Leerstand bekämpfen IV: Zweckentfremdungssatzung verschärfen – Jahrelangen Leerstand verhindern
Antrag Stadtrats-Mitglieder Marie Burneleit, Stefan Jagel, Thomas Lechner und Brigitte Wolf (DIE LINKE. / Die PARTEI Stadtratsfraktion) vom 23.4.2021
Antwort Sozialreferentin Dorothee Schiwy:
Sie beantragen eine Änderung der Satzung über das Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum (ZeS). Konkret soll die Regelung in § 4 Abs. 2 Nr. 2 ZeS folgendermaßen ergänzt werden (beantragte Ergänzung in Fettdruck):
§ 4 Abs. 2 Nr. 2 ZeS
„‚Eine Zweckentfremdung liegt nicht vor, wenn Wohnraum nachweislich zügig umgebaut, instand gesetzt oder modernisiert wird und deshalb bis zu zwölf Monate vorübergehend unbewohnbar ist oder leer steht.‘“
Dem Sozialreferat obliegt der Vollzug des bayerischen Gesetzes über das Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum (ZwEWG) und der Satzung der Landeshauptstadt München über das Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum (Zweckentfremdungssatzung, ZeS).
Ihr Einverständnis vorausgesetzt, erlaube ich mir, Ihren Antrag per Brief zu beantworten.
Zu Ihrem Antrag vom 23.4.2021 teile ich Ihnen in Abstimmung mit Herrn Oberbürgermeister Folgendes mit:
Zunächst möchte ich meiner eigentlichen Antwort gerne voranstellen, dass das Sozialreferat selbstverständlich jeden bekannt gewordenen Fall eines Leerstands von Wohnraum in Bezug auf seine zweckentfremdungsrechtliche Zulässigkeit prüft.
Bei einer festgestellten Zweckentfremdung wirkt das Sozialreferat mit verwaltungsrechtlichen Maßnahmen auf eine möglichst zeitnahe Wiederzuführung des betreffenden Wohnraumes zu Wohnzwecken hin.
Die nachstehenden Ausführungen gehen im Einzelnen auf Ihren Antrag ein.
Rechtslage in München und Verwaltungspraxis des Sozialreferats
Gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 Ziffer 4 der Satzung über das Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum (ZeS) stellt ein Leerstand von Wohnraumgrundsätzlich eine Zweckentfremdung dar, wenn der Leerstand länger als drei Monate andauert.
Dies gilt jedoch nicht, wenn der Wohnraum nachweislich zügig umgebaut, instand gesetzt oder modernisiert wird oder alsbald veräußert werden soll und deshalb vorübergehend unbewohnbar ist oder leer steht (§ 4 Abs. 2 Nr. 2 ZeS).
In derart gelagerten Fällen ist ein Leerstand auch über drei Monate hinaus gerechtfertigt und ein Einschreiten des Sozialreferates rechtlich nicht möglich.
In diesem Zusammenhang ist es unerheblich wie lange genau eine
konkrete Maßnahme zum Umbau, zur Instandsetzung oder zur Modernisierung von Wohnraum andauert. Entscheidend für das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen des § 4 Abs. 2 Nr. 2 ZeS und damit in der Rechtsfolge keiner vorliegenden Zweckentfremdung ist, dass die jeweilige Maßnahme nachgewiesenermaßen zügig durchgeführt wird.
Eine solche zügige Durchführung liegt regelmäßig vor, wenn die jeweiligen Arbeiten ernsthaft in Angriff genommen werden und es sich um einen vertretbaren Zeitraum handelt, in welchem die Arbeiten abgeschlossen werden.
Ein konkreter Zeitrahmen, wann es sich nicht mehr um eine zügige Durchführung handelt und der Leerstand dann eine Zweckentfremdung darstellt, kann nach der vorliegenden Rechtsprechung nicht angegeben werden.
Bei der Beurteilung muss das Sozialreferat in jedem Fall stets die besonderen Umstände des jeweiligen Einzelfalles prüfen und entsprechend würdigen.
Das entscheidungsmaßgebliche Tatbestandsmerkmal des geltenden § 4 Abs. 2 Nr. 2 ZeS für die Beurteilung einer zweckentfremdungsrechtlichen Zulässigkeit eines umbaubedingten Leerstands ist das Vorliegen einer „zügigen“ Durchführung der Maßnahmen und der entsprechende Nachweis hierüber.
