Wie läuft die Schaffung von integrativen Plätzen in städtischen Kindertageseinrichtungen ab? Anfrage Stadtrats-Mitglieder Anja Berger, Katrin Habenschaden, Jutta Koller, Sabine Krieger, Oswald Utz und Sebastian Weisenburger (Fraktion Die Grünen – Rosa Liste) vom 11.1.2019
Antwort Stadtschulrätin Beatrix Zurek:
Auf Ihre Anfrage vom 11.1.2019 nehme ich Bezug.
Sie haben Ihrer Anfrage folgenden Text vorausgeschickt:„Die Landeshauptstadt München ist seit vielen Jahren bemüht, so viele KiTa-Plätze wie möglich zu errichten, um der extrem hohen Nachfrage zu entsprechen. Bei dieser Kraftanstrengung wird darauf geachtet, in den je- weiligen neuen Einrichtungen so viele Plätze zu schaffen, wie dies baulich, nach Betriebserlaubnis und nach pädagogischen Grundsätzen möglich ist. Die Schaffung eines Integrationsplatzes erfordert einen wesentlich höheren Kraftaufwand. Sowohl baulich als auch personell muss die Einrichtung anders ausgestattet oder/und aber die Zahl der möglichen Plätze reduziert werden.Gleichzeitig ist die Stadt – wie jede/r andere Trägerin/Träger – bemüht, die bereits bestehenden Plätze optimal zu belegen. Immer wieder wird uns berichtet, dass es einen Mangel an Integrationsplätzen gibt und dass Eltern von Kindern mit speziellen Bedarfen oftmals große Anstrengungen auf sich nehmen müssen, um einen (adäquaten) Platz zu bekommen. Dieser Mangel könnte sich verschärfen, wenn bei den neu errichteten und noch zu errichtenden Plätzen nur wenige Integrationsplätze dazukommen. Manche Einrichtungen berichten uns, dass sie gerne Integrationsplätze in ihrer Einrichtung schaffen würden, jedoch vom Referat für Bildung und Sport keine Zustimmung erhalten. Dies lässt vermuten, dass die Stadt kein großes Interesse daran hat, reguläre Kitaplätze in Integrationsplätze umzuwandeln.“
Bevor ich auf Ihre Fragen im einzelnen eingehe, möchte ich kurz auf den pädagogischen Ansatz und die Grundprinzipien inklusiver Pädagogik eingehen:
Die inklusive Qualitätsentwicklung von Einrichtungen frühkindlicher Bildung verfolgt das Ziel, den quantitativen Ausbau der Kinderbetreuung gerade in der Phase des Aufbaus durch Qualitätsentwicklung zu begleiten, die zum einen den Anspruch auf „Bildung von Anfang an“ gewährleistet und zum anderen Mechanismen von Aussonderung, Chancenungleichheit und Bil-dungsungerechtigkeit entgegen wirkt. Auf die innere Haltung kommt es an. Das ist die Erfahrung in der Kooperation mit Kindertageseinrichtungen, die sich auf dem inklusiven Weg befinden. Als Qualitätsentwicklungsinstrument eignet sich in besonderer Weise der sogenannte „Index für Inklusion“ in der Version für Kindertageseinrichtungen.1
Die Feststellung, dass Kinder individuell verschieden sind, kann nicht plakativ stehen bleiben, um Diversitäten zu benennen, sondern es müssen handlungsleitend Konsequenzen entwickelt werden. Es geht um die Frage, wie Bildungsprozesse so gestaltet werden können, dass sie zum einen allen Kindern gerecht werden und zum anderen „neue Qualitäten des Lernens“2 durch Vielfalt ermöglichen. Zusammengefasst basiert der inklusive pädagogische Ansatz auf der
-Orientierung am Entwicklungsstand und der Lebenswelt des Kindes,
-den Lernangeboten und Lernzielen, die differenziert und flexibel gestaltet sind, -dem Aspekt, dass jedes Kind alles lernen darf, -der Sichtweise von Heterogenität als Normalfall, -der Anerkennung und Wertschätzung jedes Kindes und Jugendlichen,
-der Sichtweise, dass Unterschiedlichkeit als eine Bereicherung geschätzt wird.
