Leerstand und Zweckentfremdung in München VII: Agnesstraße 48
Anfrage Stadtrats-Mitglieder Marie Burneleit, Stefan Jagel, Thomas Lechner und Brigitte Wolf (DIE LINKE./Die PARTEI Stadtratsfraktion) vom 30.7.2020
Antwort Sozialreferentin Dorothee Schiwy:
In Ihrer Anfrage vom 30.07.2020 führen Sie Folgendes aus:
„Während der Mietenwahnsinn in München die Mieten immer weiter in die Höhe treibt, immer mehr Menschen keine bezahlbaren Wohnungen finden und die Anzahl an Wohnungs- und Obdachlosen auf knapp 10.000 angestiegen ist, stehen weiter Wohnungen und ganze Häuser in München leer. Der ‚Bericht zu Wohnungsleerständen 2018 in München‘ zeigt auf, dass es laut den Hochrechnungsergebnissen der Zusatzerhebung ‚Wohnen‘ des Mikrozensus aus dem Jahr 2014 39.000 leerstehende Woh- nungen gab bei einem Gesamtwohnungsbestand von rund 747.000 Woh- nungen. Dies entspricht einer Leerstandsquote von 5,22 Prozent (neue Er- gebnisse lagen zu diesem Zeitpunkt nicht vor). Bei städtischen Immobilien betrug diese Quote 2018 0,44 Prozent.
Baulich bedingter Leerstand ist nicht in Gänze zu vermeiden. Eine mehr als zehnfach höhere Leerstandsquote als bei den städtischen Immobilien macht jedoch deutlich, dass es sich hierbei um ein grundlegendes Problem handelt. Trotz Wohnungsnotsands in München stehen Häuser leer und wird günstiger Wohnraum regelmäßig zerstört. Es darf nicht geduldet werden, dass Wohnraum durch die Wette auf steigende Bodenpreise zum Spekulationsobjekt verkommt. Ein trauriges Beispiel dafür ist die Türkenstraße 52/54. Während die Immobilie zwischen 2008 und 2019 mehrfach den Besitzer gewechselt hat, wurden die Bewohner*innen entmietet, jahrelanger Leerstand hingenommen und letztendlich günstige Mietwoh- nungen abgerissen. In der gleichen Zeit hat sich der Bodenwert mehr als vervierfacht – leistungslose Gewinne auf Kosten der Mieter*innen und der Allgemeinheit.
Die Türkenstraße ist leider kein Einzelfall. Leerstand und Missbrauch von Eigentum findet sich in der ganzen Stadt. Ein bekannter Fall ist das Haus in der Agnesstraße 48. Seit Ende 2016 ist die Agnes48 UG Eigentümer, de- ren Geschäftsführer seit Mitte letzten Jahres Stefan Mayr ist, gleichzeitig Geschäftsführer von M-Concept Real Estate, die sich auf Luxusimmobilien spezialisiert haben. Seitdem das Haus in die Hände der Immobilienspekulanten geraten ist, mussten die Mieter*innen in den letzten Jahren Stück für Stück weichen. Wesentlich dafür waren eine Modernisierungsankündigung aus dem Jahr 2017 mit der eine Verdreifachung der Mieten ange- kündigt wurde und weitere Schikanen gegen die Bewohner*innen. Seit etwa einem Jahr steht das Haus mit seinen 15 Wohnungen komplett leer. Ein angedachter Abriss des Gebäudes konnte voraussichtlich durch die Aufnahme in die bayerische Denkmalliste (D-1-62-000-10049) verhindert werden.“
Da aufgrund von notwendigen Stellungnahmen anderer Referate eine fristgemäße Bearbeitung nicht möglich war, wurde einer Fristverlängerung zur Beantwortung bis 30.11.2020 zugestimmt.
Zu Ihrer Anfrage vom 30.07.2020 nimmt das Sozialreferat im Auftrag des Herrn Oberbürgermeisters im Einzelnen wie folgt Stellung:
Frage 1:
Wurde der beschriebene Leerstand über den städtischen Leerstandsmelder angezeigt? Welche Kenntnisse hat die Stadt München über den bestehenden Leerstand?
Antwort:
Der beschriebene Leerstand wurde nicht über die städtische Onlineplattform zur Meldung von vermuteten Zweckentfremdungen angezeigt. Im Oktober 2019 wurde das Sozialreferat, Amt für Wohnen und Migration, durch ein Schreiben einer Bürgerin auf den Leerstand des Anwesens aufmerksam gemacht. Gleichzeitig wurde im Oktober 2019 ein Antrag auf Genehmigung zur Zweckentfremdung durch Abbruch im Sozialreferat, Amt für Wohnen und Migration, eingereicht.
Frage 2:
Ist die Stadt dieser Zweckentfremdung nachgegangen? Welche Maßnahmen hat die Stadt bisher ergriffen, um den Leerstand zu beenden? Falls keine Maßnahmen ergriffen wurden: weshalb nicht?
Antwort:
Auf Grund des Abbruchantrages wurde ein Zweckentfremdungsverfahren eingeleitet. Maßnahmen um den Leerstand zu beenden wurden nicht ergriffen, da es sich bei dem Abriss des Anwesens um einen gerechtfertigten Leerstand im Sinne der Zweckentfremdungssatzung handelt.
