:
Frage 1:
Wie kann es sein, dass jemand, der in Berlin gemeldet ist, in München eine Sozialwohnung erhält?
Antwort:
Nach den Vorschriften des Wohnungsbindungsrechts kann sich jede Person, die sich rechtmäßig und dauerhaft in der Bundesrepublik Deutschland aufhält, bei jeder Wohnungsbehörde im Bundesgebiet für eine geförderte Wohnung registrieren, sofern die materiell-rechtlichen Voraussetzungen erfüllt werden (Haushaltszugehörigkeit, berechtigender Aufenthaltsstatus, Einhaltung der Einkommens- und Vermögensgrenzen).
Wohnungssuchende, die ihren Hauptwohnsitz im Bundesgebiet, aber nicht in München haben, werden ebenfalls nach dem sozialen Gewicht ihres Wohnungsbedarfes eingestuft, wenn nachgewiesen wird, dass der geltend gemachte Wohnungsbedarf nur in München erfüllt werden kann (zwingender Zuzugsgrund) und nicht am derzeitigen Wohnort (s. Beschluss BayVGH v. 3.7.2017, 12 ZB 17.987). Ein Wohnsitz in München ist hier nicht zwingend erforderlich.
Wenn ein Wohnungssuchender dieses nachweist, wird seine Dringlichkeit anhand der aktuellen Wohn- und Lebensverhältnisse nach der in München anzuwendenden Punktetabelle bewertet. Kann er dies nicht belegen, erhält der Haushalt eine niedrige Dringlichkeit (5 Punkte = Auswärtige Wohnungssuchende), wodurch ausgeschlossen werden kann, dass er bei einer Wohnungsvergabe zum Zuge kommt.Der vom Amtsgericht München geräumte Mieter hatte im Jahr 2000 eine Sozialwohnung der GWG in München-Am Hart nach ordnungsgemäßer Benennung erhalten. Er war zu diesem Zeitpunkt ausschließlich mit Wohnsitz in München gemeldet. Bezüglich der Frage nach der Anmietung einer zweiten geförderten Wohnung wird auf die Ausführungen zu Frage 2 verwiesen.
Frage 2:
Wie kann es sein, dass eine einzelne Person zwei Sozialwohnungen erhält? Wo genau lag der Fehler?
Antwort:
Der Mieter und Beklagte, der jetzt seine Sozialwohnung in München-Am Hart räumen muss, hat diese im Jahr 2000 nach Benennung durch das Amt für Wohnen und Migration erhalten (s.o.). Die Wohnung wurde ihm anschließend von der GWG Städtische Wohnungsgesellschaft München zum ordnungsgemäßen Gebrauch vermietet.
Die für die Belegungskontrolle von gefördertem Wohnraum zuständige Stelle im Amt für Wohnen und Migration erhielt Ende 2016 erstmalig Kenntnis von einem möglichen Belegungsverstoß in der betreffenden Wohnung und zwar durch einen Hinweis aus dem Fachbereich Bestandssicherung, der zu dieser Zeit mögliche Belegungsverstöße im freifinanzierten Wohnungsbestand nach den Vorschriften der Zweckentfremdungssatzung prüfte. Nachdem sich die Hinweise auf eine rechtswidrige Wohnnutzung durch den Mieter im weiteren Ermittlungsverfahren verdichteten, wurde dieser mit Schreiben vom 10.4.2018 zur beabsichtigten Einleitung eines Freimachungsverfahrens angehört.
Da die vom Mieter hiergegen erhobenen Einwendungen zu keiner anderen rechtlichen Bewertung des ermittelten Sachverhaltes führten, hat das Amt für Wohnen und Migration, Sachgebiet Belegungssicherung am 17.1.2019 dessen Benennung widerrufen und gleichzeitig die GWG zur Kündigung des Mietverhältnisses aufgefordert. Das Amtsgericht München hat der daraufhin von der GWG erhobenen Räumungsklage stattgegeben und den Beklagten am 20.12.2018 zur Räumung der Wohnung verurteilt. Die Wohnung wurde inzwischen von der GWG zum Wiederbezug durch einen berechtigten Haushalt freigemeldet.
Der Beklagte hat gegen den Widerruf seiner Benennung ebenfalls Klage und zwar beim Verwaltungsgericht München erhoben. Die Klage wurdenach mündlicher Verhandlung vom 5.9.2019 vom Verwaltungsgericht abgewiesen.
