Welche Auswirkungen haben die stark steigenden CO2-Zertifikats- preise?
Anfrage Stadtrats-Mitglieder Marie Burneleit, Stefan Jagel, Thomas Lechner und Brigitte Wolf (DIE LINKE. / Die PARTEI Stadtratsfraktion) vom 19.8.2021
Antwort Clemens Baumgärtner, Referent für Arbeit und Wirtschaft:
In Ihrer Anfrage vom 18.8.2021 führten Sie als Begründung aus: „Ein Blick auf die aktuelle Entwicklung der Preise für CO2-Zertifikate zeigt, dass die Verbrennung fossiler Brennstoffe in Energieerzeugungsanlagen ab 20 MW installierter Leistung massiv teurer wird. Innerhalb von nur einem Jahr hat sich der Preis für Zertifikate mehr als verdoppelt (aktuell ca. 58 Euro/tCO2; Stand 16. August 2021 ). Bei jährlich CO2-Emissionen von etwa 3 Millionen Tonnen durch den Kraftwerkspark der SWM sorgen diese Ver- änderungen für Mehrausgaben für Zertifikate in einer sehr hohen zweistelligen Millionenhöhe. Durch die etwa doppelt so hohe Menge an CO2-Emis- sion im Verhältnis zur erzeugten Energie trifft diese Entwicklung vor allem die Betreiber von Kohlekraftwerken sehr. Der Betreiber des erst vor sechs Jahren ans Netz gegangene Steinkohlekraftwerkes Moorburg hat auch deswegen entschieden, das Kraftwerk im Juli stillzulegen. In dem in Kooperation mit den SWM erstellten Gutachten zur Prüfung der Umsetzung des Bürgerentscheides ‚Raus aus der Steinkohle‘ wurde mit weit geringeren Preisen für CO2-Zertifikaten bis ins Jahr 2035 gerechnet, als sie heute schon sind. Das Öko-Institut schrieb damals von ‚nicht plau- sible Annahmen zur Entwicklung der Preise für Erdgas und CO2-Emissionsrechte im TÜV-Gutachten‘. DIE LINKE hatte dies im Stadtrat ebenfalls mehrfach kritisiert. Die im damaligen Gutachten festgehaltenen, angeblichen Mehraufwendungen von 343 Millionen Euro für die CO2-reduzierte Fahrweise bis 2028 inkl. anschließender Stilllegung des HKW Nord 2 sind damit weit überholt.
Hinsichtlich der Entwicklung der CO2-Preise haben Forscher*innen des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme ISE erst kürzlich folgendes festgehalten: ‚Windkraftwerke und Solarkraftwerke in Deutschland besit- zen nun deutlich geringere Stromgestehungskosten als konventionelle Kraftwerke. Durch die steigenden Kosten für CO2-Zertifikate ist selbst der Betrieb von bestehenden konventionellen Anlagen, betrieben mit Kohle und Gas, in den kommenden Jahren immer weniger wettbewerbsfähig‘. Da der Anteil regionaler Erneuerbarer Energien (EE) des Strombedarfs Münchens gerade einmal 6% abdeckt und der Ausbau der EE in der Re- gion in den letzten zehn Jahren sehr schleppend verlief, könnte die Verzögerung einer konsequenten Energiewende der Stadt München teuer zu stehen kommen.“Wir haben die Stadtwerke München um Stellungnahme gebeten und können daher die gestellten Fragen wie folgt beantwortet:
Frage 1:
Kann das HKW Nord 2 unter den aktuellen Bedingungen noch wirtschaftlich betrieben werden?
Antwort:
-Die Grenzkosten eines konventionellen Kraftwerks sind von den Brennstoffkosten (Gas oder Kohle), den Kosten für CO2-Zertifikate und dem Wirkungsgrad abhängig. Auf der Erlösseite stehen die Einnahmen für Strom und Fernwärme. Um die Wirtschaftlichkeit einer Anlage zu beurteilen, reicht es nicht aus, die Preisentwicklung eines dieser Elemente zu betrachten, sondern das Zusammenspiel der genannten Preise.
