Optimierung des Verkehrsflusses: Stop-and-go Verkehr mit dynamischer Lichtsignalsteuerung vermeiden
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Rathaus Umschau 120 / 2020, veröffentlicht am 29.06.2020
Optimierung des Verkehrsflusses: Stop-and-go Verkehr mit dynamischer Lichtsignalsteuerung vermeiden
Antrag Stadtrat Dr. Reinhold Babor (CSU-Fraktion) vom 2.5.2019
Antwort Kreisverwaltungsreferent Dr. Thomas Böhle:
vielen Dank für die gewährte Fristverlängerung.
Nach § 60 Abs. 9 GeschO dürfen sich Anträge ehrenamtlicher Stadtratsmitglieder nur auf Gegenstände beziehen, für deren Erledigung der Stadtrat zuständig ist.
Sie haben folgenden Antrag gestellt (Zitat):
„Es wird geprüft, wie eine intelligente Ampelschaltung, die Verkehrsstaus in Realzeit erkennt und mit weiter folgenden Lichtzeichenanlagen kommuniziert, Stop-and-Go Situationen entschärfen kann. Begründung: Mithilfe von Sensoren, die an den Ampeln angebracht werden, können Verkehrsstaus von über 100 Metern registriert und an die folgenden Lichtzeichenanlagen weitergegeben werden. So kann auf das Straßengeschehen reagiert werden. Stop-and-go Situationen werden so zu Spitzenzeiten über eine dynamische Ampelschaltung entschärft. Die Errichtung eines stadtweiten Verkehrsmonitoring für das Hauptstraßenverkehrsnetz ist anzustreben. Die Vermeidung von Stop-and-go Verkehr ist notwendig, um Zeit und Kraftstoff zu sparen und letztlich den Ausstoß von Abgasen mit Schadstoffen zu reduzieren.“
Das Kreisverwaltungsreferat als Straßenverkehrsbehörde trifft Maßnahmen auf öffentlichem Verkehrsgrund – wie verkehrliche Anordnungen zu LSA und den dazugehörigen Markierungen im Kreuzungsbereich sowie zu statischen und variablen Beschilderungen − nach den Bestimmungen der Straßenverkehrsordnung (StVO). Der Vollzug der Straßenverkehrsordnung ist eine laufende Angelegenheit, deren Besorgung nach Art. 37 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GO und § 22 GeschO dem Oberbürgermeister obliegt. Eine beschlussmäßige Behandlung der Angelegenheit im Stadtrat ist rechtlich nicht möglich.
Ich erlaube mir daher, Ihren Antrag in Abstimmung mit dem Oberbürgermeister auf dem Schriftweg zu beantworten.
Nur 121 der über 1.100 Lichtsignalanlagen (LSA) in München werden nicht verkehrsabhängig gesteuert. In der Regel befinden sich solche Fest-zeit-LSA in weniger verkehrsbelasteten Bereichen oder stehen altersbedingt kurz vor ihrem Austausch.
Das bedeutet, dass die große Mehrzahl der LSA schon über das verfügen, was allgemein als „Intelligente Ampelsteuerung“ verstanden wird. Der Signalablauf dieser LSA wird in der Regel mittels Erfassungseinrichtungen in den Fahrbahnen (Induktionsschleifen) im Rahmen des Möglichen an das Verkehrsaufkommen angepasst. Insgesamt 669 LSA sind aktuell zudem mit ÖPNV-Beschleunigung ausgestattet, um entsprechend der Intention des Stadtrates ÖPNV-Fahrzeuge möglichst nur an Haltestellen zum Halten zu bringen. Wegen der Wichtigkeit des ÖPNV hat dieser also an den LSA nach den Belangen der Verkehrssicherheit die oberste Priorität.