Zu den von Ihnen gestellten Fragen kann ich Ihnen Folgendes mitteilen:
Frage 1: Wie viele Kitaplätze bietet die Stadt München in ihren eigenen Einrichtun- gen an (Stand: 1.1.2019)? Wie viele davon sind Integrationsplätze? – Mit der Bitte um Aufschlüsselung nach Einrichtungsart.
Antwort: In den einzelnen Einrichtungsarten verteilen sich die Plätze wie folgt:
Im Zeitraum September 2017 bis Dezember 2018 wurden 21 Kindertageseinrichtungen in Städtischer Trägerschaft nach dem „Umwandlungs- und Weiterentwicklungskonzept“ begleitet. Es wurden hier in diesem Zeitraum 59 neue integrative Plätze geschaffen. Gleichzeitig mussten 12 integrative Plätze in 3 städtischen Kindertageseinrichtungen aufgegeben werden.
Gründe für nicht belegte oder aufgegebene Integrationsplätze:
-Personalmangel im Bereich pädagogische Fachkräfte -Personalmangel im Bereich Heilpädagoginnen/-pädagogen bzw. Sozialpädagoginnen/-pädagogen -fehlende Fachdienststunden am Kind (geleistete und nachgewiesene Fachdienststunden sind aber Grund- und Schlüsselvoraussetzung für die Einrichtung eines integrativen Platzes und die Schaffung der entsprechenden Rahmenbedingungen) -Vorübergehend keine Nachfrage am ganz konkreten Standort: (z.B. Kinderkrippe Kistlerhofstraße, Haus für Kinder Werner-Egk-Bogen, Hort Schererplatz) -Bauliche Probleme mit langfristigen Auslagerungen
Frage 2: Wie viele Kitaplätze wurden in den letzten 10 Jahren geschaffen? Wie viele davon sind Integrationsplätze? – Mit der Bitte um Aufschlüsselung nach Einrichtungsart.
Antwort: Im Zeitraum 2009 bis 2019 wurden insgesamt 38.722 Plätze geschaffen, davon 15.091 Plätze für unterdreijährige Kinder, 9.799 Plätze für drei- bis sechsjährige Kinder und 13.832 Ganztagsplätze für Kinder im Grundschulalter. Im selben Zeitraum wurden insgesamt 290 städtische Integrationsplätze (davon 17 Plätze für unterdreijährige Kinder, 93 Plätze für drei- bis sechsjährige Kinder und 180 Ganztagsplätze für Kinder im Grundschulalter) geschaffen. Im gleichen Zeitraum wurden in den nichtstädtischen Einrichtungen insgesamt 201 Integrationsplätze geschaffen – eine altersdifferenzierte Ausweisung ist systemtechnisch nicht möglich. Zu diesem Thema wird darauf hingewiesen, dass die konkrete Zahl der Integrationsplätze in den neuen Betriebserlaubnissen seit Mai 2019 nicht immer erfasst wird. Im Mai 2019 haben die Träger durch einen Beschluss des Stadtrats eine hohe Flexibilität hinsichtlich der Aufnahme und Betreuung der Integrationskinder erhalten; ein Träger kann demnach – je nach Bedarf und je nach personeller und räumlicher Gegebenheit – bis zu einem Drittel seiner Gesamtplätze zu verschiedenen Zeiten auch unterschiedlich mit Integrationskindern belegen.Zum Abfragezeitpunkt standen in der Landeshauptstadt München insgesamt 862 Integrationsplätze – davon 448 Integrationsplätze in städtischen und 414 Integrationsplätze in nichtstädtischen Einrichtungen – zur Verfügung.
Frage 3:Ist die aktuelle Anzahl an Integrationsplätzen ausreichend?
Antwort: Die integrativen Plätze des Städtischen Trägers können den bestehenden Bedarf nicht decken, da immer mehr Kinder mit Behinderung oder davon bedroht geboren werden oder pränatal eine Behinderung im Laufe ihrer Entwicklung erwerben und/oder ausprägen. Daher ist die Landeshauptstadt München auch auf die integrativen Plätze der freigemeinnützigen und sonstigen Träger angewiesen.