Für Kondensationskraftwerke werden zum Beispiel die sogenannten Spreads verwendet (Clean Dark Spread für ein Kohlekraftwerk und Clean Spark Spread für ein Gaskraftwerk), die einer Art Bruttomarge für den Verkauf von Strom entsprechen (Erlöse aus dem Stromverkauf minus Kosten für eingesetzten Brennstoff minus Kosten für erforderliche Zertifikate). Gleichzeitig mit der Erhöhung der CO2-Zertifikatepreise wird auch ein Anstieg der Strompreise beobachtet (siehe zum Beispiel die Analyse von https://www.ewi.uni-koeln.de/de/aktuelles/strom-preise-sommer-2021/ und https://energy-charts.info), so dass sich die Spreads nur leicht verändert (verschlechtert) haben. Die Clean Spreads geben einen ersten Eindruck über die Wirtschaftlichkeit einer Anlage. -Genauer erfolgt der Einsatz der Anlagen im Erzeugungspark der SWM nach wirtschaftlichen Kriterien unter Berücksichtigung der Nicht-Verfügbarkeiten und der relevanten technischen Bedingungen (Mindestlasten, Anfahrzeiten usw.), damit die Fernwärmever-sorgung zu jeder Zeit sichergestellt werden kann. Eine Anlage, auch das HKW Nord 2, sollte daher immer nach wirtschaftlichen Kriterien eingesetzt werden und muss sich gegen die anderen Anlagen im Park behaupten. In dieser Einsatzplanung spielen die CO2-Preise selbstverständlich eine Rolle, sowie die Gas- und Kohlepreise und die zu jedem Zeitpunkt erzielbaren Strompreise.
-Die festgelegte Fahrweise nach dem TÜV-Gutachten bildet hier eine Ausnahme, da sie keiner wirtschaftlichen Optimierung unterliegt.
-Trotz des hohen CO2-Preises produzieren derzeit in Deutschland die Steinkohle- und vor allem Braunkohlekraftwerke deutlich mehr Stromals vor einem Jahr. Neben dem höheren Strombedarf ist dies auch auf die hohen Gas- und Strompreise zurückzuführen.
Frage 2:
Der Preis der CO2-Zertifikate hat sich mittlerweile im Vergleich zum Zeitpunkt der Erstellung des TÜV-Gutachtens im Oktober 2019 mehr als verdoppelt. Welche Neubewertung nehmen die SWM vor diesem Hintergrund bezüglich der finanziellen Auswirkungen der reduzierten Fahrweise vor?
Antwort:
-Es werden in der täglichen Einsatzplanung immer die aktuellen Preise berücksichtigt, daher erfolgt kontinuierlich eine Neubewertung des Einsatzes der Anlagen im Erzeugungspark unter den vorgegebenen Randbedingungen.
-Der Preis der CO2-Zertifikate hat aber auch selbstverständlich einen mittelfristigen und langfristigen Einfluss auf die Wirtschaftlichkeit des Erzeugungsparks. Es werden kontinuierlich neue Anlagen konzipiert und mit entsprechenden Tools wirtschaftlich bewertet, die auch die Anforderungen in der Fernwärme und in dem Stromnetz erfüllen (Sicherheit der Fernwärmeversorgung und stromseitige Systemrelevanz des Blocks 2). In diese Bewertungen zu Neuinvestitionen fließen SWM-interne langfristige Preisprognosen ein.
-Speziell bezüglich des Blocks 2 steht derzeit die technische Machbarkeit einer CO2 reduzierenden Fahrweise im Vordergrund der Überlegungen der Stadtwerke München, um weitere Vorkommnisse am Standort Nord bzgl. Ascheauswurf zuverlässig zu verhindern und die Versorgungssicherheit zu gewährleisten.
Frage 3:
Inwiefern haben die SWM ihre Annahmen zur Entwicklung von CO2-Zertifikatspreisen angepasst?
Antwort:
Die SWM verfügen über eigene Prognosetools und interne Expertise, haben auch Zugriff auf externe Prognosen, um langfristige Preisprognosen für die wichtigen Commodities Gas, Kohle, Strom und CO2-Zertifikate aufzustellen. Diese werden von einer eigenen Abteilung, ausgehend vom dann aktuellen Marktniveau vierteljährlich ermittelt und liegen den Bewertungen von Neuinvestitionen zugrunde. Alle Berechnungen berücksichtigen die zum jeweiligen Zeitpunkt bekannten und absehbaren Preisentwicklungen. Langfristige Preisniveaus (5 Jahre und länger) unterliegen großen,z.T. auch politischen Unsicherheiten. Daher werden grundsätzlich größere Bandbreiten in die Berechnungen einbezogen.
