Geh- und Radwegparken unterbinden III (Radwegsicherheit XXV) Falschpark-Meldungen der Zivilgesellschaft entkriminalisieren, ernst nehmen und Beeinträchtigungen entfernen
Antrag Stadtrats-Mitglieder Sonja Haider, Dirk Höpner, Nicola Holtmann und Tobias Ruff (Fraktion ÖDP/München-Liste) vom 7.4.2022
Antwort Kreisverwaltungsreferentin Dr. Hanna Sammüller-Gradl:
Mit Schreiben vom 7.4.2022 haben Sie Folgendes beantragt:
„Die Stadtverwaltung erarbeitet gemeinsam mit Polizei und KVÜ ein Konzept, wie mit Meldungen von Falschparken durch die Zivilgesellschaft über digitale Medien, Anzeigen, etc. umzugehen ist. Dadurch soll sichergestellt werden, dass Meldende keine Strafen durch Verletzung des Datenschutzes zu befürchten haben und gefährdende Hindernisse schnellstmöglich und effektiv aus dem Weg geräumt werden.“
Zur Begründung des Antrags führten Sie Folgendes aus:
„Bürger*innen haben bundesweit mit Apps wie Wegeheld oder der Home- page weg.li die Gelegenheit, Falschparken auf Geh- und Radwegen oder andere Behinderungen als Ordnungswidrigkeiten anzuzeigen. Das Bayerische Landesamt für Datenschutzaufsicht geht nun gegen die anzeigenden Personen vor und belegt sie mit Geldstrafen mit dem Hinweis, dass die Fotos einen Verstoß gegen die Datenschutzgrundverordnung darstellen. Diese Kriminalisierung von engagierten Bürger*innen verhindert nicht nur die Nachverfolgung und Ahndung von Fehlverhalten, sondern frustriert engagierte Personen, denen Sicherheit und gutes Verhalten im Verkehr am Herzen liegt. Ein gemeinsam erarbeitetes und konsequent umgesetztes Vorgehen schafft dagegen Rechtssicherheit und freie Wege.“
Nach § 60 Abs. 9 GeschO dürfen sich Anträge ehrenamtlicher Stadtratsmitglieder nur auf Gegenstände beziehen, für deren Erledigung der Stadtrat zuständig ist.
Der Inhalt Ihres Antrages betrifft jedoch eine laufende Angelegenheit im Sinne von Art. 37 Abs.1 Satz 1 Nr. 1 GO und § 22 GeschO, deren Erledigung dem Oberbürgermeister obliegt. Eine beschlussmäßige Behandlung der Angelegenheit im Stadtrat ist daher rechtlich nicht möglich.
Zu Ihren konkreten Antragspunkten möchte ich Ihnen Folgendes mitteilen:
Die Überwachung des ruhenden Verkehrs in München wird sowohl vom Polizeipräsidium München als auch von der Kommunalen Verkehrsüberwachung (KVÜ) im Kreisverwaltungsreferat wahrgenommen. Hierbei kon-trolliert die KVÜ 56 der bestehenden Parklizenzgebiete. In den übrigen 13 Parklizenzgebieten sowie im restlichen Stadtgebiet ist das Polizeipräsidium München für diese Kontrollen zuständig.
Von Dritten übermittelte Ordnungswidrigkeiten werden von der KVÜ im Rahmen der rechtlichen und personellen Möglichkeiten bearbeitet, wobei sich in der Praxis aufgrund der Qualität der Meldungen häufig Schwierigkeiten bei der Ahndung ergeben, z.B. weil Verstöße nicht eindeutig erkennbar sind. Bei diesem Vorgang sind zwei Schritte zu unterscheiden. Zunächst die Datenübermittlung von der meldenden Person. Zum Zweiten eine etwaige Ahndung des gemeldeten Parkverstoßes.
Für die Datenübermittlung gilt Folgendes: Seit 25.5.2018 gilt die Datenschutz-Grundverordnung (DS-GVO). Bei dieser Verordnung handelt es sich um einen Rechtsakt des Unionsrechts, welcher gem. Art. 288 Abs. 2 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) allgemeine Geltung hat sowie in all ihren Teilen verbindlich ist und unmittelbar in jedem Mitgliedstaat gilt. Gemäß Art. 1 Abs. 2 DS-GVO schützt diese Verordnung die Grundrechte und Grundfreiheiten natürlicher Personen und insbesondere deren Recht auf Schutz personenbezogener Daten. In ihrem sachlichen Anwendungsbereich unterscheidet die DS-GVO nicht zwischen öffentlichen und nicht öffentlichen Stellen.
Dies bedeutet, dass auch für Privatpersonen die Vorgaben aus der DS-GVO gelten, sofern sie gem. Art. 2 Abs. 1 DS-GVO personenbezogene Daten ganz oder teilweise automatisiert oder nichtautomatisiert in einem Dateisystem verarbeiten.
