Radl vs. Motorrad – Wird bei Demos mit zweierlei Maß gemessen?
Anfrage Stadtrats-Mitglieder Professor Dr. Jörg Hoffmann, Gabriele Neff, Richard Progl und Fritz Roth (FDP BAYERNPARTEI Stadtratsfraktion) vom 27.7.2020
Antwort Kreisverwaltungsreferent Dr. Thomas Böhle:
Herr Oberbürgermeister Reiter hat mir Ihre Anfrage vom 27.7.2020 zur Beantwortung überlassen.
Inhaltlich teilen Sie Folgendes mit:
„Für Samstag, 4.7., war eine Motorrad-Demonstration mit einigen Tausend Teilnehmern und einer Fahrt über den Mittleren Ring angemeldet Das Kreisverwaltungsreferat hat die Veranstaltung am Vortag kurzfristig abgesagt – wegen Sicherheitsbedenken. Durch so viele Fahrzeuge könne der Verkehr zum Erliegen kommen, was für Rettungsfahrzeuge zum Problem werden könne, argumentierte die Behörde.1 Genau zwei Wochen später, am 18.7., fand auf einer Strecke von mehr als 16 Kilometern im Stadtgebiet mit Genehmigung des Kreisverwaltungsreferats eine Demonstrationsfahrt von vielen Tausend Fahrradfahrern statt – laut Veranstalterangaben doppelt so viele Teilnehmer wie erlaubt. Dabei wurden – wie auf Bildern in Medienberichten klar erkennbar – nicht nur Straßen und Fahrradwege, sondern auch Fußwege benutzt.2 So war für Fußgänger kein Platz mehr und es konnten gefährliche Situationen entstehen.
Die Demonstrationsfreiheit ist ein elementares Grundrecht. Umso wichtiger ist es uns als FDP BAYERNPARTEI Stadtratsfraktion, dass alle Bürgerinnen und Bürger das Handeln der Verwaltung im Vorfeld einschätzen können.
Wir bitten um die Beantwortung der folgenden Fragen:
- Warum wurden die Sicherheitsrisiken bei den beiden genannten Demonstrationen unterschiedlich bewertet?
- Werden bei Demonstrationen mit Straßensperrungen für unterschiedliche Verkehrsmittel unterschiedlich strenge Maßstäbe gesetzt bzw. wird die Zulassung von unterschiedlichen Kriterien abhängig gemacht? Wenn ja, von welchen?
- Die Radl-Demo bezog sich ausdrücklich auf die Forderung nach einem Altstadt-Radlring. Warum wurde dann eine Strecke genehmigt, die in weiten Teilen nichts mit diesem zu tun hatte (nach Osten ins Lehel, an der Isar entlang, zum Mittleren Ring, über Stiglmaierplatz und Hacker- brücke zur Theresienwiese)?
-Die Radl-Demo wurde nach Presseberichten unter Corona-Auflagen, d.h. Maskenpflicht, genehmigt. Auf den Bildern der Veranstaltung trägt aber kaum einer der Teilnehmer einen Mund-Nasen-Schutz. Wurde die Einhaltung der Auflagen kontrolliert und ggf. sanktioniert? Wenn ja, wie viele Beanstandung gab es und welche Konsequenzen erfolgten? Wenn nein, warum nicht?“
1 www.br.de/bayern/muenchen-motorrad-chaos-trotz-demoverbot
2 www.sueddeutsche.de/muenchen/muenchen-demo-radentscheid
Zu Ihren Fragen nehme ich im Einzelnen wie folgt Stellung:
Frage 1:
Warum wurden die Sicherheitsrisiken bei den beiden genannten Demonstrationen unterschiedlich bewertet?
Antwort:
Im vorliegenden Fall wurde die Versammlung der Motorradfahrer am 4.7.2020 in Abstimmung mit den Sicherheitsbehörden, insbesondere mit der Polizei und dem Gesundheitsreferat untersagt. Bei der untersagten Versammlung musste davon ausgegangen werden, dass der Individualverkehr am gesamten Mittleren Ring und nicht nur auf einzelnen Streckenabschnitten mit weitreichenden Folgen für den innerstädtischen Verkehr zum Erliegen kommt. Insbesondere war zu erwarten, dass dadurch die gesetzlichen Hilfsfristen der Rettungsdienste im Stadtgebiet nicht mehr eingehalten hätten werden können. Die Situation wurde durch den Umstand verschärft, dass die Versammlung an einem per se verkehrsreichen Samstag stattfinden sollte. Eine formelle zeitliche Verlegung wurde dabei behördlicherseits als nicht geeignetes Mittel eingestuft, da der Veranstalter eine Verlegung als milderes Mittel im Rahmen der Kooperation ablehnte und eine Verlegung der bereits überregional beworbenen Versammlung als organisatorisch nicht durchführbar erachtete. Zudem war zu verzeichnen, dass sich die Prognose der Teilnehmerinnen- und Teilnehmerzahl ausgehend von der Erstanzeige des Veranstalters fortlaufend drastisch erhöhte. Bei der zum Bescheidzeitpunkt angezeigten Teilnehmerzahl von 8.000 wäre es zudem auf dem Mittleren Ring zu einem Ringschluss gekommen. Unter Einhaltung des verkehrlichen Sicherheitsabstandes hätte der Korso eine Gesamtlänge aufgewiesen, die die Gesamtlänge des Mittleren Ringes überschritten hätte. Es wäre praktisch zu einer stationären Versammlung auf dem Mittleren Ring gekommen, für die kein infektiologisch vertretbares Konzept vorgelegt wurde. Hinzu kam die erhöhte Unfallgefahr durch den zu erwartenden Stopp und Go-Verkehr, durch unrhythmisches schnelles Beschleunigen und Abbremsen der schweren Maschinen in der Masse, welche demKreisverwaltungsreferat in der Gefahrenprognose des Polizeipräsidiums München ebenso dargelegt wurde wie die erhöhte Unfallgefahr auf den von Rückstauungen betroffenen Bundesautobahnen.
