Gastspiel Roter Stern Belgrad – Rechte Hooligans am Marienplatz?
Anfrage Stadtrats-Mitglieder Dominik Krause und Anja Berger vom
20.9.2019
Antwort Kreisverwaltungsreferent Dr. Thomas Böhle:
Herr Oberbürgermeister Reiter hat mir Ihre Anfrage vom 20.9.2019 zur Beantwortung überlassen.
Inhaltlich teilen Sie Folgendes mit:
„Am Nachmittag und Abend des 18.9.2019, Mittwoch, kam es vor dem Rathaus Berichten zufolge zu Ausschreitungen zwischen opponierenden Teilnehmer*innen der Kundgebung um die rechte Initiative ‚Bürgerbewegung Pax Europa‘ (BPE) und Anhänger*innen des serbischen Fußballclubs Roter Stern Belgrad, die sich für ein Spiel ihrer Mannschaft gegen den FC Bayern am selben Abend in München befanden. Zur gleichen Zeit wie die Fußballfans befand sich die allwöchentlich am Mittwoch stattfindende Kundgebung der rechten Initiative ‚BPE‘ am Marienplatz (angemeldet von 16 bis 22 Uhr) sowie die in diesem Zusammenhang immer anwesenden opponierenden Teilnehmer*innen. Augenzeugenberichten zufolge waren die Fußballfans bereits mittags stark alkoholisiert, gegen 16 Uhr kam es zu den ersten Zwischenfällen zwischen Fans und opponierenden Teilnehmer*innen. Diesen wurden LGBTIQ-positive Schilder aus der Hand gerissen und zerstört, die Hooligans sollen die opponierenden Teilnehmerinnen außerdem mit dem Handy abfotografiert und teilweise körperlich bedroht haben. Im Laufe des Abends wurden deren Attacken gegen die Gegende- monstranten heftiger. Betroffene berichten von einer Eskalation gegen 18 Uhr und dem Gefühl ‚zwischen Rechten ungeschützt eingekeilt gewesen zu sein‘.
Neben Zigarettenstummeln und Bierflaschen soll auch Pyrotechnik auf die Gegendemonstranten geworfen worden sein, Menschen sollen bespuckt, homophoben Attacken ausgesetzt und Frauen mit sexualisierten Gesten bedroht worden sein, die laut Augenzeugenberichten in den Bereich der sexualisierten Belästigung gingen. Die Polizei schritt den Betroffenen zufolge erst zu einem Zeitpunkt ein, als viele Gegendemonstranten sich gezwungen sahen, ihren Protest bereits aufzugeben und den Marienplatz zu verlassen. Eine Betroffene berichtet, dass von Schutz durch die Polizei ‚wenig bis nichts zu sehen‘ gewesen sei. Stattdessen seien sie von der Polizei dazu aufgefordert worden, Eskalation vorzubeugen durch Selbstbeschneidung ihrer Demonstrationsrechte. Empfohlen worden sei u.a. keine LGBTI*Q-Fahnen mehr zu zeigen und den Platz zu verlassen.Die Fanszene des Fußballclubs Roter Stern Belgrad ist weit über Serbien hinaus bekannt für ihre in weiten Teilen rechte, nationalistische, homo- phobe und gewaltbereite Einstellung – ein kurzer Blick in die Presse genügt, um sich einen Eindruck hiervon zu verschaffen.1 Seit der Auslosung des Spiels Ende August war abzusehen, dass es sich bei diesem Spiel um ein Hochrisikospiel handelt, bei dem viele Fans aus der rechten Szene zu erwarten waren. Der Marienplatz ist zudem häufig ein von Fußballfans in München gewählter Versammlungspunkt vor Spielen.“
Nachdem sich die Fragen der Anfrage inhaltlich im Wesentlichen an die Polizei richten, ist das Polizeipräsidium München eingebunden worden, aus deren Stellungnahme vom 16.10.19 ich zitieren darf. Ihrer Stellungnahme schickt das Polizeipräsidium München noch folgendes voraus:
„Seitens der Polizei wurde keine Anordnung getroffen, welche das Zeigen von Kundgebungsmitteln (Regenbogenfahne) beschränkt oder untersagt hätte. Anwesenden Versammlungsteilnehmern wurde durch den Polizeiführer (auch unter Anwesenheit des Stadtrates Herrn Offman) geraten, sich auf keinerlei Konfrontationen mit Fußballfans einzulassen und sich im Falle eines Konfliktes sofort an einen der zahlreich anwesenden Polizeibeamten zu wenden. In diesem Zuge wurde das hohe Emotionalisierungspotential der Regenbogenfahne bei den serbischen Fußballfans erörtert. Besagte Regenbogenfahnen wurden dann durch die Versammlungsteilnehmer freiwillig eingerollt.“
Zusammenfassend beantworte ich Ihre Fragen wie folgt:
Frage 1:
War der Polizei die Bedrohungslage für die opponierenden Teilnehmer*innen an jedem Abend in Anbetracht zweier rechter Versammlungen auf dem Marienplatz klar?
