Entwicklung der zu zahlenden Eigenanteile für Pflegebedürftige in stationärer und häuslicher Pflege und die Auswirkungen auf das Sozialreferat
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Rathaus Umschau 216 / 2022, veröffentlicht am 11.11.2022
Entwicklung der zu zahlenden Eigenanteile für Pflegebedürftige in stationärer und häuslicher Pflege und die Auswirkungen auf das Sozialreferat
Anfrage Stadtrats-Mitglieder Marie Burneleit, Stefan Jagel, Thomas Lechner und Brigitte Wolf (DIE LINKE. / Die PARTEI Stadtratsfraktion) vom 6.9.2022
Antwort Sozialreferentin Dorothee Schiwy:
In Ihrer Anfrage vom 6.9.2022 führen Sie Folgendes aus:
„Die heutige Berichterstattung im Münchner Merkur zu den steigenden Eigenanteilen für die Bewohnerinnen und Bewohner von Pflegeheimen ist alarmierend und bestätigt leider alle Befürchtungen. Jetzt drohen aber offenkundig Erhöhungen der Eigenanteile nicht mehr nur in Höhe von 400 Euro, sondern bis zu 1.000 Euro. Die massive Kostensteigerung überfordert viele Menschen finanziell und wird zu einer weiteren Steigerung von Altersarmut auch in Pflegeheimen beitragen. Aus unserer Sicht steigen damit die Ausgaben des Sozialreferats.“
Zu Ihrer Anfrage vom 6.9.2022 nimmt das Sozialreferat im Auftrag des Herrn Oberbürgermeisters im Einzelnen wie folgt Stellung:
Frage 1:
Wie viele Leistungsberechtigte für die Übernahme der Kosten zur Finanzierung eines Pflegeheimplatzes sind zum 31. August statistisch erfasst?
Antwort:
Die Einwirkungsmöglichkeiten der Kommunen auf den Pflegemarkt sind bekanntermaßen insgesamt beschränkt. Das Sozialreferat hat als örtlicher Träger der Sozialhilfe nach Art. 69 und 73 Gesetz zur Ausführung der Sozialgesetze (AGSG) zwar den Auftrag, den Bedarf an Einrichtungen der Langzeitpflege festzustellen und (gemeinsam mit Pflegekassen, Leistungs- und Kostenträgern) darauf hinzuwirken, dass entsprechende Einrichtungen rechtzeitig und ausreichend zur Verfügung stehen. Der zuständige Kostenträger für die Hilfe zur Pflege und damit für die existenzsichernden Leistungen in der ambulanten und vollstationären Pflege ist jedoch der Bezirk Oberbayern und nicht die Landeshauptstadt München.
Um dennoch einen regelmäßigen Überblick über das dynamische Marktgeschehen in München zu erhalten, erstellt das Sozialreferat aus eigener Initiative jedes Jahr einen Marktbericht für den Bereich der voll- und teilstationären Pflege. Für den „Zwölften Marktbericht Pflege des Sozialrefe-rats“ (Bekanntgabe vorgesehen für die Sitzung des Sozialausschusses am 20.10.2022, Sitzungsvorlage Nr. 20-26/V 07201) wurde auch in diesem Jahr wieder eine Vollerhebung bei allen Münchner vollstationären Pflegeeinrichtungen für den Stichtag 15.12.2021 durchgeführt. Zusätzliche unterjährige Erhebungen sind aufgrund des hohen Aufwandes für die Einrichtungen nicht möglich.
Zum o.g. Stichtag waren in den vollstationären Pflegeeinrichtungen in München insgesamt 2.688 Pflegebedürftige auf „Hilfe zur Pflege“ nach dem Sozialgesetzbuch – Zwölftes Buch – Sozialhilfe (SGB XII) angewiesen. Der Anteil an allen Bewohner*innen lag zu diesem Zeitpunkt bei 36,5 Prozent und stieg in den letzten Jahren kontinuierlich an.
Frage 2:
Welche Summen hat die Landeshauptstadt München für die Zuzahlung eines Pflegeheimplatzes 2021 aufgebracht, welche Summe war im Haushalt eingeplant? (bitte aufschlüsseln nach: Grundsicherung in vollstationären Einrichtungen, Hilfe zum Lebensunterhalt in vollstationären Einrichtungen, Hilfe zur Pflege in vollstationären Pflegeeinrichtungen)
Antwort:
Neben den Leistungen für vollstationäre Pflege aus der Pflegeversicherung (Pflegegrad 2 (PG 2): 770 Euro, PG 3: 1.262 Euro, PG 4: 1.775 Euro, PG 5: 2.005 Euro) setzen sich die Kosten für einen Platz in einer vollstationären Pflegeeinrichtung (Eigenanteil/Gesamtkosten), die die*der Bewohner*in selbst erbringen muss, aus folgenden Positionen zusammen:
-Kosten für den „pflegebedingten Aufwand“ (einheitlich in den Pflegegraden zwei bis fünf),
-Kosten für Unterkunft und Verpflegung,
-Investitionskostenbetrag je nach Zimmergröße und
-weitere Zusatzkosten (z.B. Ausbildungszuschlag).
Aus dem o.g. „Zwölften Marktbericht Pflege des Sozialreferats“ ist bekannt, dass die Bewohner*innen in den Münchner vollstationären Pflegeeinrichtungen im Median im Einzelzimmer am Stichtag 1.12.2021 insgesamt 2.909,51 Euro selbst bezahlen mussten.
