Mit Wind und Beton dem Klimawandel begegnen!
Antrag Stadtrats-Mitglieder Alexandra Gaßmann, Heike Kainz, Manuel Pretzl, Sebastian Schall (CSU-Fraktion) und Herbert Danner, Katrin Habenschaden, Dominik Krause, Sabine Krieger (Fraktion Die Grünen – Rosa Liste) vom 2.12.2019
Antwort Stadtbaurätin Professorin Dr. (Univ. Florenz) Elisabeth Merk:
Sie haben in Ihrem o.g. Antrag vom 2.12.2019 darum gebeten, „gemeinsam mit den städtischen Wohnungsbaugesellschaften sowie den Stadtwerken die Möglichkeit und Vorteilhaftigkeit von Tiefensonden zur Wärme- und Kälteversorgung über Bauteilaktivierung von Wohneinheiten analog dem Beispiel MGG22 in Wien“ zu prüfen und „ein Pilotprojekt im Neubau in München zur Umsetzung“ zu entwickeln. In diesem Pilotprojekt soll „auch wie in Wien überschüssiger Strom aus Wind- oder Solarenergie im Beton gespeichert“ werden.
Zu Ihrem Antrag vom 2.12.2019 teilen wir Ihnen mit, dass es zu dem im Antrag behandelten Themenkomplex bereits laufende Abstimmungen zwischen den städtischen Referaten und Beteiligungsgesellschaften gibt. Dies geschieht insbesondere im Rahmen der Umsetzung der für 2035 angestrebten Klimaneutralität Münchens als Gesamtstadt.
Aufgrund der derzeitigen Pandemie und dem eingeschränkten Dienstbe- trieb in den Frühlingsmonaten sowie vollumfängliches Vorliegen aller Stellungnahmen erst am 19.11.2020 wurde einer Fristverlängerung bis zum 28.1.2021 zugestimmt.
Zu Ihrem Antrag teilt Ihnen das Referat für Stadtplanung und Bauordnung Folgendes mit:
Stellungnahme der GWG München
„Die Technik der Bauteilaktivierung über Klimadecken ist aus dem Bürobau bekannt, findet jedoch im Geschoßwohnungsbau bisher keine Anwendung. In München steht mit dem Fernwärmnetz der SWM eine umweltfreundliche, nachhaltige Wärmeversorgung zur Verfügung, die für einen großen Teil der GWG München Bestände genutzt werden kann.
Außerhalb des Fernwärmenetzes ist die GWG München bestrebt eine kostengünstige, alternative Wärmeversorgung der Gebäude zur Verfügung zu stellen. Die Technik der Bauteilaktivierung ist sehr kostenintensiv in der Errichtung.
Für den Wohnungsbau ist zu beachten, dass durch die Verlegung der Rohrsysteme an der Decke hier keine Möglichkeit der Deckenbeleuchtungbesteht. Bei Nichtbeachtung durch die Mieter ist mit erheblichen Wasserschäden und Beeinträchtigung der Gebäudesubstanz zu rechnen. Weiterhin ist nicht außer Acht zu lassen, dass das Wärmeempfinden der Bewohner durch die ‚Wärme von oben‘ irritiert werden kann und dann als störend empfunden wird.
Die GWG München möchte auch in Zukunft, sofern es uns wirtschaftlich möglich ist, an alternativen Konzepten bei Energieversorgung, Wärme- und Stromversorgung mitwirken. Wir nehmen den Antrag gerne zum Anlass, um uns mit den Bauherren und Planern des Wiener Projektes auszutauschen.