Bei der Überlassung der Sozialwohnung der GEWOFAG in München-Arabellapark handelt es sich um einen Sonderfall. Ihr liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
Die öffentlich geförderten Wohnungen an der Englschalkinger Straße und am Normannenplatz wurden Mitte der 1980er Jahre errichtet und mit einem Pauschalmietvertrag an das Städtische Klinikum München vermietet. Dieser Mietvertrag wurde seitens des Städtischen Klinikums zum 30.6.2006 gekündigt und die Wohnungen zur Vermietung an die GEWOFAG übergeben. Das Belegungsrecht des Klinikums zugunsten deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter blieb hierbei unangetastet.
Nachdem die Wohnungen nicht gänzlich an Mitarbeitende des Städtischen Klinikums vermietet werden konnten, verzichtete das Städtische Klinikum auf die Belegung einiger Wohnungen und stellte sie der GEWOFAG zur freien Vermietung zur Verfügung. Um Leerstände und Mietausfälle zu vermeiden, bot die GEWOFAG die Wohnungen über Immobilienscout24 an. Der betreffende Mieter mietete eine der Wohnungen am Normannenplatz im März 2010 an. In der Mieterselbstauskunft gab er als Umzugsgrund die Scheidung von seiner Ehefrau an. Die Frage nach einem möglichen Räumungstitel verneinte er.
Im September 2011 tauschte der Mieter die Wohnung am Normannenplatz nach Zustimmung der GEWOFAG mit einem Mieter in der Englschalkinger Straße. Im Rahmen der zu diesem Zeitpunkt geltenden Vergaberichtlinien handelte es sich dabei um ein korrektes Vorgehen.
Die Vergabe der Wohnungen für die Mitarbeitenden des Städtischen Klinikums in Kooperation mit dem Städtischen Klinikum, dem Amt für Wohnen und Migration und der GEWOFAG wurde im Jahr 2015 neu organisiert und geregelt. Es besteht für die Englschalkinger Straße 61 ein Belegrecht gemäß dem vom Sozialreferat erlassenen globalen Freistellungsbescheid zugunsten der Städtischen Klinikum München GmbH.
Alle freiwerdenden Wohnungen werden von der GEWOFAG an das Klinikum Bogenhausen gemeldet. Diese benennen an die GEWOFAG berechtigte Personen. Falls innerhalb von fünf Wochen keine berechtigten Personen genannt werden sollten, erfolgt eine Vergabe der Wohnungen über die Online-Plattform SOWON des Amtes für Wohnen und Migration. Das Amtfür Wohnen erhält eine Belegungsliste aller Wohnungen. Die Daten der Wohnungsnutzer werden in der EDV-Anwendung WIM (Wohnen in München) hinterlegt.
Der Mietvertrag des Mieters in der Englschalkinger Straße wurde von der GEWOFAG am 31.8.2018 aufgrund der Fehlnutzung fristlos gekündigt, das Räumungsverfahren wurde am 4.10.2018 in die Wege geleitet. Die erste Anhörung vor Gericht zum Räumungsverfahren findet am 7.11.2019 statt. Das Räumungsverfahren wird vom Amt für Wohnen und Migration durch Erlass einer eigenen Kündigungsaufforderung nach dem Bayerischen Wohnungsbindungsgesetz unterstützt, welche am 14.6.2019 an die GEWOFAG ergangen ist.
Da die Wohnung in München-Arabellapark nicht über das Amt für Wohnen und Migration an den Mieter vergeben wurde und das Amt für Wohnen und Migration auch nicht von der Vergabe an den Mieter und Beklagten informiert worden war, konnte dieses dessen Wohnsitzaufgabe bezüglich der Wohnung in München-Am Hart nicht überwachen. Dadurch kam es letztlich zur unberechtigten Nutzung von zwei geförderten Wohnungen durch den gleichen Mieter.
Bei Wohnungen, die über das Amt für Wohnen und Migration vergeben werden, werden alle Haushaltsangehörigen automatisiert namentlich in der EDV-Anwendung WIM hinterlegt (s.o.). Gleiches gilt für rechtmäßige Wohnungsvergaben durch die Verfügungsberechtigten, bei denen diese die Daten der Wohnungsinhaber an das Amt für Wohnen und Migration einzeln oder in Listen weiterleiten und die dann dort von den zuständigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern manuell in WIM eingepflegt werden.
