Pflege-Notstand in Zeiten der Pandemie
Anfrage Stadtrats-Mitglieder Professor Dr. Jörg Hoffmann, Gabriele Neff, Richard Progl und Fritz Roth (FDP BAYERNPARTEI Stadtratsfraktion) vom 20.4.2021
Antwort Gesundheitsreferentin Beatrix Zurek:
Ihrer Anfrage liegt folgender Sachverhalt zu Grunde:
„Bereits vor der Corona-Pandemie kam die Notfallversorgung in München oft an ihre Grenzen. Regelmäßig meldeten sich Kliniken bzw. deren Abteilungen auf der IVENA-Seite der Münchner Rettungsleitstelle ab, d.h. ihre Notfallkapazitäten waren vollkommen ausgeschöpft. Zudem mussten häufig wegen Personalmangels Betten „gesperrt“ werden, so dass tatsächlich weniger Patienten aufgenommen werden konnten als die theoretische Bettenanzahl vorgibt. Die IVENA-Seite ist seit längerem nicht mehr öffentlich einsehbar, aber es ist nicht davon auszugehen, dass sich die Situation seitdem entspannt hat. Im Gegenteil wurde schon in der ersten Welle der Corona-Pandemie auf drastische Art deutlich, wie sehr das medizinische Personal bis an die Belastungsgrenzen arbeiten musste und dass vor allem im Pflegebereich mehr Personal nötig ist.“
Herr Oberbürgermeister Reiter hat mir Ihre Anfrage zur Beantwortung zugeleitet. Die darin aufgeworfenen Fragen beantworte ich unter Berücksichtigung der Stellungnahme der München Klinik, die über die Abteilung Beteiligungsmanagement München Klinik der Stadtkämmerei (SKA 1.1) angefragt wurde, wie folgt:
Frage 1:
Wie viele Intensivbetten der Münchner Krankenhäuser können wegen Personalmangels derzeit nicht belegt werden? Bitte aufteilen in München Klinik, Universitäts- und sonstige Kliniken.
Antwort:
Die Gesamtzahl der Intensivbetten in Münchner Krankenhäusern beträgt laut der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI e.V.) derzeit 647 Betten. Zu der Frage, wie viele Intensivbetten in Folge eines Personalmangels nicht belegt werden können, wurden die Klinikleitungen der Münchner Krankenhäuser mittels einer Online-Umfrage im Mai 2021 befragt. Jedoch haben nur sieben Krankenhäuser von 45 befragten Münchner Krankenhäusern auswertbare Antworten eingesendet. Fünf der sieben Kliniken gaben an, COVID-19-Intensivstationen betrieben zu haben. Zwei davon dokumentierten, dass sie vier bzw. sechsder COVID-19-Intensivbetten aufgrund Personalmangels derzeit nicht betreiben können. Auf den Nicht-Covid-19-Intensivstationen konnten von drei Kliniken zwischen einem und fünf Betten aufgrund von Personalmangel nicht betrieben werden. Die anderen Krankenhäuser machten dazu keine Angaben. Detailliertere Angaben sind aufgrund der anonymen Umfragebeteiligung und des zugesicherten Datenschutzes nicht möglich.
Die München Klinik gGmbH wurde zusätzlich zu der Online-Befragung um eine Stellungnahme zu den Fragen der Stadtratsanfrage gebeten. Die München Klinik nimmt zu Frage 1 wie folgt Stellung:
„Im 1. Quartal 2021 lag die Quote der wegen Personalmangel gesperrten Intensivbetten für die MüK gesamt bei 12,8% (Gesamtzahl der aufgestellten Intensivbetten im 1. Quartal 2021: 166 Betten). Ein Versorgungsengpass kann daraus nicht abgeleitet werden, da im selben Zeitraum durchschnittlich 23,7 freie Intensivbetten zur Verfügung standen, d.h. weder belegt noch gesperrt waren. Die Berechnung erfolgte jeweils auf der Basis der aufgestellten Betten und der Sperrgründe gem. Mitternachtsstatistik.“
Zu den limitierenden Faktoren im Intensivbereich gehören die Ausstattung der Intensivbehandlungsplätze mit Beatmungsgeräten und die Besetzung der Intensivstationen mit qualifiziertem Personal. Die Münchner Kliniken wirken dem Personalmangel entgegen, indem Pflegefachkräfte in Bezug auf die vielfältigen Aufgaben im Intensivbereich weitergebildet werden. Infolge von krankheitsbedingten Ausfällen verringern sich die Personalressourcen sowohl bei Pflegekräften als auch beim ärztlichen Personal. Zudem erlauben oftmals auch die räumlichen Strukturen in den Krankenhäusern keinen weiteren Ausbau der Behandlungsmöglichkeiten im Intensivbereich.