Anschließend werden wir prüfen, ob dieses Konzept ggf. in einem eigenen Pilotprojekt, insbesondere im Kontext mit dem Stadtratsbeschluss vom 18.12.2019 (Sitzungsvorlage Nr. 14-20/V 16525) einen Beitrag zur Erreichung der CO2- Neutralität leisten kann.“
Ergänzung vom 22.10.2020: „Mit Stadtratsbeschluss vom 18.12.2019 hat die Landeshauptstadt München weitreichende Klimaziele für städtische Liegenschaften festgelegt. Dies betrifft auch die Liegenschaften und Neubauobjekte der GWG München. Hierzu müssen zunächst die Standards festgelegt und die Finanzierung gesichert werden. Erst im Anschluss ist es sinnvoll sich mit neuen Pilotprojekten zu beschäftigten.“
Stellungnahme der GEWOFAG Holding GmbH
„Im Rahmen eines Pilotprojektes an der Saherrstraße wurde die Bauteilaktivierung in Zusammenhang mit der Senkung der Rücklauftemperaturen für das Fernwärmenetz im Wohnungsbau realisiert.
Im Zuge des Monitorings untersucht ein namhaftes Ingenieurbüro das Betriebsverhalten der Bauteilaktivierung hinsichtlich des Energieverbrauchs, der sich einstellenden thermischen Behaglichkeit und der Nutzerzufriedenheit. Hierzu wurden Teile des Gebäudes mit einer oberflächennahen Bauteilaktivierung (6cm Betonüberdeckung) versehen; der notwendige Mindestluftwechsel wird mit einem Abluftsystem sichergestellt. Geplant ist ein Langzeit-Monitoring über drei Heizperioden. Dieses erfasst den Energieverbrauch für Raumheizung und Trinkwasserbereitung. Weiter soll auch der Elektroenergie-Verbrauch für die Verbrauchskreise ‚Hilfsenergie für Heizung und Lüftung‘ und ‚Beleuchtung‘ aufgezeigt werden. Es soll für das Gebäude ein Energiemanagement, bestehend aus den Modulen Verbrauchserfassung, Controlling und Optimierung, entwickelt werden. Das Gebäude wurde im I. Quartal 2016 fertiggestellt. Das System wurde bisher in den Bereichen ‚nur Fußbodenheizung‘, ‚Fußbodenheizung zusammen mit Deckenheizung‘ vermessen und läuft aktuell im Test mit ‚nur Deckenheizung‘. Das Ergebnis der Untersuchung wird im Jahr 2021 erwartet.Sobald diese Ergebnisse vorliegen wird sich zeigen, ob die Technologie der Bauteilaktivierung für den Einsatz im Wohnungsbau zielführend ist.“
Stellungnahme der SWM – Stadtwerke München
„Das Projekt MGG22 ist den SWM inhaltlich bekannt. Die dort angewendeten Techniken lassen sich nur bedingt auf München übertragen.
1. Erdwärmesonden können in München nicht ausreichend tief gebohrt werden, da es eine Bohrtiefenbegrenzung bis zur Oberkante der terti- ären Ablagerungen (~ 10-30m) gibt. Die darunterliegenden tertiären Grundwasserleiter sind den Brauereien und der Trinkwassernotver-
sorgung vorbehalten, eine thermische Nutzung des tertiären Aquifers entfällt daher bislang. In München kann stattdessen auf ein ergiebiges quartäres Grundwasservorkommen zurückgegriffen werden. Auf dieses Grundwasser greifen die SWM in verschiedenen Projekten zur Kühlung und Heizung zurück.
