Erstmals sind ab heute Münchner Erinnerungszeichen auf Augenhöhe in einer großen Ausstellung – „Frankfurt und der NS“ des Historischen Museums Frankfurt – zu sehen. Dazu hat die Frankfurterin Judith Rosenthal einen Beitrag über die Geschichte ihrer Familie gestaltet, die in München lebte. Für vier ihrer Münchner Verwandten – Dorline, Max und Elisabeth Springer sowie deren Mann Joseph Weiss – hat Judith Rosenthal in München Erinnerungszeichen initiiert. Diese werden nun im Rahmen ihres Ausstellungsbeitrags gezeigt. Im Herbst 2022 sollen sie in München der Öffentlichkeit übergeben werden, wie auch weitere beantragte Erinnerungszeichen für Mitglieder ihrer Familie.
Die dreiteilige Frankfurter Ausstellung wird am Donnerstag, 9. Dezember, eröffnet. Einer der drei Teile der Ausstellung ist ein partizipatorisches Format des Stadtlabors „Auf Spurensuche im Heute“. Es bietet Raum für unterschiedliche Zugänge zu einer erinnernden Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus. Dieser Teil der Ausstellung dauert bis zum 11. September 2022. Judith Rosenthal, die sich intensiv mit ihrer Familiengeschichte beschäftigt hat, wurde eingeladen, dafür einen Beitrag zu konzipieren. Über Judith Rosenthals Großmutter väterlicherseits gehörten Dorline, Max und Elisabeth Springer sowie deren Mann Joseph Weiss zu ihrer Familie. Judith Rosenthal: „Ich habe für sie beim Münchner Stadtarchiv Erinnerungszeichen beantragt, und während der Konzeption meines Ausstellungsbeitrags hatte ich die Idee, diese Erinnerungszeichen zu einem Teil davon zu machen. Ich erzähle in meinem Film auch davon, wie ich erfahren habe, dass man in München Erinnerungszeichen beantragen kann, wie sie aussehen, wie sie beschaffen sind.“
Für die Präsentation wurde in dem Museum extra ein Raum gebaut, und an dessen Eingang wird die Stele mit den vier Erinnerungszeichen zu sehen sein. Judith Rosenthal: „So wirken sie ganz ähnlich wie in München, wo sie vor den Wohnhäusern der erinnerten Menschen stehen. Ich finde es toll, dass die Erinnerungszeichen Teil meines Beitrags sein können. Dieser ist eine sehr persönliche Form von Erinnerung, und die Erinnerungszeichen sind eine ganz andere – die Erinnerung von offizieller Seite.“ Das Stadtarchiv München konnte auch durch Recherchen zur Familie Springer zu Judith Rosenthals Ausstellungsprojekt beitragen. „Ohne das Stadtarchiv wäre das Projekt in dieser Form nicht möglich gewesen. Alles, was ich über die Verfolgung und Ermordung der NS-Opfer aus der Familie Springer weiß, verdanke ich den Recherchen von dessen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.“
Dorline Springer kam 1877 in München zur Welt. Seit 1896 war sie mit David Springer verheiratet und arbeitete gemeinsam mit ihm in dessen Geschäft. Das Ehepaar hatte zwei Töchter, die 1898 geborene Anna und die 1904 geborene Elisabeth. Dorline Springer war nach dem Tod ihres Ehemannes mit dessen Cousin Jakob Besitzerin des Hauses Rosental 19, heute Sendlinger Straße 3. Tochter Anna emigrierte mit ihrer Familie 1936 in die USA. Die Gestapo deportierte Dorline Springer am 4. April 1942 nach Piaski. Wie und wann sie dort zu Tode kam, ist nicht bekannt.
Ihre Tochter Elisabeth Springer war Schauspielerin, Bildhauerin und Malerin. Sie betätigte sich aktiv im Kulturbund Deutscher Juden und war 1936 mit mehreren Kunstwerken in der großen „Reichsausstellung Jüdischer Künstler“ im Berliner Jüdischen Museum vertreten. 1939 heiratete sie den Schriftsteller und Privatgelehrten Joseph Weiss, der 1894 in Wien geboren wurde. Seit 1937 betrieb er ein Schreib- und Vervielfältigungsbüro in der Schellingstraße 82. Dieses Gewerbe musste er 1938 abmelden. Wahrscheinlich ab 1940 mussten beide Zwangsarbeit leisten. Die Ehe wurde 1941 geschieden. Die Gestapo verschleppte Joseph Weiss und Elisabeth Springer am 20. November 1941 nach Kaunas, wo die SS beide am 25. November 1941 erschoss.
Max Springer erblickte am 23. März 1870 in München das Licht der Welt. Er studierte von 1887 bis 1891 in der mechanisch-technischen Abteilung der TH München und konstruierte Wärmekraftmaschinen. 1938 stand er in keinem Arbeitsverhältnis mehr, sondern war Angestellter im Ruhestand. Am 25. Juni 1942 deportierte ihn die Gestapo in das Ghetto Theresienstadt, und 19. September 1942 wurde er von Theresienstadt in das Vernichtungslager Treblinka verschleppt. Dort ermordete ihn die SS sofort nach Ankunft des Zuges am 21. oder 22. September 1942.