Frage 2:
Wie viele Personalstellen an den Kliniken wurden in den letzten zehn Jahren abgebaut, wie viele konnten bzw. können dauerhaft nicht besetzt werden?
Antwort:
Zur Darstellung der Entwicklung der personellen Ausstattung der Münchner Krankenhäuser wurden Daten, die im Rahmen der Bundesstatistik für Krankenhäuser (Krankenhausstatistik-Verordnung – KHStatV) erhoben werden, herangezogen. Die derzeit aktuellsten Daten der Krankenhausstatistik beziehen sich auf das Jahr 2019. Die Anzahl der hauptamtlich in den Münchner Krankenhäusern angestellten Ärzt*innen (Kopfzahl) ist von 5.252 im Jahr 2011 bis Ende des Jahres 2019 auf 6.260 gestiegen. In dem-selben Zeitraum ist der Anteil der Teilzeitbeschäftigten unter den hauptamtlich angestellten Ärzt*innen von 15% (814 Beschäftigte) auf 26% (1.632 Beschäftigte) gestiegen. Die Nachbesetzung von ärztlichen Personalstellen stellte bei den Krankenhäusern, die sich an der Online-Befragung beteiligt haben, kein Problem dar.
Alle anderen Dienstarten innerhalb der Krankenhäuser betreffen das nichtärztliche Personal. Strukturveränderungen in der Dokumentation der Krankenhausstatistik in den letzten zehn Jahren haben zur Folge, dass die Beschäftigtenzahlen innerhalb der verschiedenen Berufsgruppen im nichtärztlichen Personal über die Jahre hinweg nicht unmittelbar vergleichbar sind. Die Anzahl der 2011 insgesamt in Münchner Krankenhäusern im Pflegebereich direkt Beschäftigten wird mit 9.424 Personen angegeben (Kopfzahl). Im Jahr 2019 waren in Münchner Krankenhäusern 12.396 Personen im Pflegedienst im direkten Beschäftigungsverhältnis beschäftigt, wobei die Personalgruppe der Gesundheits- und Krankenpfleger*innen (GKP) mit 83% den größten Anteil der im Pflegebereich der Münchner Krankenhäuser Beschäftigten ausmacht. In der Klinikbefragung geben kleinere Kliniken an, dass sie drei und mehr Personalstellen im Pflegebereich dauerhaft nicht besetzen konnten und größere Kliniken bis zu 100.
Die München Klinik nimmt zu Frage 2 wie folgt Stellung:
„Es gab und gibt kein aktives Abbauprogramm in der Pflege in den letzten 10 Jahren. Die Anzahl der Pflegestellen sind zwar seit 2011 rückläufig, dies ist jedoch dem Leistungsgeschehen und der Bettenanzahl zu zuordnen. Durchschnittlich konnten ca. 100 Stellen dauerhaft nicht besetzt werden. Durch den Einsatz von Leiharbeitskräften wird dies zum Teil kompensiert.“
Frage 3:
Wie hat sich die Bettenzahl in den letzten zehn Jahren in den unterschiedlichen Fachrichtungen entwickelt?