2. Die tertiären Grundwasserleiter haben nur eine geringe Strömungsgeschwindigkeit, sodass eine Speicherung von Wärme/Kälte grundsätzlich möglich wäre, sofern nicht die genannten Restriktionen bestünden. Aufgrund hoher Strömungsgeschwindigkeiten von 1-10m/Tag eignet sich der quartäre Aquifer allerdings nicht zur lokalen Speicherung von Wärme. Unter Berücksichtigung der Laufzeit von Wärmefahnen können jedoch stromabwärts andere Nutzungen davon profitieren. Hierzu ist ein umfangreiches Grundwassermanagement für München erforderlich, an dessen Entwicklung im Forschungsvorhaben Geo.KW der TUM gearbeitet wird, mit Teilnahme der SWM. Aktuelle behördliche Bestrebungen gehen jedoch in die Richtung, dass jede Grundwassernutzung bilanziell ausgeglichen werden muss. D.h., der Wärmeeintrag in den Aquifer durch sommerliche Grundwasserkühlung muss durch einen winterlichen Heizbetrieb mit Grundwasserwärmepumpe am gleichen Ort/ über die gleichen Brunnen wieder ausgeglichen werden. Da das quartäre Grundwasser ‚wandert‘, ist dieser lokale Ausgleich gesamtheitlich betrachtet nur bedingt sinnvoll, die praktische Umsetzung aber möglich (thermischer Ausgleich wird vom Antragsteller des Wasserbescheids gefordert). Die betroffenen Behörden nehmen auch am Geo.KW Projekt teil.“
Fazit
Dem Einsatz von Tiefensonden zur Wärme- und Kälteversorgung über Bauteilaktivierung stehen sowohl die städtischen Wohnungsbaugesellschaften als auch das Referat für Stadtplanung und Bauordnung grundsätzlich posi-tiv gegenüber. Die Komplexität der Rahmenbedingungen, insbesondere – wie von den SWM dargelegt – der geologischen Voraussetzungen, lässt keine pauschale Aussage zur Anwendbarkeit des vorgeschlagenen Energiekonzepts zu.
Daher wird der Vorschlag, den Einsatz von Tiefensonden zur Wärme- und Kälteversorgung en détail anhand eines Pilotprojekts zu prüfen und dabei auf die Erfahrungen der Planer*innen und Bauherr*innen des Wiener Projekts MGG22 zurückzugreifen, aufgegriffen.
Inwieweit die Entwicklung eines solchen Pilotprojekts – ob mit Tiefenbohrung oder alternativer Wärmeversorgung und Kühlung – im zukünftigen Wohnungsbauprogramm der städtischen Gesellschaften Berücksichtigung finden kann, hängt u.a. von der weiteren Entwicklung und Finanzierbarkeit der künftig einzuhaltenden energetischen Gebäudestandards sowie der Verfolgung der Zielsetzung zur Erreichung der Klimaneutralität ab, die derzeit über verschiedene Beschlüsse präzisiert wird.
Bei der Beurteilung des vorgeschlagenen Energiekonzepts ist ergänzend zu den geologischen und technischen Voraussetzungen der Aspekt der Nutzer*innenfreundlichkeit und Akzeptanz bei den Mieter*innen zu berücksichtigen. Dieser ließe sich aus Sicht des Referates für Stadtplanung und Bauordnung durch entsprechende Planung wie ausreichende Betonüberdeckung, Vorsehen von Lichtauslässen an unkritischen Stellen (wie dies bspw. in Gebäuden mit Sichtholzdecke gehandhabt wird) und durch geeignete Kommunikation angemessen berücksichtigen. Das Bauteil „Wand“ scheidet zu Temperierungszwecken regelmäßig aus, da Wandflächen meist großflächig durch Möbel verstellt sind.
Die Themen der Behaglichkeit, der Nutzer*innenakzeptanz und beispielsweise auch die Erkenntnis, inwieweit die Sorge, dass die Nutzer*innen z.B. durch Bohrarbeiten die Rohre beschädigen, berechtigt ist, werden derzeit im Projekt Saherrstraße der GEWOFAG ausgewertet. Die GEWOFAG wird sich mit dem Referat für Stadtplanung und Bauordnung in Verbindung setzen, sobald sich aus den Ergebnissen aussagekräftige Erkenntnisse ergeben.
Die Ergebnisse werden allerdings nur bedingt Rückschlüsse auf die Einsatzmöglichkeit der Bauteilaktivierung für den Bereich der Kühlung zulassen, da die Bauteilaktivierung in diesem Gebäude lediglich für Heizzwecke eingesetzt wird.
Ein Austausch mit den Planer*innen des Wiener Projekts ist avisiert.Wir werden Sie über die Ergebnisse des Monitorings aus der Saherrstraße und zu gegebenem Zeitpunkt über potentielle Pilotprojekte mit alternativen Energiekonzepten informieren.
Um Kenntnisnahme von den vorstehenden Ausführungen wird gebeten. Wir gehen davon aus, dass die Angelegenheit abgeschlossen ist.
Das Antwortschreiben ist mit dem RKU abgestimmt.