Bericht zum 3. Geschlechtseintrag in der Landeshauptstadt München
Antrag Stadtrats-Mitglieder Beppo Brem, Marion Lüttig, Thomas Niederbühl (Fraktion Die Grünen – Rosa Liste) und Christian Vorländer, Micky Wenngatz (SPD/Volt-Fraktion) vom 24.11.2020
Antwort Oberbürgermeister Dieter Reiter:
In Ihrem Stadtratsantrag vom 24.11.2020 fordern Sie von der Stadtverwaltung die Vorlage eines Berichts über die gesamtstädtische Umsetzung des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts zum 3. Geschlechtseintrag.
Sie wünschen eine Darstellung der erfolgten oder geplanten Umsetzung
- zu Auswahlmöglichkeiten bzw. Bezeichnungen z.B. in Formularen, Stellenausschreibungen
- im zentralen und dezentralen IT-Wesen
- von weiteren erforderlichen Änderungen (z.B. Ausstattung mit geschlechtsneutralen Toiletten usw.)
Dabei ist Ihnen im Interesse einer diskriminierungsfreien Behandlung aller geschlechtlichen Identitäten wichtig, dass alle im Personenstandswesen möglichen Geschlechter berücksichtigt werden.
Sie sind mit einer Beantwortung Ihres Antrages durch Antwortschreiben einverstanden. Dafür danke ich Ihnen und beantworte Ihren Antrag mit nachstehenden Ausführungen.
Das Direktorium hat dazu eine Bestandsaufnahme bei den Referaten und den städtischen Gesellschaften durchgeführt. Zu den Details verweise ich auf die Anlagen zu diesem Antwortschreiben.
Der Landeshauptstadt München ist es schon seit vielen Jahren ein zentrales Anliegen, die Gleichstellung der Geschlechter voranzubringen. Lange Zeit hat sich dies vor allem auf die Gleichstellung von Frauen und Männern bezogen. Mittlerweile haben sich sowohl die gesellschaftlichen Realitäten als auch die rechtlichen Vorgaben in Bezug auf Geschlecht und Geschlechtsidentitäten deutlich verändert. Daher ist es für mich als Oberbürgermeister selbstverständlich, dass sich die Gleichstellungsbemühungen der Landeshauptstadt München nun auch auf die weiteren Geschlechter und Geschlechtsidentitäten ausweiten. Dies bedeutet, dass auch die Belange von trans*, inter*, nicht-binären und queeren Menschen einbezogen werden. Damit sind sowohl Frauen und Männer als auch Menschen mit den Geschlechtseinträgen „divers“ und „ohne Angabe“ berücksichtigt.
1. Rechtliche Vorgaben
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) gab in seinem Beschluss vom 10.10.2017 – 1 BvR 2019/16 folgende Leitsätze vor:
1. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) schützt die geschlechtliche Identität. Es schützt auch die geschlechtliche Identität derjenigen, die sich dauerhaft weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuordnen lassen.
2. Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG schützt auch Menschen, die sich dauerhaft weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuordnen lassen, vor Diskriminierungen wegen ihres Geschlechts.
3. Personen, die sich dauerhaft weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuordnen lassen, werden in beiden Grundrechten verletzt, wenn das Personenstandsrecht dazu zwingt, das Geschlecht zu registrieren, aber keinen anderen positiven Geschlechtseintrag als weiblich oder männlich zulässt.
2. Stadtweite Maßnahmen
Die fachliche Zuständigkeit für das Thema „Gleichstellung von trans*, inter*, nicht-binären und queeren Menschen“ hat die Koordinierungsstelle zur Gleichstellung von LGBTIQ* (KGL) inne. Es besteht eine enge fachliche Kooperation zu dem Thema „geschlechtliche Identität“ mit der Gleichstellungsstelle für Frauen (GSt).
Die Sensibilisierung innerhalb der Verwaltung zu diesen Themen ist ein sehr arbeitsaufwändiger Prozess, der hauptsächlich von KGL und GSt geleistet wird und für den derzeit keinerlei zusätzliche Personalressourcen zur Verfügung gestellt sind.
Im Folgenden liste ich Ihnen auf, welche Maßnahmen zentral durch die Dienststellen des Direktoriums veranlasst worden sind. Die konkreten Umsetzungsmaßnahmen der Referate sowie der städtischen Gesellschaften entnehmen Sie bitte den angefügten Tabellen.
2.1 Sprachregelung für die Münchner Stadtverwaltung
Sprache stellt eine zentrale Bedeutung für die Umsetzung der neuen Personenstandsregelungen dar. Ohne die Möglichkeit, die verschiedenen Geschlechter und geschlechtlichen Identitäten sprachlich fassen zu können, wäre eine Umsetzung in der Verwaltung nicht denkbar gewesen.Daher habe ich mit Wirkung zum 1.12.2019 verfügt, die geltende Sprachregelung in der Allgemeinen Geschäftsanweisung der Landeshauptstadt München (AGAM) den neuen Erfordernissen anzupassen. Die aktuelle Sprachregelung berücksichtigt nunmehr sowohl die Änderungen im Personenstandswesen als auch die daraus notwendig werdenden sprachlichen Änderungen.
Im dienstlichen Schriftverkehr sowie bei städtischen Bekanntmachungen, Publikationen und Veröffentlichungen aller Art formuliert die Münchner Stadtverwaltung Texte im Sinne der sprachlichen Erfüllung des Gleichstellungsgebots. Sie spricht Personen geschlechterdifferenziert unter Nennung der weiblichen Form an erster Stelle in Kombination mit geschlechtsneutralen Begriffen an (z.B. Liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, liebe Beschäftigte). Für die Darstellung geschlechtlicher Vielfalt können entweder der Genderstern oder das Gender Gap verwendet werden (Mitarbeiter*innen, Mitarbeiter_innen). Die Regelung zur geschlechtergerechten Sprache spricht folglich gleichermaßen ausgewogen Personen aller Geschlechter an.