Der weitere Ausbau von Integrationsplätzen ist und bleibt eine gemeinsame Herausforderung für die Münchner Träger von Kindertageseinrichtungen.
Frage 4:Nach welcher Bedarfsanalyse wird festgelegt, wie viele Integrationsplätze benötigt und in Zukunft noch geschaffen werden?
Antwort: Es kann keine umfassende und valide Datenausgangslage verfügbar gemacht werden, da es keine verbindlichen bzw. gesetzlichen Vorgaben der Meldepflicht für diagnostizierte Behinderungen gibt. Hinzu kommen auch die Bedarfe der Eltern, die keinen Antrag auf Eingliederungshilfe gestellt oder einen entsprechenden Bescheid erhalten haben, für deren Kinder jedoch ein Frühförderbedarf besteht. Daher können einer Bedarfsanalyse nur Erfahrungswerte zu Grunde gelegt werden, die sich auf die gemeldeten konkreten Bedarfe stützen, die über die Einrichtungen vor Ort, die KITA-Elternberatung und über den kita finder+ eingehen. Aus diesen Gründen wurde ein auf langjährigen Erfahrungen basierender Annäherungswert einer 7%-igen Bedarfslage angenommen und durch einen Beschluss des Stadtrats am 7.10.2015 festgelegt („Inklusion im Kindertageseinrichtungs- und Schulbereich (...)“, Sitzungsvorlage Nr. 14-20/V 02934).
Eine KITA-Bedarfsplanung ist grundsätzlich für eine Versorgung aller Kinder angelegt. Ziel ist es, alle Kinder möglichst wohnortnah aufnehmen zu können und darüber hinaus alle Einrichtungen mittelfristig in Stand zu set-zen, Kindern mit Behinderung oder von Behinderung bedrohte Kinder zu betreuen. Dies wird unterstützt durch eine Betriebserlaubnis, die flexibel die Aufnahme von Integrationskindern ermöglicht. Auf diese Weise können die Einrichtungen bei der Aufnahme von Kindern mit Behinderung oder von Kindern mit drohender Behinderung sowohl eine Platzanpassung als auch eine Personalmehrung andenken und so die jeweils für sie passenden Rahmenbedingungen für eine Aufnahme schaffen. Die Einrichtungen werden bedarfsgerecht durch Beratungsleistungen begleitet und unterstützt.
Frage 5:Nach welchen Verfahren können bestehende Plätze in Integrationsplätze umgewandelt werden?
Antwort: Im Rahmen der bisherigen Integrationsentwicklung in städtischen Kindertageseinrichtungen (Kinderkrippe, Kindergarten, Hort, Haus für Kinder) und der Implementierung von integrativen Plätzen, insbesondere der Umwandlung von sog. „Regeleinrichtungen“ in Integrationseinrichtungen, wurden unterstützend wissenschaftliche Begleitforschungen durchgeführt. In den Projekten „Qualitätsstandards für Integrationsentwicklung in Kindertageseinrichtungen der Landeshauptstadt München“ (QUINTE) und „Qualitätsstandards für integrative Kinderkrippen“ (QUINK), beide durchgeführt unter der Federführung von Prof. Heimlich (LMU München), wurden dem Stadtrat im April 2004 dazu verbindliche Standards und Vorgaben für eine flächendeckende Implementierung von integrativen Maßnahmen für Kinder mit Behinderung oder davon bedrohten Kindern dargestellt. Auf der Grundlage dieser wissenschaftlich entwickelten und evaluierten Qualitätsstandards für die Integrationsentwicklung in Kindertageseinrichtungen wurden stadtweit bedarfsorientiert nun städtische Integrationseinrichtungen analog den bereits bestehenden Integrationseinrichtungen in freigemeinnütziger Trägerschaft geschaffen. Die bislang praktizierten Integrationsangebote beschränkten sich hauptsächlich auf die Bereitstellung von integrativen Plätzen in ausgewählten Regeleinrichtungen. Der neu formulierte, gesetzliche Auftrag beinhaltet jetzt ganz explizit die Vorgabe, dass jedes Kind, welches eine Kindertageseinrichtung in München besucht, dort eine optimale Förderung, Bildung und Erziehung erhält. Orientiert an den individuellen Voraussetzungen, Interessen und Bedürfnissen werden in der Gemeinschaft grundlegende Handlungskompetenzen und Fähigkeiten erworben. Organisatorisch muss nun die jeweilige Einrichtung in ihrer Gesamtheit unter inklusiven Aspekten neu gestaltet werden. Bei der Entwicklung der inklusiven Kindertageseinrichtungen wird eine gemeinsame Basis durch einheitliche Qualitätsstandards angestrebt, die Raum geben für Individualität in derUmsetzung. Im Sinne eines ko-konstruktiven partizipatorischen Ansatzes orientiert sich die Weiterentwicklung der Einrichtung an der jeweiligen Situation der Kinder, Eltern, des Teams und der Stadtteile.