Antwort:
Stellungnahme des Polizeipräsidiums München vom 16.10.19: „Im Vorfeld ergaben sich für das Polizeipräsidium München keine konkreten Anhaltspunkte, dass es auf dem Marienplatz zu Auseinandersetzungen zwischen Teilnehmern der Versammlung PAX Europa und Fußballfans kommt.“
Frage 2:
Zur rechten Fußballfanszene:a. Gibt es ein besonderes Sicherheitskonzept der Polizei München für Hochrisikospiele,bei denen Fußballfans aus der rechten Hooligan-Szene in München zu erwarten sind?
b. Wie unterscheidet sich dieses vom allgemeinen Sicherheitskonzept bei Hochrisikospielen?
Antwort zu Frage 2a:
Stellungnahme des Polizeipräsidiums München vom 16.10.19: „Das Polizeipräsidium München trifft für jedes Fußballspiel im Einzelfall eine Gefahrenprognose. Dabei wird hinsichtlich des Sicherheitskonzeptes zwischen den verschiedenen Risikoeinstufungen eines niedrigen, mittleren und hohen Risikos unterschieden. Erkenntnisse hinsichtlich einzelner Fangruppierungen fließen in die Lagebeurteilung der jeweiligen Begegnung mit ein.“
Antwort zu Frage 2b:
Stellungnahme des Polizeipräsidiums München vom 16.10.19: „Polizeiliche Maßnahmen werden unter der Berücksichtigung der jeweiligen Erkenntnisse grundsätzlich lageangepasst getroffen (z.B. ein erhöhter Kräfteansatz).“
Frage 3:
Zu Versammlungen im Kontext der rechten Initiative „Bürgerbewegung Pax Europa“
a. Wie schätzt die Polizei die Sicherheitslage rund um die Versammlungen der BPE ein?
b. Warum wurde die Versammlung der BPE an jenem Abend genehmigt, obwohl absehbar war, dass eine größere Anzahl rechter Fußballfans am Marienplatz sein könnte?
c.Hat sich diese Einschätzung nach dem Fund einer Anscheinwaffe am 11.9.2019 verändert?
Antwort zu Frage 3a:
Stellungnahme des Polizeipräsidiums München vom 16.10.19: „In der Vergangenheit kam es bei Versammlungen der BPE mehrfach zu Straftaten. Dabei handelt es sich bei den angezeigten Straftaten in der Vielzahl um Beleidigungsanzeigen, oftmals zum Nachteil des Versammlungsleiters der BPA Herrn Stürzenberger.“
Antwort zu Frage 3b:
Bei der Regelung des Versammlungsgeschehens gibt es für die Versammlungsbehörde des Kreisverwaltungsreferates folgende Grundvor-aussetzungen zu berücksichtigen: Versammlungen unterliegen nach dem Grundgesetz keiner Erlaubnispflicht, sondern müssen nach dem Bayerischen Versammlungsgesetz lediglich angezeigt werden. Sie werden also behördlich nicht genehmigt. Verbote, Beschränkungen und örtliche Verlegungen sind nur dann möglich, wenn die öffentliche Sicherheit und Ordnung unmittelbar gefährdet ist. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung darf die Schwelle für einen Eingriff nicht zu niedrig angelegt werden und es muss nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz immer das mildeste, geeignete und erforderliche Mittel angewendet werden. Unter Berücksichtigung der Bedeutung der Versammlungsfreiheit darf die Behörde bei dem Erlass von vorbeugenden Verfügungen keine zu geringen Anforderungen an die Gefahrenprognose stellen. Als Grundlage der Gefahrenprognose sind konkrete und nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte erforderlich; bloße Verdachtsmomente oder Vermutungen reichen hierzu nicht aus. Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen von Gründen für ein Verbot oder eine Auflage liegt grundsätzlich bei der Behörde. Das Bundesverfassungsgericht betont dabei immer wieder die elementare Bedeutung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit nach Art. 8 GG für unser Demokratie- und Rechtsstaatsverständnis. Diese Ausübung der geschilderten Versammlungsfreiheit nach Art. 8 GG besteht im Rahmen des Rechts auf freie Meinungsäußerung und der Versammlungsfreiheit für alle Personen, unabhängig von ihrer politischen Meinung.