Für die Überwachung der Anwendung der DS-GVO, damit die Grundrechte und Grundfreiheiten natürlicher Personen bei der Datenverarbeitung geschützt werden, sind gem. Art. 51 DS-GVO die Aufsichtsbehörden zuständig. Für den nicht öffentlichen Bereich in Bayern ist Aufsichtsbehörde das Bayerische Landesamt für Datenschutzaufsicht.
Nach Rechtsauffassung des BayLDA kommt für das Ablichten von KfZ-Kennzeichen und anschließende Weiterleiten an die Behörden als Rechtsgrundlage dieser Datenverarbeitung lediglich Art. 6 Abs. 1 UAbs. 1 lit. f) DS-GVO in Betracht. Hiernach ist die Verarbeitung personenbezogener Daten zur Wahrung der berechtigten Interessen des Verantwortlichen oder eines Dritten erforderlich, sofern nicht die Interessen oder Grundrechte und Grundfreiheiten der betroffenen Person, die den Schutz personenbezogener Daten erfordern, überwiegen. Eine persönliche Beein-trächtigung liegt nach Ansicht des BayLDA dann vor, wenn z.B. wenn der gesamte Gehweg zugeparkt ist und der Betroffene zum Ausweichen auf die öffentliche Straße gezwungen wird oder wenn etwa eine eigene Einfahrt zugeparkt ist, also eine privatrechtliche Besitzstörung vorliegt. Ohne konkrete individuelle Gefährdung sei zwar mitunter ein verkehrsrechtlicher Verstoß weiterhin erkennbar, ein überwiegendes berechtigtes Verfolgungsinteresse liege in diesen Fällen jedoch nicht vor. Eine systematische Überwachung des Straßenverkehrs durch Private, z.B. durch massenhafte Erstellung von Anzeigen ohne erkennbare eigene Betroffenheit, sei jedenfalls rechtlich nicht zulässig.
Das BayLDA verzichtet gemäß aktuellen Presseberichten derzeit darauf, Privatpersonen für Datenschutzverstöße beim Fotografieren von Falschparkern zu verwarnen und mit Gebühren zu belegen. Das BayLDA begründet dies damit, dass zu diesem Thema mehrere Gerichtsverfahren anhängig seien und das Landesamt die Entscheidung der Gerichte abwarten wolle. An der grundsätzlichen Bewertung der Rechtslage habe sich aber seitens des BayLDA nichts geändert.
Die derzeitige Rechtsansicht des BayLDA entspricht der bisherigen Verwaltungspraxis des Kreisverwaltungsreferats.
Das KVR leitet wegen der Datenübermittlungen keine rechtlichen Schritte gegen die meldenden Personen ein und hat dies auch – anders als das BayLDA – von Anfang an so nicht praktiziert.
Für die Ahndung der Parkverstöße gilt Folgendes:
Datenschutzrechtlich unzulässige Datenübermittlungen Privater, wie das massenhafte Erstellung von Anzeigen ohne erkennbare eigene Betroffenheit, werden seitens der Verwaltungsbehörde nicht zum Anlass genommen, verkehrsrechtliche Ordnungswidrigkeitenverfahren einzuleiten.
Richtigerweise können bei der Frage der Zulässigkeit der Datenübermittlung lediglich Individualinteressen privater Dritter eine Rolle spielen; Allgemeininteressen dürfen keine Berücksichtigung finden. Ein anderes Verständnis würde es dem Verantwortlichen entgegen der Systematik des Art. 6 Abs. 1 DS-GVO ermöglichen, sich zum Sachwalter von Allgemeininteressen zu bestellen. Es obliegt jedoch dem Staat und nicht der Privatperson, Allgemeininteressen zu schützen.
Das Erstellen eines Konzepts ist daher schon aus rechtlichen Gründen für diese Fallgruppe der massenhaft erstellten Anzeigen nicht umsetzbar; dieeingeforderte Rechtssicherheit in Form einer „Entkriminalisierung“ betroffener Verkehrsteilnehmenden sowie die Reduzierung von Parkverstößen kann das eingeforderte Konzept nicht bieten.
Ferner ist auch bereits jetzt die Anzeige eines individuellen Verkehrsverstoßes, insbesondere ohne Fertigung von Filmaufnahmen, nicht verboten. Grundsätzlich besteht das Jedermannsrecht auf Anzeigeerstattung gem. §§ 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 158 Abs. 1 StPO.