Bei Änderung der Meldedaten eines Haushaltsangehörigen erfolgt ein elektronischer Datenabgleich mit dem Bewohnerbestand in WIM und eine automatisierte Meldung an die für die Belegungskontrolle für geförderten Wohnraum zuständige Stelle im Amt für Wohnen und Migration. Belegungsverstöße können somit umgehend aufgegriffen und mit den rechtlichen Eingriffsbefugnissen nach dem Bayerischen Wohnungsbindungsgesetz (BayWoBindG) und Bayerischen Wohnraumförderungsgesetz (BayWoFG) beendet werden.
Frage 3:
Wie kann es sein, dass ein für Sozialmissbrauch amtsbekannter Mann jahrelang eine Sozialwohnung in München an Touristen vermieten kann, bis dies auffällt und das Amt für Wohnen und Migration tätig wird? Seit wann war der Betreffende „amtsbekannt“?
Antwort:
Im Rahmen des Vollzuges der Zweckentfremdungssatzung erhielt das Amt für Wohnen und Migration, Fachbereich Bestandssicherung, bei der Aufklärung von rechtswidrigen Nutzungen im nicht geförderten Wohnungsbestand in München im Jahr 2014 erste Hinweise über eine mögliche rechtsmissbräuchliche Nutzung von Wohnraum durch den genannten Mieter. Diese ließen sich jedoch zunächst nicht weiter erhärten.
Hinsichtlich einer rechtsmissbräuchlichen Nutzung von gefördertem Wohnraum lagen der für die Belegungskontrolle zuständigen Stelle im Amt für Wohnen und Migration erst zu einem späteren Zeitpunkt belastbare Erkenntnisse vor. Bezüglich der beiden obenstehenden Sozialwohnungen nahm die Arbeitsgruppe Wohnraumüberwachung im Amt für Wohnen und Migration erstmalig im Jahr 2016 ihre Ermittlungen bezüglich der Wohnung in München-Am Hart und im Jahr 2018 ihre Ermittlungen hinsichtlich der Wohnung in München-Arabellapark auf.
Nachdem im Zuge der Ermittlungen nach den Vorschriften des Bayerischen Wohnungsbindungsgesetzes (BayWoBindG) festgestellt wurde, dass sich der betreffende Mieter am 1.9.2017 mit Wohnsitz nach Berlin abgemeldet hatte und damit zweifelsfrei erwiesen war, dass er seinen Wohnsitz in München tatsächlich aufgegeben hatte, wurde ab Kenntnis dieser Tatsache das Freimachungsverfahren in der Sozialwohnung in München-Am Hart mit Nachdruck vorangetrieben. Das Freimachungsverfahren in der Sozialwohnung in München-Arabellapark wurde mit Beginn der Ermittlungen ab dem Jahr 2018 unter Anwendung der bindungsrechtlichen Vorschriften betrieben.
Frage 4:
Steht das Amt für Wohnen und Migration in Kontakt und Austausch mit dem Freistaat Bayern, um zu verhindern, dass Menschen Sozialwohnungen sowohl der Stadt als auch des Staates in Anspruch nehmen?
Antwort:
Nach Art. 2 BayWoBindG in Verbindung mit § 1 Abs. 3 der Verordnung zur Durchführung des Wohnungsrechts und des Besonderen Städtebaurechts (DVWoR) ist allein die Landeshauptstadt München, vertreten durch das Amt für Wohnen und Migration, für die Ausübung der Belegungskontrolle über alle geförderten Wohnungen im Stadtgebiet München zuständig. Ein Austausch oder Kontakt mit dem Freistaat Bayern ist demzufolge nicht erforderlich. Im Übrigen siehe Antwort zu Frage 5.
Frage 5:
Wie können solche massiven Missbrauchsfälle künftig verhindert werden?
Antwort:
Seit dem Jahr 2018 besteht ein elektronischer Datenaustausch zwischen dem Einwohnermeldeamt und dem Amt für Wohnen und Migration. Änderungen in den Meldeverhältnissen von Mieterinnen und Mietern von geförderten Wohnungen werden mit dem beim Amt für Wohnen und Migration hinterlegten Nutzerdaten im geförderten Wohnungsbestand abgeglichen und in automatisierter Form an die zuständige Arbeitsgruppe Wohnraumüberwachung weitergemeldet. Im Übrigen wird auf die Ausführungen zu Frage 2 und zu Beginn dieses Antwortschreibens verwiesen.