Beantragung und Finanzierung eines Integrationsplatzes, Rahmenbedingungen und Finanzierung Es gibt unterschiedliche Fördervoraussetzungen und Finanzierungsbedingungen zur Schaffung der entsprechenden Rahmenbedingungen für Kindertageseinrichtungen, die Kinder mit Behinderung oder von Behinderung bedrohte Kinder betreuen.
Frage 6:Unterstützt das Referat für Bildung und Sport die Einrichtungen, wenn sie Plätze umwandeln möchten?
Antwort: Selbstverständlich unterstützt das Referat für Bildung und Sport städtische Einrichtungen, die Plätze umwandeln möchten. In der Praxis bedeutet das, Kinder mit besonderem Förderbedarf wohnortnah und bedarfsgerecht zu versorgen und durch begleitende individuelle Maßnahmen die gemeinsame Bildung, Erziehung und Betreuung von Kindern mit und ohne Behinderung zu gewährleisten. Der Auftrag der Inklusion vollzieht den Paradigmenwechsel im Hinblick darauf, dass nicht der Mensch mit Behinderung sich dem System anpassen muss, sondern das System an den Bedarf des Menschen mit Behinderung. Inklusion schafft die Voraussetzung für alle Menschen zu einer wertschöpfenden Teilhabe und Teilgabe an der Gesellschaft und am gesellschaftlichen Leben. Inklusion ist in erster Linie eine gesellschaftspolitische Herausforderung zur Schaffung struktureller Voraussetzungen, damit soziale Ausgrenzung, „behindert zu werden“, überwunden werden kann. Das bedeutet aber auch, bei den pädagogischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern eine für Verschiedenheit offene und inklusive Haltung zu entwickeln und zu stabilisieren. Dafür braucht es Zeit und reflektierende Gespräche, ORGAs im Rahmen des Umwandlungsprozesses, Fortbildungen, Arbeitskreise, Hospitationen, pädagogischen Austausch von erfahrenen Teams und „Neueinsteigern“ nach einem Mentorensystem. Für die konzeptionelle Weiterentwicklung in der Praxis der städtischen Kindertageseinrichtungen wird seit Jahren ein bewährtes und abgestimmtes Phasenmodell zur Unterstützung bei der pädagogischen Weiterentwicklung und Umwandlung von integrativen Plätzen angewendet. Hierbei werden die Einrichtungen intensiv unterstützt und begleitet durch die zuständige Stadtquartiersleitung, der Koordination für Prävention, Frühförderung, Integration, Grundsatz und Strategie Inklusion sowie der Fachberatung.Die Voraussetzung für einen gelingenden Umwandlungsprozess ist das individuelle Screening der potentiellen Einrichtungen. Je nach räumlicher Gegebenheit, personeller Ausstattung, Besucherstruktur, Stadtquartier etc. werden die konzeptionellen Module entsprechend angepasst und mit dem Einrichtungsteam und den jeweiligen Leitungskräften abgestimmt und erarbeitet. Der zeitliche Rahmen für den gesamten Prozess der Begleitung bei der Umwandlung zur inklusiven Einrichtung erstreckt sich erfahrungsgemäß, abhängig von der individuellen Situation der Einrichtung, über 1 bis 1,5 Jahre.
1 Index für Inklusion: Booth/Ainscow/Kingston (2004) 2vgl. Jerg/Schumann (2007)