Diabetes die unterschätzte Gefahr – München wird aktiv
Antrag Stadträtinnen Sabine Bär, Alexandra Gaßmann und Ulrike Grimm (CSU-Fraktion) vom 8.10.2020
Antwort Gesundheitsreferentin Beatrix Zurek:
Ihrem Antrag liegt folgender Sachverhalt zu Grunde:
„Diabetes nimmt in Städten immer mehr zu. 463 Millionen Menschen weltweit (9,3%) haben Diabetes. 2/3 der Erkrankten leben in Städten. Die Gefahr, an Diabetes zu erkranken, wird in der Bevölkerung unterschätzt. Bewegungsmangel und falsche Ernährung tragen ihren Teil dazu bei. Prognosen zufolge werden 2045 700 Millionen Menschen an dieser Stoffwechselkrankheit leiden, wovon 77% in Städten leben werden. Bereits heute wissen 50% der Erkrankten nicht, dass sie Diabetes haben. Die gesundheitlichen Folgen/Spätfolgen (Amputationen, Sehverlust) sind umso größer, je später die Erkrankung erkannt wird.
Die Landeshauptstadt München nimmt an der Initiative „Cities Changing Diabetes“ von Novo Nordisk Pharma teil, um dem Trend entgegen zu steu- ern. Sämtliche finanzielle Mittel und Durchführungspartner werden durch die Stiftung von Novo Nordisk gestellt.“
In Ihrem Antrag schlagen Sie erneut vor, dass die Stadtverwaltung sich bezüglich des Gesundheitsschutzes der Münchner Bürger*innen besser wappnen und sich „Cities Changing Diabetes (CCD)“ anschließen solle.
Der Beitritt der Landeshauptstadt München zu dieser Initiative des Pharmaunternehmens Novo Nordisk wurde bereits aufgrund Ihres Stadtratsantrags Nr. 14/20 A 05250 „Städtenetzwerk Cities Changing Diabetes beitreten“ vom 18.04.2019 eingehend geprüft. Von einem Beitritt Münchens zu dem Netzwerk wurde abgeraten. An dieser Einschätzung hat sich bisher nichts geändert. Gerne erläutere ich Ihnen nochmals die Hintergründe:
Ich stimme mit Ihnen überein, dass Diabetes als Zivilisationskrankheit sehr ernst genommen werden muss. Laut Robert Koch-Institut sind etwa 7% der deutschen Bevölkerung von Diabetes Typ 2 betroffen. Da sich die Früherkennung von Diabetes in Deutschland sehr verbesserte, sank der Anteil des unerkannten Diabetes (erhöhte Blutzuckerwerte ohne Diagnose eines Diabetes) von knapp 4% auf 2%, sodass von ca. 9% Diabetiker*innen insgesamt in Deutschland auszugehen ist. In München liegt die Prävalenz mit 5,9% erfreulicherweise deutlich niedriger.In München haben Prävention und Gesundheitsförderung eine lange Tradition und sind breit verankert. In den letzten Jahren hat vor allem das Gesetz zur Stärkung der Prävention und Gesundheitsförderung neue Ansätze ermöglicht, die aktuell zwar an die Pandemie angepasst oder reduziert werden mussten, jedoch sobald wie möglich wieder in vollem Umfang weitergeführt werden sollen. Dabei führen Programme wie „Iss dich clever“ oder „(M)ein Stadtteil bewegt sich“ den Diabetes zwar nicht im Titel, zielen aber auf die wesentlichen Risikofaktoren.
Präventionsmaßnahmen sind häufig verhaltenspräventiv ausgerichtet und erreichen gerade die Bevölkerungsgruppen mit hohen gesundheitlichen Risiken nicht bzw. führen nicht oder nicht nachhaltig zu den gewünschten Lebensstiländerungen. Jede*r weiß wohl aus eigener Erfahrung, wie schwer es z. B. ist, dauerhaft Gewicht zu verlieren oder das Rauchen aufzugeben, wenn die Umgebung dies nicht unterstützt. Je mehr Hürden diesbezüglich in der Familie und der eigenen unmittelbaren Lebenswelt bestehen, desto unwahrscheinlicher ist es, dass Präventionskonzepte zum Tragen kommen können.
Das Gesundheitsreferat (GSR) hat besonders die sogenannten schwer erreichbaren Bevölkerungsgruppen mit hohen gesundheitlichen Risiken im Blick und setzt dabei auf stadtteil- und lebensweltorientierte Programme. Stadtgebiete wie das Hasenbergl, das auch als Zielregion für Cities Changing Diabetes anvisiert wurde, sind seit langem im Fokus des GSR. So besteht dort seit mehr als vierzig Jahren die erste und bislang einzige städtische Gesundheitsberatungsstelle.