Das Sozialreferat gelangt regelmäßig zu der Einschätzung, dass eine Zweckentfremdung nicht vorliegt, wenn die (Umbau-)Maßnahme(n) im Einklang mit den zu würdigenden Besonderheiten des Einzelfalls „zügig“ durchgeführt wird/werden und die Gründe für eine Verzögerung glaubhaftdargelegt werden. Dies gilt unabhängig von der (bisherigen) Dauer des Leerstands.
Rechtslage im Land Berlin
Sie erwähnen in Ihrem Antrag die Rechtslage im Land Berlin.
In den dort geltenden zweckentfremdungsrechtlichen Vorschriften ist geregelt, dass keine Zweckentfremdung vorliegt, „wenn Wohnraum zügig umgebaut, instandgesetzt oder modernisiert wird und deshalb bis zu zwölf Monate unbewohnbar ist oder leer steht...“(§ 2 Abs. 2 Nr. 4 des Berliner Gesetzes über das Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum (ZwVbG)).
Generelle Voraussetzung für eine Änderung der Münchner Zweckentfremdungssatzung (ZeS)
Jede inhaltliche Änderung der Münchner Zweckentfremdungssatzung (ZeS) muss zwingend von den Bestimmungen des bayerischen Zweckentfremdungsgesetzes (ZwEWG) als Ermächtigungsgrundlage für die Satzung gedeckt sein.
Nach Einschätzung des Sozialreferats stehen die Vorschriften des ZwEWG einer anderen Fassung des § 4 Abs. 2 Nr. 2 ZeS nicht generell entgegen. Eine Änderung des Satzungstextes wäre daher dem Grunde nach rechtlich zulässig.
Inhaltliche Rechtmäßigkeit einer Satzungsänderung
Unabhängig von den vorstehenden Ausführungen zur generellen Befugnis einer Satzungsänderung durch die Landeshauptstadt München bestehen jedoch seitens des Sozialreferats erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit einer strikt antragsgemäßen Änderung des § 4 Abs. 2 Nr. 2 ZeS.
Nach einer antragsgemäßen Ergänzung träfe § 4 Abs. 2 Nr. 2 ZeS wie erwähnt folgende Regelung:
„Eine Zweckentfremdung liegt nicht vor, wenn Wohnraum nachweislich zügig umgebaut, instand gesetzt oder modernisiert wird und deshalb bis zu zwölf Monate vorübergehend unbewohnbar ist oder leer steht.“
Nach Auffassung des Sozialreferats widerspricht eine pauschale Begrenzung eines zweckentfremdungsrechtlich legalen Leerstands auf einen starren Zeitraum (hier: von zwölf Monaten) inhaltlich dem rechtsstaatlich gebotenen und zwingend zu beachtenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. In jedem Fall müssten daher rechtliche Ausnahmetatbestände für ein zulässiges Überschreiten einer solchen Frist geschaffen werden.Bei antragsgemäßer Änderung des § 4 Abs. 2 Nr. 2 ZeS läge (eine eingriffsbedürftige illegale) Zweckentfremdung automatisch nach Ablauf eines Zeitraumes von zwölf Monaten vor. Und zwar pauschal und unabhängig davon, welche konkreten Gründe in einem einzelnen Sachverhalt für den umbaubedingt länger als zwölf Monate andauernden Leerstand bestehen und auch unabhängig davon, ob die Umbaumaßnahmen zügig durchgeführt werden oder nicht.
Nicht jede zeitliche Verzögerung einer Umbaumaßnahme ist automatisch von der*dem Eigentümer*in des betreffenden Wohnraums zu vertreten. Hierzu zählen beispielsweise Verzögerungen in für die jeweilige Maßnahme gegebenenfalls erforderlichen Genehmigungsverfahren anderer Behörden oder Verzögerungen aufgrund nur schwerlich zu aquirierender Handwerksbetriebe für die jeweiligen Arbeiten.
Bei Vorliegen einer Zweckentfremdung auch in diesen begründeten Fällen wäre das Sozialreferat bei Gültigkeit einer starren Höchstfrist für den Leerstand angehalten, gegebenenfalls mittels Verwaltungszwang auf eine baldige Wohnnutzung der jeweiligen Räume hinzuwirken, trotz Kenntnis von anzuerkennenden Gründen. Darüber hinaus wäre das Sozialreferat in diesem Zusammenhang grundsätzlich dazu angehalten ein Ordnungswidrigkeitenverfahren gegen die am Verfahren beteiligten Personen einzuleiten.
Ein solcher Vorgehen wäre in den beschriebenen Sachverhalten unverhältnismäßig und damit rechtlich nicht zulässig:
Wie oben ausgeführt ist das Sozialreferat wie die gesamte öffentliche Verwaltung stets dazu verpflichtet, die genauen Umstände in jedem einzelnen Fall zu berücksichtigen und im Rahmen einer Entscheidungsfindung im Verwaltungsverfahren in angemessener Form zu würdigen. Hierzu gehört sowohl die Gründe die zu einer Verzögerung führen als auch die Verantwortung des*der Eigentümers*in zu berücksichtigen.