Antwort:
Auch die Entwicklung der aufgestellten Betten nach Fachrichtungen er letzten zehn Jahre lässt sich mit Hilfe der Krankenhausstatistik auf Grundlage der KHStatV-Daten aufzeigen. Aufgestellte Betten sind alle betriebsbereit aufgestellten Betten der Einrichtungen, die zur vollstationären Behandlung von Patient*innen bestimmt sind. Die Zahl der aufgestellten Betten wird als Jahresdurchschnittswert der an den Monatsenden vorhandenen Bettenzahl ermittelt. Betten zur teilstationären oder ambulanten Unterbringung, Betten in Untersuchungs- und Funktionsräumen sowie Betten für gesunde Neugeborene werden nicht einbezogen. Vor zehn Jahren im Jahr2011 gab es an allen Münchner Krankenhäusern insgesamt 11.675 aufgestellte Betten. Im Jahr 2019 betrug die Anzahl aufgestellter Betten 10.964. Dies entspricht einer Reduktion der Gesamtkapazitäten von 6%. Gleichzeitig ist die Zahl der Krankenhäuser in München von 47 auf 52 gestiegen. Die München Klinik gibt in ihrer Stellungnahme für die Frage 3 für das Jahr 2012 eine Gesamtzahl an 3.344 Planbetten und für das Jahr 2021 3.011 Planbetten an. Diese Veränderung der Anzahl der Planbetten in der München Klinik entspricht einer Verringerung um 10%.
Innerhalb des Zeitraums werden die Daten der Krankenhausstatistik zur sachlichen Ausstattung der Münchner Krankenhäuser differenziert nach 20 verschiedenen Fachrichtungen dokumentiert. Daher wird die Entwicklung der aufgestellten Betten an der Fachrichtung aufgezeigt, die mit 31% (3.599 Betten) im Jahr 2011 den größten Anteil an allen aufgestellten Betten hatte: die Fachrichtung Innere Medizin. Im Jahr 2019 betrug ihr Anteil 28% (3.023 Betten), das heißt, dass die Gesamtbettenzahl der Fachrichtung Innere Medizin innerhalb des Zeitraums um 16% reduziert wurde. In den meisten Fachrichtungen wurde in dem Zeitraum die Anzahl der Betten abgebaut. Es gibt aber auch Fachrichtungen, in denen ein Anstieg der Gesamtzahl aller in Münchner Krankenhäusern aufgestellten Betten zu verzeichnen ist, wie beispielsweise in den Fachrichtungen Geriatrie, Orthopädie und allgemeine Psychiatrie.
Für eine differenzierte Bewertung der Situation an den Münchner Kliniken müssten neben der Bettenausstattung auch die Fallzahlen, die Belegungstage bzw. die Bettenausnutzung betrachtet werden. Die durchschnittliche Verweildauer der Patient*innen in den Münchner Kliniken ist in den zurückliegenden Jahren gesunken. Dies hat zur Folge, dass die Anzahl der behandelten Patient*innen trotz gesunkener Bettenzahlen in einigen Fachbereichen gestiegen ist.
Frage 4:
Wie viele Operationen und andere medizinische Behandlungen konnten aufgrund der Corona-Pandemie in München nicht durchgeführt werden?
Antwort:
Die Rückmeldungen aus der Online-Befragung der Münchner Krankenhäuser bestätigen, dass für die Kliniken größtenteils nicht ermittelbar ist, wie viele Operationen und andere medizinische Behandlungen aufgrund der Corona-Pandemie nicht durchgeführt werden konnten. Vertreter*innen der Kliniken betonen jedoch, dass in allen Fachbereichen dringliche Operationen und Eingriffe, insbesondere bei onkologischen Erkrankungen, stetspriorisiert und möglichst zeitnah durchgeführt wurden. Eingriffe, die bei einer Verschiebung eines Operationstermins nicht zu einer erwartbaren Verschlechterung des Gesundheitszustandes der Patient*innen führen sollten, wurden bei knappen Ressourcen verschoben. Nicht alle Operationen wurden dabei durch Ressourcenmangel durch das Klinikum verlegt. Es war auch zu beobachten, dass Patient*innen nicht dringliche Eingriffe von sich aus auf spätere Zeitpunkte verlegen wollten, um einen Krankenhausaufenthalt während der Corona-Pandemie zu vermeiden.
Die München Klinik nimmt zu der Frage 4 wie folgt Stellung:
„Eine Auswertung, welche Operationen nicht stattgefunden haben, gibt es nicht. Eine relevante Anzahl an planbaren Operationen und Behandlungen mussten verschoben werden. Geht man von der geplanten Leistung aus, wurden 25.656 weniger Patient*innen (stationär und teilstationär, incl. Corona-Pat.) behandelt als für das Jahr 2020 geplant gewesen wäre (Fallzahl 111.315 Ist, Fallzahl 136.971 Plan).“