Der Veranstalter einer Versammlung hat grundsätzlich die freie Disposition über die Wahl des Versammlungsortes. In diesem Fall hatte der Veranstalter explizit den Marienplatz gewählt. Unter Beachtung dieser rechtlichen Voraussetzungen lag bezüglich der konkreten Versammlung keine Sachlage vor, die eine örtliche Verlegung der Versammlung gerechtfertigt hätte. Es konnte im Vorfeld nicht prognostiziert werden, dass Fussballfans mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit in Streit mit Versammlungsteilnehmern geraten würden.
Stellungnahme des Polizeipräsidiums München vom 16.10.19: „Siehe Frage 1.
Ergänzend dürfen wir darauf hinweisen, dass die Durchführung von Versammlungen nach Art. 8 GG und dem Bayerischen Versammlungsgesetz keinem Genehmigungsvorbehalt unterliegt.“
Antwort zu Frage 3c:
Stellungnahme des Polizeipräsidiums München vom 16.10.19: „Der Sachverhalt ist im Moment noch Gegenstand polizeilicher Ermittlungen."
Frage 4:
Zum Ort der Geschehnisse am 18.9.2019:
a. Wurden die Fans von Roter Stern Belgrad von der Polizei bewusst auf den Marienplatz geleitet?
i. Falls ja:
1. Warum wurden die Fans auf den Marienplatz geleitet, obwohl dort bereits eine Versammlung angezeigt war? 2. Warum wurde die daraus entstehende, absehbare Bedrohungs lage für die opponierenden Teilnehmerinnen in den Planungen nicht berücksichtigt?
ii. Falls nein: Wie kann es sein, dass die Ansammlung am Marienplatz nicht erhindert werden konnte, obwohl die daraus entstehende Bedro hungslage für die opponierenden Teilnehmer*innen hätte bekannt sein müssen?
Antwort zu Frage 4a:
Stellungnahme des Polizeipräsidiums München vom 16.10.19: „Nein.“
Antwort zu Frage 4a, i, 1, 2:
Entfällt auf Grund der Antwort zu Frage 4a.
Antwort zu Frage 4 ii:
Stellungnahme des Polizeipräsidiums München vom 16.10.19: „Den Fans steht es wie allen anderen Personen grundsätzlich frei, sich im Stadtgebiet zu bewegen. Erfahrungsgemäß suchen sowohl Fußballfans der Gast- als auch der Heimmannschaft vor den Spielen Lokale in der Innenstadt auf. Dabei verhielten sich die überwiegende Zahl von Fans friedlich im Altstadt- und Fußgängerzonenbereich. Aufgrund der weltweiten Bekanntheit des Münchner Marienplatzes wird dieser oft von ausländischen Fußballfans vor den Spielen als Treffpunkt genutzt, Im Weiteren wird auf die Antworten zu Frage 1 und 5b verwiesen.“
Frage 5:
Zu den Geschehnissen am 18.9.2019:
a. Was ist aus der Sicht der Landeshauptstadt am Nachmittag und Abend des 18.9.2019 geschehen?
b.Was wurde im Voraus und vor Ort getan, um die Proteste der opponie- renden Teilnehmerinnen zu schützen?
c.Warum hat die Polizei erst so spät deeskalierend eingegriffen? d.Kam es zu Anzeigen? Falls ja: Wegen was? e.Kam es zu Festsetzungen? Falls ja: Wegen was?