Ergänzend zur AGAM-Festlegung hat das Direktorium einen Leitfaden bzw. Arbeitshilfe für geschlechtergerechte Sprache erarbeitet. Sprache verändert sich im Prozess und gesellschaftlichen Diskurs. Deshalb ist die Arbeitshilfe ein laufender Prozess.
2.2 Fachkonzept für die städtische IT
Da weite Bereiche der IT-Anwendungen von den Änderungen betroffen sind, wurde ein Fachkonzept entwickelt und dem IT-Referat zur Verfügung gestellt. Das IT-Referat wird die Umsetzung federführend vornehmen und dabei auf die Fachexpertise von KGL und GSt zurückgreifen. Geplant ist, ein stadtweites IT-Projekt ab 2022 durchzuführen. Vorbereitungsarbeiten hierzu sollen bereits in 2021 stattfinden.
2.3 Grundsatzpapier zur geschlechtergerechten Toilettenaufteilung
KGL und GSt haben ein Grundsatzpapier entwickelt, welches mit den Fachreferaten abgestimmt wird. Auf Grundlage dieses Papiers sollen in Zukunft bei Sanierungen und Neubauten sowie in Bestandsbauten Toiletten für alle Geschlechter und geschlechtlichen Identitäten zur Verfügung gestellt werden.
2.4 Unterstützung der Referate und Fachberatung
Durch die Gleichstellungsstelle für Frauen und die Koordinierungsstelle zur Gleichstellung von LGBTIQ* werden die Referate und städtischen Dienststellen in vielfältiger Form unterstützt, Veränderungsprozesse auf den Weg zu bringen. Dies umfasst zum Beispiel Fragen zu Statistiken, Formulierungen, Beschilderung von Toiletten und sonstigen Räumen.
Hierzu wurde unter der Federführung von KGL bereits sehr früh das Arbeitsgremium zur „Umsetzung 3. Geschlechtsoption“ gebildet, in dem alle Referate jeweils mindestens durch eine zentrale Ansprechperson vertreten sind. Handlungsbedarfe auf verschiedensten Ebenen (z.B. juristischer, dienstrechtlicher, gleichstellungsrelevanter, medizinischer, sozialer, menschenrechtlicher Art) werden identifiziert, um daraus eine klare Haltung der Stadt sowie entsprechende interne Regelungen zu entwickeln. Dies alles geschieht mit dem Ziel, auch weiterhin möglichst diskriminierungsfreie Angebote, Räume und Vorgehensweisen sicherstellen zu können. Es hat sich hier gezeigt, dass die Umsetzung ein komplexer Prozess ist und die Änderungsbedarfe Schritt für Schritt umgesetzt werden müssen.
2.5 Unterstützung von Beschäftigten
KGL und GSt haben Anliegen und Problemlagen von Beschäftigten aufgegriffen und damit bereits im Vorfeld von längerfristig angelegten Veränderungsprozessen in Kooperation mit weiteren Verwaltungsstellen angemessene und zufriedenstellende Lösungen entwickelt. Dies betraf z.B. die Möglichkeit, im elektronischen Telefonbuch der Landeshauptstadt München eine bis dato verpflichtende geschlechtszuweisende Anrede („Frau“/ „Herr“) weglassen zu können.
Zudem konnte erreicht werden, dass in verschiedenen Verwaltungsgebäuden Toiletten für alle Geschlechter und geschlechtlichen Identitäten zur Verfügung gestellt wurden, so dass betroffene Beschäftigte diese diskriminierungsfrei nutzen können. Hier ist allerdings zu sehen, dass es noch viele Verwaltungsgebäude gibt, deren Toilettenausstattung nicht den Erfordernissen entspricht. Wie unter Punkt 2.3 beschrieben, wird der Verwaltung hierzu ein Konzept zur Verfügung gestellt, damit sich die Situation in absehbarer Zeit verbessert.
Die persönliche Unterstützung von städtischen Beschäftigten bedarf eines differenzierten Beratungssystems. Hierfür besteht bereits ein gut funktionierendes Netzwerk (z.B. KGL, GSt, Zentrale Beschwerdestelle nach dem AGG, Psychosoziale Beratungsstelle, Personalratsgremien usw.). Die Er-fahrungen der KGL und GSt zeigen, dass Begleitung und Unterstützung für die Beschäftigten und für die Dienststellen unverzichtbar sind.
3. Fazit und Vorschau
Die Umsetzung des Personenstandsgesetzes erfordert – wie oben beschrieben – einen Veränderungsprozess, der die gesamte Verwaltung in vielen unterschiedlichen Bereichen betrifft. Dieser Prozess ist begonnen, wird jedoch bis zu einer vollständigen Umsetzung noch einige Zeit in Anspruch nehmen. Dabei gibt es sowohl zentral zu steuernde Bereiche als auch solche, die in der Verantwortung der Referate liegen.
Das Direktorium und dort insbesondere meine Stabsstellen, die Gleichstellungsstelle für Frauen und die Koordinierungsstelle zur Gleichstellung von LGBTIQ*, werden diesen Prozess weiterhin begleiten und in Kooperation mit den Referaten dafür sorgen, dass die stadtweite Umsetzung voranschreitet.
Die Anlage zur Antwort kann abgerufen werden unter: https://www.ris-muenchen.de/RII/RII/ris_antrag_dokumente.jsp?risid=6349598