Menschen, die diese Kosten nicht bzw. nicht vollständig aus eigenen Mitteln tragen können, haben daher Anspruch auf Sozialhilfe (in diesem Fall: „Hilfe zur Pflege“ nach dem SGB XII). Der zuständige Kostenträger für diese Leistung ist, wie oben erwähnt, in Bayern der Bezirk Oberbayern als überörtlicher Träger der Sozialhilfe. Im Falle einer Anspruchsberechtigung übernimmt der Bezirk Oberbayern dann die nicht durch das eigene Ein-kommen und die Leistungen der Pflegekasse gedeckten Kosten für den Platz in der vollstationären Pflegeeinrichtung und rechnet diese direkt mit der vollstationären Pflegeeinrichtung ab. Darüber hinaus wird der*dem Leistungsempfänger*in monatlich ein sogenannter Barbetrag nach § 27 SGB XII gezahlt, der zur freien Verfügung steht. Dieser beträgt derzeit etwa 127 Euro.
Im Rahmen eines komplexen Umlageverfahrens werden den Bezirken
als überörtlichen Trägern die Kosten für alle ihre Aufgaben (dazu gehört u.a. auch die Eingliederungshilfe) durch die örtlichen Träger (Städte und Landkreise) erstattet. Eine genaue Bezifferung der Kosten für die Hilfe zur Pflege in den Münchner Einrichtungen ist aufgrund der vielschichtigen Be- und Verrechungsverfahren der sog. „Bezirksumlage“ in Bayern nicht möglich.
Die Bundesregierung hat in der vorangegangenen Legislaturperiode einen ersten Versuch unternommen die seit einiger Zeit sichtbar steigenden Eigenanteile zu begrenzen. Mit dem sog. Gesetz zur Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung (GVWG), wurde eine entsprechende Entlastung in Abhängigkeit von der Dauer des Aufenthalts in einer vollstationären Pflegeeinrichtung beschlossen. Ab dem 1.1.2022 erhalten die Bewohner*innen somit im ersten Jahr ihres Aufenthalts einen Zuschlag von 5 Prozent zum o.g. pflegebedingten Aufwand, im zweiten Jahr 25 Prozent, im dritten Jahr 50 Prozent und ab dem vierten Jahr 75 Prozent).
Die derzeitige Preisentwicklung führt insbesondere aufgrund der stark steigenden Energiekosten (aber u.a. auch aufgrund der von den Pflegebedürftigen zu tragenden Ausbildungsumlage) in der gesamten Langzeitpflege (von ambulanter bis vollstationärer Pflege) zu höheren Preisen und aufgrund der gedeckelten Leistungen der Pflegeversicherung zu entsprechend höheren Eigenanteilen für die Pflegebedürftigen bzw. ihre Angehörigen.
Die Landeshauptstadt München hat sich in dieser Angelegenheit daher bereits mehrfach schriftlich an die Bundesregierung mit der Bitte gewandt, die bislang nicht ausreichenden Entlastungen schon ab dem Einzug in eine Einrichtung deutlich zu erhöhen und die von den Pflegebedürftigen selbst zu tragenden Kosten dauerhaft auf ein verträgliches Maß zu begrenzen. Die bestehende Struktur der Pflegeversicherung ist aus Sicht der Landeshauptstadt München zudem grundsätzlich auf den Prüfstand zu stellen bzw. zu reformieren.
Frage 3:
Welche Haushaltsmittel sind für die Jahre 2022 und 2023 jeweils eingeplant? (bitte aufschlüsseln nach: Grundsicherung in vollstationären Einrichtungen, Hilfe zum Lebensunterhalt in vollstationären Einrichtungen, Hilfe zur Pflege in vollstationären Pflegeeinrichtungen)
Antwort:
Da in Bayern die Bezirke für die Kosten der Sozialhilfe in vollstationären Pflegeeinrichtungen zuständig sind, werden im städtischen Haushalt keine Mittel für diese Sozialhilfeleistung eingestellt. Das Sozialreferat teilt jedoch Ihre Einschätzung, dass im Zuge der zu erwartenden Kostenentwicklung und der nicht ausreichenden Refinanzierung durch die Pflegeversicherung künftig noch mehr Menschen auf Sozialhilfe in vollstationären Pflegeeinrichtungen angewiesen sein werden. Dementsprechend ist auch davon auszugehen, dass die Aufwendungen für die öffentlichen Haushalte (unabhängig von der jeweiligen Kostenträgerschaft) deutlich zunehmen werden.
Frage 4:
Vor dem Hintergrund der steigenden Eigenanteile und der Zunahme von Altersarmut, mit welcher Mehrbelastung rechnet das Sozialreferat, falls es keine Änderung der Landes- und Bundesgesetzgebung gibt?
Antwort:
Wie in der Antwort zu Frage 3 bereits ausgeführt, sind in Bayern die Bezirke für die Kosten der Sozialhilfe in vollstationären Pflegeeinrichtungen zuständig. Daher werden sich die entsprechenden Mehrbelastungen zunächst dort niederschlagen. Im Zuge des o.g. Umlageverfahrens werden diese mit zeitlicher Verzögerung allerdings auch auf die Kommunen übertragen. Eine Bezifferung der zu erwartenden Summen ist aufgrund des erwähnten komplizierten Berechnungsverfahrens und der schwer prognostizierbaren Kostenentwicklungen derzeit nicht möglich.