Die diesjährigen Fernsehpreise LiteraVision gehen in der Kategorie Kurzfilm an Laura Beck für ihren Beitrag „Markus Ostermair: Der Sandler“ (BR) und in der Kategorie Langfilm an Susanne Ayoub für ihren Filmessay „Antschel – Paul Celan zu seinem 100. Geburtstag“ (ORF). Über die Auszeichnungen wurde im Anschluss an eine zweitägige öffentliche Jurysitzung zu den nominierten Filmen, die am 18. und 19. November im Literaturhaus stattgefunden hat, durch die Jury entschieden.
Die mit jeweils 8.000 Euro dotierten Preise werden biennal für Fernsehsendungen vergeben, die auf beispielhafte Weise über (belletristische) Bücher oder über Autor*innen informieren. In diesem Jahr haben sich 40 Filmemacher*innen aus dem gesamten deutschsprachigen Raum mit insgesamt 53 Beiträgen beworben.
Die Jurybegründungen: Laura Beck: „Markus Ostermair: Der Sandler“ (BR)
„,Trinken, Essen, Schlafen, der Rest besteht aus Warten‘. Das ist der Tagesablauf eines Obdachlosen, und das ist der Sound von Markus Ostermairs Romandebüt ,Der Sandler‘. Ostermair erzählt aus dem Leben von Menschen am Rande der Gesellschaft: eindringlich, atmosphärisch dicht und in unvergesslichen Bildern, die einem lange im Kopf bleiben. Laura Beck gelingt es, diesen vielschichtigen Roman in kurzen sechs Minuten filmisch einzufangen und den Zuschauern auf besonders intensive Weise nahe zu bringen. Sie gibt einem Obdachlosen das Wort, der einer der Protagonisten des Romans sein könnte, und verbindet seine Lebensgeschichte gekonnt mit Zitaten aus dem Roman und eindrucksvollen Kom- mentaren des Autors.
Wie schnell man aus einem normalen Leben herausfallen kann, wie schwer es ist, wieder zurückzufinden, was es bedeutet, auf der Straße zu leben – das ganze Spektrum des Romans nimmt Laura Beck inhaltlich, emotional und in einer eigenständigen, persönlichen Bildsprache in den Blick. So vermittelt sich nicht nur das Anliegen des Autors, das Narrativ zu brechen, der Einzelne sei an seiner prekären Existenz selbst Schuld, es vermittelt sich auch die Würde der Menschen, die ohne Zuhause sind, und es vermittelt sich hervorragend die gesellschaftliche Relevanz von Literatur.“
Susanne Ayoub: „Antschel – Filmessay über Paul Celan zu seinem 100. Geburtstag“ (ORF)
„Mit Füllfederhalter in einen Spiralblock geschrieben: ‚Erreichbar, nahe und unverloren blieb inmitten der Verluste dies Eine: die Sprache.‘ Gefolgt von der Fotografie eines mit antisemitischen Tiraden beschmierten Schaufensters. Es ist eines der konkreteren Bilder in Susanne Ayoubs Film ‚Antschel‘, der in doppelter Hinsicht ein persönlicher Film ist. Da sind zum einen die wiederkehrenden Zeilen aus unterschiedlichen Texten Paul Celans, die eine Hand aufs Papier schreibt, gefolgt von assoziativen Szenen: Buchenwälder, die Hauseingänge und Straßen von Czernowitz und Sadagora, Landschafts- und Stadtansichten, Szenen also, die Celans Sprachbilder interpretieren, visualisieren und in denen Susanne Ayoubs eigener Blick auf den Dichter und sein Werk spürbar wird. Und dann ist da die zweite persönliche Ebene, die Celans langjähriger Freund, der 93-jährige Klaus Demus in den Film hineinträgt, indem er als Wegweiser fungiert. Was Susanne Ayoubs Filmbildern an Konkretheit fehlt, wird durch Demus‘ Schilderungen ins Gleichgewicht gebracht: Er erzählt, in seiner Wohnung sitzend, von seiner Verehrung für den Freund, dessen übergroße Verletzlichkeit zum Bruch zwischen den beiden führte, von Celans Verfolgungswahn, seinem Freitod in der Seine. Demus zeigt Fotos, Briefe, Bücher und sagt an einer Stelle: ‚Wer nach dem eigentlich Gemeinten fragt, der hat die Poesie nicht begriffen.“ Es ist ein zentraler Satz, der sich auf Ayoubs Film übertragen lässt. Wer nach der genauen Bedeutung der Bilder fragt, die viel zeigen, aber nichts erklären, dürfte sich abgewiesen fühlen. ‚Antschel‘ ist eher eine künstleri- sche Dokumentation, in der die 1956 in Baghdad geborene Filmemacherin die Zuschauer mit formaler Strenge fordert, ihnen gleichzeitig aber Zeit und Raum gibt, um Celans Sprache einerseits und Klaus Demus‘ Berichte andererseits auf sich wirken zu lassen. So entsteht ein dichter, poetischer Film, der viele Fragen offenlässt, uns als Zuschauer dadurch aber auch einlädt, Celan wieder zu lesen, um ihn uns selbst neu zu erschließen.“
Der Jury 2022 gehörten an: Pierre Jarawan (Autor), Dagmar Knöpfel (Filmregisseurin, Drehbuchautorin), Antje Kunstmann (Verlegerin), Dr. Dagmar Leupold (Autorin), Dr. Kathrin Sorko (Lektorin) und Thilo Wydra (Autor, Journalist) sowie die Stadtratsmitglieder Marion Lüttig und Thomas Niederbühl (beide Fraktion Die Grünen – Rosa Liste), Beatrix Burkhardt (Stadtratsfraktion der CSU mit FREIE WÄHLER) und Klaus Peter Rupp (SPD/Volt-Fraktion).
Weitere Informationen zum Preis unter www.muenchen.de/literatur.