Antwort zu Frage 5a:
Die Vereinigung „Bürgerbewegung Pax Europa e.V.“ zeigte am 27.8.2019 beim Kreisverwaltungsreferat eine stationäre Versammlung mit dem Thema „Aufklärung über den politischen Islam“ an. Der Veranstalter rechnete mit ca. 10 bis 15 Teilnehmern. Die Versammlung fand am 18.9.2019 in der Zeit von 16.20 bis 22 Uhr statt. Die Versammlungsfläche war großflächig abgegittert. Während der Versammlung waren in der Spitze 18 mit Pax Europa sympathisierende Versammlungsteilnehmer sowie bis zu 85 Opponierende anwesend. Die Stimmung war immer wieder emotional.
Gegen 17.40 Uhr kam es zwischen einem Fußballfan und einem opponierendem Versammlungsteilnehmer zu einem Streit, in dessen Folge auch eine Flasche geworfen wurde. Aufgrund der Auseinandersetzung wurde die Versammlung durch den Versammlungsleiter für ca. 1 Stunde unterbrochen.
Die Versammlung wurde vor Ort seitens der Polizei umfassend betreut und abgesichert; nach Feststellung des Streits wurden die erforderlichen polizeilichen Maßnahmen ergriffen.
Antwort zu Frage 5b:
Stellungnahme des Polizeipräsidiums München vom 16.10.19: „Im relevanten Zeitraum befand sich eine hohe Anzahl von Einsatzkräften in der Innenstadt, insbesondere im Bereich Marienplatz, sowohl aufgrund der anwesenden Fußballfans als auch zum Schutz der Versammlung. Dabei wurden auch Kommunikationsteams und serbisch-sprachige Beamtinnen und Beamte eingesetzt. Außerdem wurden geschlossene Einheiten hinter den opponierenden Teilnehmern der Versammlung bereitgehalten, um bei einer Lageverschärfung sofort eingreifen zu können.“
Antwort zu Frage 5c:
Stellungnahme des Polizeipräsidiums München vom 16.10.19: „Unmittelbar bei Feststellung der Auseinandersetzung wurde zwischen beiden Seiten eine Polizeikette zum Schutz der Versammlungsteilnehmer gebildet. Durch einen Flaschenbewurf von einem Fußballfan wurde ein eingesetzter Polizeibeamter verletzt. In der Folge kam es zu keinen weiteren Störungen mehr. Der Täter des Flaschenwurfes wurde festgenommen (siehe Frage 5e).“
Antwort zu Frage 5d und 5e:
Stellungnahme des Polizeipräsidiums München vom 16.10.19: „Am Einsatztag wurden im Bereich des Marienplatzes fünf Personen wegen veranstaltungstypischer Taten festgenommen sowie bei einer Person die Identität festgestellt. Bei den Delikten handelt es sich um ein Vergehengemäß Betäubungsmittelgesetz, Vergehen der Beleidigung in Tateinheit mit Verstoß Bayer. Versammlungsgesetz, Vergehen der Sachbeschädigung, Vergehen der gefährlichen Körperverletzung (tätlicher Angriff auf Polizeibeamte), versuchte gefährliche Körperverletzung (Flaschenwurf auf Polizeibeamte), Vergehen wegen Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen (SS-Totenkopf auf Jacke) sowie eine Ordnungswidrigkeit gemäß Sprengstoffgesetz. Alle Festgenommenen unterschiedlicher Nationalität können der Anhängerschaft von FK Roter Stern Belgrad zugeordnet werden.“
Um Kenntnisnahme der vorstehenden Ausführungen wird gebeten. Ich gehe davon aus, dass die Angelegenheit damit abgeschlossen ist.
1 Vgl. u.a. https.//www deutschlandfunkkultur.de/fussball-in-serbien-der-hexenkessel-von-roter-stern-belqrad.966.de.html?dram:article_id-418861; https://www.zeit.de/sport/2019-03/serbien-hooligans-gewalt-fussball; https:// www.11freunde.de/artikel/wie-die-hooliaans-von-roter-stern-belgrad-zu-moerdern-wurden