So steht es grundsätzlich jeder Person frei, Anzeige zu erstatten, etwa über eine telefonische Anzeige bei der Polizei. Nicht mehr unter das Jedermannsrecht auf Anzeigeerstattung fallen jedoch hoheitsähnliche Massenanzeigen. Die Nachverfolgung und Ahndung von Fehlverhalten ist nämlich nicht die Aufgabe von engagierten Bürger*innen, denen Sicherheit und regelkonformes Verhalten im Verkehr am Herzen liegt. Die Verkehrsüberwachung ist eine hoheitliche Aufgabe und obliegt als Ausfluss des Gewaltmonopols alleine dem Staat. In Bayern obliegt die Verfolgung und Ahndung von Verkehrsordnungswidrigkeiten gem. § 36 Abs. 2 Satz 1 OWiG i.V.m. §§ 88 Abs. 3, 89 Nr. 12, 91 ZustV den Gemeinden, den Kreisverwaltungsbehörden und der Polizei. Eine Übertragung von hoheitlichen Befugnissen auf eine Privatperson in Form einer Beleihung ist rechtlich nur zulässig, wenn es eine entsprechende Befugnisnorm gibt, vgl. Art. 33 Abs. 4 GG. Eine solche existiert für den Bereich der Verkehrsüberwachung nicht. Die freiwillige systematische Verkehrsüberwachung durch eine Privatperson darf daher nicht die Grundlage für das Handeln der Behörde bilden.
Abweichend dazu sind die Fälle zu betrachten, bei denen eine zulässige Datenverarbeitung deshalb vorliegt, da die anzeigende Person nicht flächendeckend ohne konkrete Betroffenheit anzeigt, sondern die Verletzung eigener Rechte geltend macht.
In diesen Fällen erscheint die Einleitung eines Ordnungswidrigkeitenverfahrens grundsätzlich geboten, sofern nicht nur ein unerheblicher Verstoß vorliegt. Auch ist in diesen Konstellationen eine Ahndung seitens des Bay-LDA mangels datenschutzrechtlichem Verstoß nicht zu befürchten.
Die Einleitung eines Ordnungswidrigkeitenverfahrens verlangt jedoch eine belastbare Dokumentation über den geltend gemachten Verstoß. Insbesondere muss der Verstoß klar erkennbar sein, z.B. durch eine entsprechende Überwachungszeit, um Halte- von Parkverstößen zu unterscheiden.
Die Erstellung eines darüber hinausgehenden Konzepts ist nicht erforderlich. Das Kreisverwaltungsreferat steht im Austausch mit dem Polizeiprä-sidium München, welches sich auf Nachfrage wie folgt zu dem Antrag äußert:
„Der ÖDP-Antrag thematisiert die Aktivitäten von Mitteilenden, die – aus ihrer Sicht – ordnungswidrig auf Geh- und Radwegen abgestellte Fahrzeuge fotografieren (in der Regel mit erkennbarem amtlichen Kennzeichen) und diese Fotos dann der Polizei mit der Absicht zuleiten, die Einleitung eines Ordnungswidrigkeitenverfahrens zu erreichen.
Klarstellend ist festzuhalten, dass die bloße, z.B. telefonische, Mitteilung etwaigen Falschparkens selbstverständlich jedem freisteht. Hinsichtlich der Art und Weise der Mitteilung unterliegen jedoch auch Bürger und Bürgerinnen den Vorgaben der DS-GVO, so dass die Polizei bei entsprechenden Verstößen zur Meldung an das BayLDA verpflichtet ist.
Das – teilweise massenhafte – Fertigen solcher Bilder sowie die Weiterleitung an Behörden stellt gem. der derzeitigen Bewertung des Bayerischen Landesamtes für Datenschutzaufsicht (BayLDA) eine Datenverarbeitung nach der DS-GVO dar, für die es einer Rechtsgrundlage bedarf. Diese ergäbe sich aus der Erfüllung mindestens einer Bedingung aus Art. 6 Abs. 1 DS-GVO.
Die einzige hier denkbare Rechtfertigung wäre die Wahrung berechtigter Interessen nach Art. 6 Abs. 1 S. 1 lit. f DS-GVO. Regelmäßig ist das Vorliegen eines solchen „Berechtigten Interesses“ nur zu bejahen, sofern der für die Datenerhebung Verantwortliche unmittelbar selbst vom ordnungswidrigen Verhalten des Falschparkers betroffen ist. Ein Beispiel hierfür wäre eine Besitzstörung durch das Verparken einer Grundstückszufahrt, welches den Grundstückseigentümer am Einfahren auf sein Grundstück hindert. Das reihenweise Fotografieren von mutmaßlich falsch abgestellten Kraftfahrzeugen ohne individuelle Betroffenheit des Fotografen fällt nicht unter diese Regelung, da den Bürgerinnen und Bürgern andere, mildere Mittel zur Verfügung stehen, um etwaige Ordnungswidrigkeiten zur Kenntnis zu geben. Art. 6 Abs. 1 S. 1 lit. f) DS-GVO verlangt insofern explizit, neben dem Vorliegen eines berechtigten Interesses auf Seiten des Fotografierenden, auch eine Berücksichtigung der Interessen der Person, welche von der Datenverarbeitung betroffen ist. Das Polizeipräsidium München sieht in diesem Zusammenhang keine Möglichkeit, sich über eine Verordnung der Europäischen Union hinwegzusetzen, die ohne Umsetzung in nationales Recht unmittelbare Geltungskraft entfaltet.“
Um Kenntnisnahme von den vorstehenden Ausführungen wird gebeten. Wir gehen davon aus, dass die Angelegenheit damit abgeschlossen ist.