Bei der Versammlung der Fahrradfahrer*innen war die Schwelle für ein Verbot hingegen nicht überschritten. Die Versammlung wurde aufgrund ihres Gesamtgepräges inklusive des Hygienekonzeptes von den zu beteiligenden Sicherheitsbehörden für verkehrlich und infektionsschutzrechtlich vertretbar bewertet. Maßgeblich war insbesondere die deutlich geringere Teilnehmerinnen- und Teilnehmerzahl.
Frage 2:
Werden bei Demonstrationen mit Straßensperrungen für unterschiedliche Verkehrsmittel unterschiedlich strenge Maßstäbe gesetzt bzw. wird die Zulassung von unterschiedlichen Kriterien abhängig gemacht? Wenn ja, von welchen?
Antwort:
Die der Entscheidung über Beschränkungen von Versammlungen zugrundeliegende Prognose im Rahmen der präventiven Gefahrenabwehr erfolgt immer individuell unter Würdigung der konkreten Umstände des Einzelfalls. Bei der Erstellung dieser Gefahrenprognose werden Fachdienstellen, wie die Polizei, die Branddirektion, das Verkehrsmanagement des Kreisverwaltungsreferates sowie aktuell pandemiebedingt das Gesundheitsreferat und darüber hinaus Vertreter von öffentlichen Belangen, wie die Verkehrsbetriebe, eingebunden.
Frage 3:
Die Radl-Demo bezog sich ausdrücklich auf die Forderung nach einem Altstadt-Radlring. Warum wurde dann eine Strecke genehmigt, die in weiten Teilen nichts mit diesem zu tun hatte (nach Osten ins Lehel, an der Isar entlang, zum Mittleren Ring, über Stiglmaierplatz und Hackerbrücke zur Theresienwiese)?
Antwort:
Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung obliegt es grundsätzlich dem Veranstalter, im Rahmen seines Selbstbestimmungsrechtes die Streckenführung dergestalt zu wählen, wie er sie zur Erreichung seines Versammlungszweckes als zielführend erachtet. Dabei wurden vom Veranstalter als Kooperationsvorschläge verschiedene Routen-Varianten eingebracht, von denen die dann verbeschiedene unter Einbindung o.g. Fachbehörden als im Einklang mit der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durchführbarerachtet wurde. Behördliche Beschränkungen sind nur möglich, wenn die öffentliche Sicherheit und Ordnung unmittelbar in Gefahr ist. Das Versammlungsgeschehen – auch unter Berücksichtigung seiner Nebenfolgen für Dritte – wurde als sozialadäquat eingestuft.
Frage 4:
Die Radl-Demo wurde nach Presseberichten unter Corona-Auflagen, d.h. Maskenpflicht, genehmigt. Auf den Bildern der Veranstaltung trägt aber kaum einer der Teilnehmer einen Mund-Nasen-Schutz, Wurde die Einhaltung der Auflagen kontrolliert und ggf. sanktioniert? Wenn ja, wie viele Beanstandung gab es und welche Konsequenzen erfolgten? Wenn nein, warum nicht?
Antwort:
Eine formelle Verpflichtung zum Tragen von Masken bestand für die Teilnehmer*innen nicht, da diese weder im Bescheid verfügt noch von der seinerzeit gültigen sechsten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung verpflichtend vorgesehen war. Allerdings wurde das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung aus Infektionsschutzgründen empfohlen, woraufhin der Veranstalter im Rahmen der Zusammenarbeit erklärt hat, diese Empfehlung an die Teilnehmer*innen weiterzugeben. Eine repressive Verfolgung des Nicht-Masken-Tragens scheidet daher aus.
Um Kenntnisnahme der vorstehenden Ausführungen wird gebeten. Ich gehe davon aus, dass die Angelegenheit damit abgeschlossen ist.