Frage 4:
Wie hoch waren die jeweiligen Ausgaben für CO2-Zertifikate für den Betrieb des HKW Nord 2 in den letzten Jahren? Wie hoch war dabei jeweils die verbrannte Menge an Steinkohle, die CO2-Emissionen und der durchschnittliche Preis der CO2-Zertifikate?
Antwort:
Die folgende Tabelle zeigt die Aufstellung der verbrannten Menge an Steinkohle, der CO2-Emissionen vom Block 2 und den durchschnittlichen Preis der CO2-Zertifikate für die letzten 5 Jahre entsprechend den Vorgaben der Emissionsberichterstellung im Europäischen Emissionshandelssystem. Zusätzlich ist die Menge der kostenfreien zugeteilten Zertifikate für die Fernwärmeerzeugung angegeben.
Frage 5:
Werden die Stadtwerke einen weiteren Versuch unternehmen, die Stilllegung des HKW Nord 2 bei der Bundesnetzagentur zu beantragen?
Antwort:
-Die Systemrelevanz des Blocks 2 wurde durch die Bundesnetzagentur mit Schreiben vom 28.10.2019 an den relevanten Übertragungsnetzbetreiber TenneT für den Zeitraum 1.1.2023 bis 31.12.2024 zunächst befristet auf 2 Jahre offiziell bestätigt. Somit ist eine Stilllegung nicht möglich. -Gemäß den Prüfungen der Bundesnetzagentur zählt Nord 2 auch für die folgenden Jahre 2024/2025 zu den potentiellen nationalen Netzreservekraftwerken (siehe Netzreservebericht der Bundesnetzagentur zu den Systemanalysen gemäß gesetzlicher Verpflichtung der Übertragungsnetzbetreiber nach § 3 Absatz 2 der Netzreserveverordnung NetzResV). Die Netzreservesituation in Deutschland wird regelmäßig überprüft, nach heutigem Wissensstand ist aber davon auszugehen, dass der
Block 2 oder eine entsprechende Ersatzanlage ihre Systemrelevanzbehalten bis die Nord-Süd-Stromtrassen fertiggestellt sind (nach derzeitigen Planungen im Jahr 2028).
-Neben der stromseitigen Systemrelevanz wurde von den SWM mehr-
fach auf die Bedeutung des Blocks 2 für die Versorgungssicherheit der Fernwärme hingewiesen, die von der Bundesnetzagentur allerdings nicht bewertet werden kann und daher auch nicht geprüft wird.
Frage 6:
Werden durch die stark steigenden CO2-Zertifikatspreise die Bemühungen der SWM zur Energiewende erhöht?
Antwort:
Die SWM haben sich mit der Fernwärmevision und der Ausbauoffensive Erneuerbare Energien bereits sehr ehrgeizige Ziele gesetzt. Stark steigende CO2-Zertifikatspreise haben einen Einfluss auf die Bewertung der Technologieoptionen, nicht jedoch auf das grundsätzliche Commitment der Stadtwerke zur Energiewende. Hohe CO2-Zertifikatspreise sind auch aus SWM-Sicht das notwendige Signal, zusammen mit Förderungen in erneuerbare Energien (Investitions- und Betriebskostenförderungen), um die Energiewende weiter voranzutreiben und zu beschleunigen.
Frage 7:
Welche Auswirkungen werden die steigenden Preise für CO2-Zertifikate für die Kund*innen der SWM haben?
Antwort:
Steigende Preise für CO2-Zertifikate (EU-ETS) haben zunächst keine direkte Auswirkung auf die Preise unserer Stromkunden. Diese Preise bilden sich im Wettbewerb auf Basis der Beschaffungskosten am Stromgroßhandelsmarkt sowie weiterer Kosten wie Netznutzungsentgelte, EEG-Umlage etc. Steigende CO2-Zertifikatspreise wirken sich jedoch auf den Stromgroßhandelspreis und somit potentiell indirekt auch auf die Endkundenpreise aus. Unsere Fernwärmepreise bilden sich über eine Preisänderungsklausel. Diese beinhaltet derzeit keine CO2-Komponente.
Ich hoffe, dass ich Ihre Fragen hiermit zufriedenstellend beantworten konnte.