Oberbürgermeister Dieter Reiter tritt in einem offenen Brief an den Bundestagsabgeordneten Stephan Pilsinger, den per Postkarten geschürten Gerüchten entgegen, die Stadt beabsichtige, eine Satzung zur massiven Nachverdichtung von Gartenstädten zu erlassen: „Seit einigen Tagen erreichen mich vorgedruckte Postkarten von Bürgerinnen und Bürgern, auf denen Sie als Verantwortlicher im Sinne des Presserechts genannt sind und mit denen die Stadt aufgefordert wird, ‚keine Satzung zu erlassen, die zu einer massiven Nachverdichtung in unseren Gartenstädten führen würde‘. Entsprechend künden auch Plakate in den Außenbezirken der Stadt vom Engagement der CSU für die Gartenstädte. Ihre Aktion führt leider völlig in die Irre. Sie wollen damit augenscheinlich von einem aktuellen Problemthema ablenken, das uns die CSU-geführte Staatsregierung kurz vor Weihnachten beschert hat: Nach einem aktuellen Gesetzentwurf aus dem Bayerischen Bauministerium sollen die Abstandsflächen bayernweit von der bisherigen Regelung (2x ganze Abstandsflächen, 2x halbe Abstandsflächen) auf 0,4 H auf allen vier Seiten reduziert werden. Für Großstädte über 250.000 Einwohner soll diese Regelung aber nur gelten, wenn sie per Satzung angeordnet wird.
Diese Regelung stößt allerorten auf Ablehnung. Die Landeshauptstadt und der Bayerische Städtetag sind dem mittlerweile in der kurzen Äußerungsfrist, die den Verbänden eingeräumt wurde, entgegengetreten. Scheinbar schafft die Regelung für Großstädte erst einmal ein Aufatmen, bei näherer Betrachtung eine gefährliche Situation.
Der Gesetzentwurf kann nicht darlegen, warum bayernweit mit 0,4 H verdichtet werden soll, aber ausgerechnet die Großstädte ausgenommen bleiben. Nach Einschätzung verschiedener Fachleute wird diese Regelung keinen Bestand haben können. Sie ist landesplanerisch widersinnig, Gebiete mit schutzwürdigen Grünstrukturen gibt es auch in Gemeinden mit kleine- ren Größenklassen. Wird die Sonderregelung aufgehoben, dann würde das neue Abstandsflächenrecht unmittelbar auch für die Stadt München gelten. Der Gesetzentwurf enthält auch eine Möglichkeit für Kommunen, die 0,4 H-Regelung durch Ortsrecht wieder zu erweitern. Dieser Weg ist ebenso gefährlich. In mehreren Urteilen haben die Verwaltungsgerichte festgestellt, dass einmal zugewachsenes Baurecht nicht durch Ortsrecht eingeschränkt werden kann. Deshalb wurde zum Beispiel im Jahr 2004 die sogenannte Gartenstadtsatzung mit erweiterten Abstandsflächen für die Gebiete der ehemaligen Baustaffel 9 und 10 vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof für rechtswidrig erklärt und aufgehoben.
Die Landeshauptstadt München und der Bayerische Städtetag sind dem Regelungsvorschlag wie gesagt daher entschieden entgegengetreten. Es sollte nach unserer Auffassung bayernweit bei der bisherigen Regelung bleiben.
Ihre Postkartenaktion suggeriert, die Stadt plane eine entsprechende 0,4 H-Satzung für die Gartenstadtbereiche. Ich kann Ihnen versichern: Das ist nicht der Fall! Im Gegenteil, die Stadt hat an verschiedener Stelle in Stadtratsbeschlüssen zur Siedlungsentwicklung dokumentiert, dass die Gartenstadtbereiche nicht Gegenstand aktiver Nachverdichtung sein sollen, sondern dass es dort um den vernünftigen Umgang mit den vorhandenen Baurechtsreserven geht und um den Erhalt der noch überwiegend intakten Grünzonen in den Blockinnenbereichen. Die Gartenstädte tragen mit ihrem geringeren Überbauungsgrad auch zum Stadtklima bei, wie sich auf Stadtklimakarten eindrucksvoll belegen lässt. Die Gartenstadtbereiche weisen zum Teil eine höhere Artenvielfalt auf als die landwirtschaftlich geprägten Siedlungsstrukturen im Umland, um hier nur einige Argumente zu nennen. Das Referat für Stadtplanung und Bauordnung hat die Quartiere, die seinerzeit im Rahmen der Gartenstadtsatzung definiert worden sind, in den letzten Jahren systematisch untersucht. Zudem wurden in zunächst sechs Quartieren Rahmenplanungen aufgesetzt, die einzelne größere Siedlungszusammenhänge untersucht haben. Eine aktuelle Pressemeldung sowie die druckfrische Broschüre des Referats für Stadtplanung und Bauordnung, in der die Zusammenhänge erläutert werden, habe ich Ihnen beigelegt. Als Bundestagsabgeordneter müssen Sie sich auch fragen lassen, warum Ihnen der Schutz der Gartenstädte in München eine Postkartenaktion wert ist, und Ihnen die bayernweit vorgesehene Regelung 0,4 H nichts auszumachen scheint.
Also nochmal zur Klarstellung: Die Stadt plant keine Satzung, die ‚zu einer massiven Nachverdichtung in unseren Gartenstadtbereichen führen würde‘ – im Gegenteil, sie unternimmt alle Anstrengungen zum Schutz des Charakters der Gartenstädte. Bitte Fragen Sie beim nächsten Mal einfach nach. Das Referat für Stadtplanung und Bauordnung informiert Sie gerne. Ich schlage Ihnen vor, dass Sie die Postkartenaktion einfach umadressieren: An die Bayerische Staatsregierung, Staatsministerium für Wohnen, Bau und Verkehr, Franz-Josef-Strauß-Ring 4, 80539 München, mit der Bitte, unausgegorene Experimente, die zu einer Gefährdung der Münchner Gartenstadtbereiche führen können, zu unterlassen und es bei der bisherigen Regelung zu belassen. Sie unterstützen damit die Haltung, die der Bayerische Städtetag und der Gemeindetag in der Sache eingenommen haben.“