Frage 3:
Wurde für das Objekt vor November 2019 eine Abrissgenehmigung beantragt? Gibt es Informationen zu den aktuellen Planungen an dem Haus?
Antwort:
Wie bereits erwähnt, wurde im Oktober 2019 eine Abbruchgenehmigung beim Sozialreferat, Amt für Wohnen und Migration beantragt. Dieser Antrag musste auch genehmigt werden, da der Eigentümer ausreichend Ersatzwohnraum angeboten hat und somit die Wohnraumbilanz insgesamt wieder ausgeglichen wird. Geplant ist der Neubau eines Wohn- und Geschäftshauses mit zweigeschossiger Tiefgarage in der Offenbachstraße 2. Für dieses Bauvorhaben wurde bereits am 17.09.2019 die Baugenehmigung erteilt.
Von der erteilten Abbruchgenehmigung kann jedoch kein Gebrauch gemacht werden, da das Gebäude Agnesstraße 48 in die Bayerische Denkmalschutzliste aufgenommen wurde und somit ein Abbruch nicht mehr möglich ist.
Ein Antrag auf Erlaubnis nach dem Bayerischen Denkmalschutzgesetz (BayDschG) auf Abbruch des Gebäudes wurde bei der Unteren Denkmalschutzbehörde nicht gestellt. Es liegen dort keine Informationen zu aktuellen Planungen vor.
Frage 4:
Gibt es Bestrebungen des Eigentümers gegen die Aufnahme der Immobilie in die Liste des bayerischen Denkmalschutzes gerichtlich vorzugehen?
Anwort:
Bei der Unteren Denkmalschutzbehörde ist nichts darüber bekannt, wonach der Eigentümer gegen die Aufnahme des Grundstückes in die Denkmalliste gerichtlich vorgehen will.
Frage 5:
Wie hoch beziffert die Stadt München den Bodenwertzuwachs des gesam- ten Grundstückes vom Zeitpunkt des Kaufs 2016 bis heute?
Antwort:
Auf Basis der Steigerung des Bodenrichtwertes ergibt sich nach Auskunft des Kommunalreferates, Bewertungsamt, für das Anwesen ein Bodenwertzuwachs von etwa 22% pro Jahr im Mittel, dies bedeutet seit 2016 rund 87%.
Frage 6:
Bei wem sieht die Stadt München die Hauptverantwortung für den beschriebenen Leerstand?
Antwort:
Die Verantwortung liegt im Regelfall weitgehend beim Verfügungsberechtigten. Die öffentliche Verwaltung kann nur im Spielraum der vom Gesetzgeber zur Verfügung gestellten Möglichkeiten agieren.
Frage 7:
Kann man nach Einschätzung der Stadt im Fall der Agnesstraße 48 von einem offenbaren Missbrauch des Eigentumsrechtes sprechen?
Antwort:
Hierfür gibt es keine Anhaltspunkte. Das Recht am Eigentum stellt einen verfassungsrechtlichen Grundsatz dar, der nur in engen Grenzen eingeschränkt werden kann. Rein rechtlich betrachtet, missbrauchen diejenigen ihr Eigentumsrecht nicht, die über ihr Eigentum in den Grenzen des rechtlich Zulässigen verfügen. So verhält es sich grundsätzlich auch im vorliegenden Fall.
Frage 8:
Wann kann damit gerechnet werden, dass dieses Anwesen wieder einer Nutzung zugeführt wird?
Antwort:
Ausgangslage ist, dass das Anwesen Agnesstraße 48 abgebrochen werden soll. Der für den Abbruch des Gebäudes erforderliche zweckentfremdungsrechtliche Ersatzwohnraum in der Offenbachstraße 2 ist innerhalb einer Frist von drei Jahren bezugsfertig herzustellen.
Von der Genehmigung auf Abbruch kann aber derzeit kein Gebrauch gemacht werden. Denn sollte kein zusätzlicher Antrag auf Erlaubnis nach dem Bayerischen Denkmalschutzgesetz auf Abbruch des Gebäudes bei der Unteren Denkmalschutzbehörde eingereicht werden, kann das Gebäude nicht abgebrochen werden.
Dennoch ist der zweckentfremdete Wohnraum in der Agnesstraße 48 mit Erstellung des Ersatzes in der Offenbachstraße 2 abgegolten, da die Wohnraumbilanz insgesamt wieder ausgeglichen ist. Der Eigentümer ist in der beabsichtigten Nutzung, wenn Ersatzwohnraum geschaffen wurde, nichtzwingend an einen Abbruch gebunden. Eine Nutzungsänderung, unabhängig von Wohnen, ist auch hier denkbar. Bei Bauprojekten über mehrere Jahre kommt es vor, dass ursprüngliche Planungen verändert und angepasst werden. Eine Nutzungsänderung steht dann noch gegebenenfalls unter dem Vorbehalt baurechtlicher Genehmigungen.
Wann und wie das Anwesen in der Agnesstraße 48 wieder einer Nutzung zugeführt wird, kann das Sozialreferat, Amt für Wohnen und Migration, somit nicht abschätzen. Der Eigentümer hat hierzu noch keine weiteren Informationen geliefert.
Ich versichere Ihnen, dass die Landeshauptstadt München und ich im Bereich der Zweckentfremdung unser Möglichstes tun. Bezahlbarer Wohnraum in München ist mir ein zentrales Anliegen.