Die Zeiträume, während denen Grünzeiten durch Erfassungseinrichtungen verteilt werden können, sind jedoch nicht die Hauptverkehrszeiten, sondern Zeiten mit nur teilweiser Auslastung der Leistungsfähigkeit des Stra-ßenraums. Während der Hauptverkehrszeiten übersteigt in München die Verkehrsmenge beinahe flächendeckend die maximale Leistungsfähigkeit der Knotenpunkte. Da dann alle Erfassungseinrichtungen volle Auslastung melden, wird jeder Fahrtrichtung die für diesen Fall vorgesehene Grünzeit zugeteilt. Nach außen erscheint dies dann wie ein Festzeitprogramm, denn bei Überlast kann keine Zeitverteilung stattfinden.
Um LSA koordiniert (Stichwort „Grüne Welle“) betreiben zu können, ist eine gemeinsame Umlaufzeit Voraussetzung. Die Umlaufzeit definiert sich aus der Zeit, die vom Umschaltzeitpunkt eines Signals bis zum nächsten gleichartigen Umschaltzeitpunkt des selben Signals verstreicht. Während dieser Zeit müssen alle Verkehre und Verkehrsarten bei Bedarf einmal ein Freigabesignal erhalten. Die geltenden Richtlinien für Signalanlagen geben dabei sowohl Mindestgrünzeiten als auch Grenzen für Wartezeiten vor. Somit kann die Umlaufzeit einer LSA nicht beliebig ausgedehnt werden, da theoretisch zwar ein Teil des Verkehrs lange Grünzeiten erhalten könnte, konkurrierender Verkehr jedoch mindestens ebenso lange Wartezeiten abzuwarten hätte. Um tragbare Grün- und Wartezeiten für alle Verkehrsarten und zudem eine Koordinierung erreichen zu können, beträgt in München die Umlaufzeit in der Regel 90 Sekunden.
Im Rahmen dieser Umlaufzeit können an verkehrsabhängig gesteuerten LSA über Detektoren wie Induktionsschleifen Grünzeiten variiert werden, um dem aktuellen Verkehrsgeschehen angepasst zu steuern. Um allerdings der einen Fahrtrichtung eine Anzahl von Sekunden hinzufügen zu können, müssen einer oder mehreren anderen Fahrtrichtungen ebensoviele Sekunden weggenommen werden, um die Umlaufzeit einzuhalten. Die einzige Ausnahme von dieser Regel erfolgt für die ÖPNV-Beschleunigung, die im Anforderungsfall die Umlaufzeiten verändern kann. Sobald jedoch alle Zufahrten einer LSA ausgelastet oder überlastet sind, gibt es keine ungenutzten Grünzeiten mehr zu verteilen, da alle Richtungen die ihnen planerisch gegebene Freigabezeit voll nutzen. Es stellt sich ab der Vollauslastung also ein quasi Festzeitablauf ein, bis die Verkehrsmenge wieder sinkt und wieder Zeit verteilt werden kann.
Längere Umlaufzeiten bringen längere Freigabezeiten innerhalb eines Umlaufs mit sich. Dazu verringern sich die Phasenwechsel und die damit einhergehenden, sicherheitsrelevanten Zwischenzeiten, die immer ablaufen müssen, damit endende Verkehre die Kreuzung räumen können, bevor „feindliche“ Verkehre freigegeben werden. Innerhalb gewisser Grenzen erhöht sich somit die Leistungsfähigkeit. Stauen sich jedoch aufgrund der gleichzeitig länger werdenden Wartezeiten Abbieger über die Abbiegespuren hinaus auf die durchgehenden Fahrbahnen, verkehrt sich dieser Effekt sogar ins Gegenteil, da plötzlich eine Fahrspur blockiert wird. Wollte man durchgehend längere Umlaufzeiten verwenden, müssten an vielen Stellen Abbiegespuren verlängert und/oder Aufstellflächen für Fußgängerinnen und Fußgänger und Radfahrerinnen und Radfahrer vergrößert werden, um die Wartenden behinderungsfrei aufstellen zu können.
Bei sehr großen Verkehrsmengen, insbesondere bei starken, getrennt signalisierten Abbiegeströmen oder zusätzlichen Phasen des öffentlichen Verkehrs (Bus,Tram), sind längere Umlaufzeiten erforderlich, um die Verkehrsbelastungen bewältigen zu können.