Um den großen Herausforderungen wie Adipositas und Diabetes Typ 2 begegnen zu können, wären darüber hinaus jedoch verhältnispräventive Strategien notwendig, wie eine geeignete Kennzeichnung von sehr fetten oder sehr zuckerhaltigen Nahrungsmitteln und Getränken, höhere Steuern auf Zucker, eine höhere Besteuerung von Alkohol bzw. eine insgesamt restriktivere Alkoholpolitik. Internationale Beispiele (Chile, GB) zeigen, dass hierin viel Spielraum für eine Verbesserung der gesundheitlichen Lage der Bevölkerung liegt. So hat z. B. die Ankündigung einer Steuer auf zuckerhaltige Getränke in Großbritannien bewirkt, dass die Softdrink-Produzent*innen den Zuckeranteil ihrer Produkte um 30% senkten. Obwohl zunächst bekämpft, wird die Abgabe inzwischen sogar von den Produzent*innen positiv beurteilt.Chile verfolgt aufgrund einer hohen Prävalenz übergewichtiger Kinder mehrere Stränge zur Regulierung ungesunder Lebensmittel. Um den Anstieg von Adipositas abzuflachen, müssten:
-Rahmenbedingungen geschaffen werden, damit Verbraucher*innen informierte Entscheidungen zu Lebensmitteln treffen können
-die Exposition mit ungesunden Lebensmitteln, insbesondere der Zugang dazu für Kinder, begrenzt werden
-Lebensmittelproduzent*innen dazu gebracht werden, die nährwertbezogene Qualität ihrer Produkte zu erhöhen.
Damit ist die Gesetzgebungskompetenz des Bundes angesprochen; auf die Probleme mit der Einführung einer Ampel für eine verbraucherfreundliche Lebensmittelkennzeichnung sei hier nur verwiesen.
Zu Ihrer Anregung, ein Hearing zum wissenschaftlichen Projekt und zur Krankheit für Stadträt*innen anzubieten, müssen wir leider darauf hinweisen, dass sich dies aufgrund der Einbindung der Kräfte des GSR in die Bekämpfung der Pandemie aus Ressourcengründen derzeit nicht bewerkstelligen lässt.
Darüber hinaus beantragen Sie, über die dänische Botschaft eine Delegationsreise nach Kopenhagen zu planen und durchzuführen, um das Projekt und die Vorgehensweise besser kennen zu lernen. Auch dies ist aufgrund der Corona-Pandemie und der damit einhergehenden Reisebeschränkungen derzeit nicht möglich.
Auch das Angebot von Novo Nordisk, am „Tag des Diabetes“ im Rathaus einen kostenlosen Zuckertest für städtische Mitarbeiter*innen durchzuführen, konnte pandemiebedingt nicht realisiert werden. Um münchenweit jene Menschen zu erreichen, die unentdeckt an einem bereits vorhandenen Diabetes oder Prädiabetes leiden, scheinen die städtischen Mitarbeiter*innen jedoch eine sehr selektiv gewählte Gruppe. Sie sind durch ein ausgezeichnetes Betriebliches Gesundheitsmanagement mit einer Vielzahl an kostenlosen Bewegungs-, Ernährungs- und Stressbewältigungsangeboten (derzeit auch online) sehr gut versorgt. Im Übrigen fand bereits zum Welttag des Diabetes (14.11.2019) eine Diabetes-Informationsveranstaltung (inklusive Blutzuckermessung, Ernährungsberatung und Screening mittels Findrisk-Test) für alle Mitarbeitenden durch den Betriebsärztlichen Dienst der LHM im Rathaus statt.Da leider auch die Zivilisationskrankheiten ungleich verteilt sind – unter Adipositas und Diabetes leiden häufiger Menschen mit geringerem sozioökonomischen Status – wäre die Verringerung von Armut darüber hinaus eine der wichtigsten Maßnahmen, um gesundheitliche Ungleichheit zu bekämpfen.
Die Prävention von Zivilisationskrankheiten hat im Gesundheitsreferat einen hohen Stellenwert, es ist aber von einem Anschluss an das Netzwerk von Novo Nordisk kein Mehrwert für München zu erkennen, so begrü-ßenswert und erfreulich diese Initiative sicher ist.
Um Kenntnisnahme der vorstehenden Ausführungen wird gebeten. Ich gehe davon aus, dass die Angelegenheit damit abgeschlossen ist.