Kein praktischer Nutzen im Satzungsvollzug
Eine Ergänzung des § 4 Abs. 2 Nr. 2 ZeS um eine Zwölfmonatsfrist stellt jedoch auch unter Schaffung notwendiger Ausnahmetatbestände keinerlei substantiellen Nutzen im Vergleich zum derzeitigen Vollzug der Vorschrift dar und bliebe ferner ohne praktische Auswirkungen im Vollzug.
Eine dahingehende Änderung der Satzung würde im Vergleich zur geltenden Fassung auch nicht zu einer einfacheren bzw. effizienteren Verfolgung bzw. Beendigung zweckfremder Wohnraumnutzungen durch das Sozialreferat führen können.
Nach den Maßgaben des geltenden § 4 Abs. 2 Nr. 2 ZeS stellen zügig durchgeführte Umbaumaßnahmen regelmäßig keine Zweckentfremdungdar. Im Umkehrschluss ist eine Zweckentfremdung gegeben, wenn die Maßnahmen nicht zügig durchgeführt werden.
Durch das in § 4 Abs. 2 Nr. 2 ZeS enthaltene Wort „vorübergehend“ ist zudem klargestellt, dass der Leerstand nur für einen begrenzten Zeitraum keine Zweckentfremdung darstellt.
Bereits zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist der für den Vollzug zuständige Fachbereich durch diese Norm ermächtigt gegen Zweckentfremdungen durch unverhältnismäßig lang andauernde Leerstände (aufgrund nicht zügig durchgeführter Maßnahmen) vorzugehen und macht von dieser Ermächtigung auch in ständiger Verwaltungspraxis Gebrauch.
Aufgrund des stets zu beachtenden Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit wird bereits im derzeitigen Vollzug des § 4 Abs. 2 Nr. 2 ZeS auf Ausnahmetatbestände im Einzelfall eingegangen. Die Normierung einer Frist, wonach eine Zweckentfremdung nach zwölf Monaten vorliegt (es sei denn, es liegen durchgreifende Ausnahmetatbestände vor), ändert hieran nichts.
Hinzu kommt: Bei Aufnahme einer Zwölfmonatsfrist liegt (in der Regel) erst nach Ablauf eines Zeitraumes von zwölf Monaten eine Zweckentfremdung vor. Heute schon kann indes eine Zweckentfremdung früher vorliegen – eben wenn Maßnahmen nicht zügig durchgeführt werden. Durch die Änderung könnte der (falsche) Eindruck entstehen, eine Zweckentfremdung liege erst ab einem Zeitraum von zwölf Monaten vor.
Die Erweiterung des § 4 Abs. 2 Nr. 2 ZeS um eine Höchstfrist würde wie dargestellt nur dem Anschein nach eine rechtliche Verschärfung darstellen, tatsächlich ist dies jedoch nicht gegeben.
Auch mit der Aufnahme der beantragten Zwölfmonatsfrist in die Zweckentfremdungssatzung als zulässige Höchstdauer eines zweckentfremdungsrechtlich gerechtfertigten Leerstandes wird im Einzelfall länger andauernder Leerstand nur bedingt (wie das in Ihrem Antrag angeführte Beispiel Türkenstraße 52/54) verhindert werden können. Im angeführten Beispiel kam es zu Änderungen in den Eigentumsverhältnissen, geänderten Bauplanungen und dadurch zu einem lange andauernden Leerstand.
Fazit
Dem Sozialreferat steht mit dem § 4 Abs. 2 Nr. 2 ZeS in seiner jetzigen Fassung ein ausreichendes rechtliches Instrument zur Verfügung, um wirksam gegen einen umbaubedingten unverhältnismäßig lange andauerndenLeerstand von Wohnraum vorzugehen. Eine Verschärfung der Zweckentfremdungssatzung wird durch eine solche Maßnahme nicht erreicht.
Gleichzeitig sehe ich durchaus Verbesserungsnotwendigkeiten seitens des Landesgesetzgebers, vgl. auch die Bekanntgabe zum Vollzug der Zweckentfremdungssatzung (Sitzungsvorlage Nr. 20-26/V 03017).
Ich hoffe, auf Ihr Anliegen hinreichend eingegangen zu sein. Ich gehe davon aus, dass die Angelegenheit damit abgeschlossen ist.