In München kommen hauptsächlich folgende Umlaufzeiten zum Einsatz:
-70s: Programm bei Knotenpunkten mit mittleren Verkehrsbelastungen oder zu Zeiten geringerer Verkehrsbelastung
-90s: Morgen- und Abendprogramm (jeweils richtungsabhängig) bei mittleren bis großen Verkehrsbelastungen.
-104s: Morgen- und Abendprogramm an sehr stark belasteten Knotenpunkten mit Mehrphasensteuerung
Innerhalb eines Tages kommen in aller Regel mehrere verschiedene Signalprogramme (u.a. mit unterschiedlichen Umlaufzeiten) zum Einsatz, die jeweils für die verschiedenen Verkehrsbelastungen während eines Tages erforderlich sind. Aktuell werden die Signalprogramme einer Signalanlage gemäß einer vordefinierten Schaltliste (Betriebstabelle) geschaltet. Diese passt sich nicht automatisch an die tatsächlich auftretenden Verkehrs-ströme an, sondern schaltet die Programme zu definierten Zeiten des Tagesverlaufs.
Seit September 2019 arbeitet das KVR daran, das Projekt „Ausweitung der netzweiten lastabhängigen Programmwahl (LAPW)“ im Rahmen eines Maßnahmenpakets des Luftreinhalteprogramms umzusetzen. LAPW bietet die Möglichkeit, nicht wie bisher starr zeitgesteuert, sondern abhängig von den detektierten Verkehrsstärken, die entsprechenden Signalprogramme an den Lichtsignalanlagen bedarfsgerecht zu schalten und sich somit besser an die aktuelle Verkehrssituation anzupassen. Dies wirkt selbstverständlich auch nur, solange keine Überlastung des Straßenraums vorliegt.
LAPW analysiert kontinuierlich die Verkehrsbelastung eines definierten Straßenzugs und schaltet automatisiert alle betroffenen Signalanlagen in das für diesen Zustand beste Signalprogramm. Durch eine anlassbezogene Schaltung leistungsfähigerer Signalprogramme oder Betriebsfunktionen wird dem Aufbau messtechnisch erfassbarer Stauungen entgegengewirkt. Die Richtung der Koordinierung kann dadurch der Fahrtrichtung mit der stärkeren Belastung zeitlich bedarfsgerecht angepasst werden. Dies führt im Tagesverlauf zu einem harmonischeren Verkehrsablauf mit weniger Halten und somit in Summe auch zu einem geringeren Schadstoffaufkommen.
Der von Ihnen erwähnte „Stop-and-go-Verkehr“ kann im Überlastfall nicht vermieden werden. Mit intelligenter Programmierung und mittels Detektion nimmt das KVR die für die Gesamtheit Verkehrsteilnehmenden ausgewogenste und optimale Schaltung der LSA vor und ist ständig dabei, bei sich ändernden Verkehrssituationen die LSA entsprechend anzupassen.
Um durchgehend an allen LSA die Verkehrssicherheit und den ungestörten Fluss aller am Verkehr Teilnehmenden erreichen zu können, müsste zunächst die Überlastung des Straßenraumes abgestellt werden, indem maximal so viel Kraftverkehr in die Stadt einfahren kann, wie das städtische Verkehrssystem auch bewältigen kann. Erst dann besteht die Möglichkeit, die – bereits vorhandene – Intelligenz der LSA nicht nur außerhalb des heute relativ lange andauernden Überlastzustands, sondern während des gesamten Tages zu nutzen. Diese Grenze zu ermitteln und Wege aufzuzeigen, welche Maßnahmen hierzu ergriffen werden müssten, ist Inhalt der laufenden Untersuchung „Wieviel motorisierten Verkehr verträgt die Stadt“, deren Ergebnis bis Ende 2020 erwartet wird.
Ich bitte um Kenntnisnahme der Ausführungen und gehe davon aus, dass die Angelegenheit damit abgeschlossen ist.