Stadt-Aschenbecher – Tobacycle in München etablieren
Antrag Stadtrats-Mitglieder Sonja Haider, Dirk Höpner, Nicola Holtmann und Tobias Ruff (Fraktion ÖDP/München-Liste) vom 18.8.2021
Antwort Kommunalreferentin Kristina Frank:
Mit Ihrem Antrag fordern Sie die Landeshauptstadt München (LHM), Abfallwirtschaftsbetrieb München (AWM), auf, testweise in zwei Stadtgebieten das Recyclingsystem von „TobaCycle – Das Sammelsystem für Zigarettenkippen“ zu etablieren. Dazu sollen die Testgebiete mit speziellen „Stadt-Aschenbechern“ nach Amberger Vorbild ausgestattet bzw. Annahmestellen eingerichtet und das Einsammeln der Zigarettenkippen organisiert werden. Als Annahmestellen sollen z.B. Gastronomiebetriebe gewählt werden, die Pächter*innen von städtischen Immobilien sind. Tobacycle verwerte die gesammelten Kippen restlos – inklusive Asche und Giftstoffen, die verkapselt würden. So entstehe ein spritzfähiges Granulat, aus dem wiederum Behälter für das Sammelsystem hergestellt würden. Das eine Testgebiet solle an der Isar liegen, das zweite in einem der Ausgeh-Viertel der Stadt. Wenn sich das Konzept innerhalb eines Jahres bewähre, solle es stadtweit eingeführt werden.
Sie begründen Ihren Antrag damit, dass eine Zigarettenkippe bis zu 7.000 Schadstoffe enthalte und bis zu 1.000 Liter Wasser verunreinige.
Nach § 60 Abs. 9 GeschO dürfen sich Anträge ehrenamtlicher Stadtratsmitglieder nur auf Gegenstände beziehen, für deren Erledigung der Stadtrat zuständig ist. Der Inhalt Ihres Antrages fällt nach Art. 88 Abs. 3 Satz 1 GO i.V.m. der Betriebssatzung des AWM in den Geschäftsbereich der Werkleitung. Eine beschlussmäßige Behandlung der Angelegenheit im Stadtrat ist daher rechtlich nicht möglich.
Zu Ihrem Antrag vom 18.8.2021 teile ich Ihnen Folgendes mit:
Funktionsweise des Sammelsystems von Tobacycle
Tobacycle wirbt mit einem eigenen Sammelsystem für Zigarettenkippen. Dabei stattet Tobacycle Einzelpersonen, Unternehmen, Kommunen, Gastronomen, Schulen, Veranstalter*innen oder Clean-Ups mit Sammelbehältern aus, die nach der Befüllung mit Zigarettenkippen zurückgeschickt oder an Annahmestellen gebracht werden müssen. Je nach Qualität des Sammelergebnisses können die Zigaretten dann entweder recycelt oder müssen alternativ verwertet werden.Sofern die Sammelqualität gut ist, die Zigarettenkippen also sauber und trocken direkt nach dem Rauchvorgang in den Behältern gesammelt wurden, können diese stofflich verwertet und zu neuen Sammelbehältern recycelt werden. Dabei liegt der maximale Anteil von Zigarettenkippen als Zusatzstoff bei 5%. Die übrigen 95% der neu gewonnenen Sammelbehältnisse bestehen aus recycelten Kunststoffen.
Zigarettenkippen, die nicht sauber und trocken direkt nach dem Rauchvorgang in den Behältnissen von Tobacycle gesammelt wurden, also nass geworden sind, mit Fremdstoffen vermischt oder in ungeeigneten Behältern gesammelt wurden, können nicht recycelt werden. Diese werden dann Abfallvergärungsanlagen, Biogasanlagen oder Restmüllverbrennungsanlagen zugeführt, um Strom und Wärme zu gewinnen.
Laut der Homepage von Tobacycle gibt es im Münchner Stadtgebiet derzeit noch keine Annahmestelle. Die nächstgelegene Annahmestelle befindet sich in ca. 80 km Entfernung in 84051 Essenbach bzw. in 85049 Ingolstadt (Stand: 28.12.2021). Die Homepage liefert aktuell keine Auskunft darüber, wie man sich als Annahmestelle registrieren lassen kann.
Offene Fragen am Sammelsystem von Tobacycle
Dem AWM stellen sich einige Fragen zum Sammelsystem von Tobacycle. Beispielsweise ist dem AWM nicht klar, wie sich Tobacycle finanziert. Zwar kann man auf der Homepage tobacycle.com spenden oder Sponsor werden, Vertragspartner müssen Mitglied oder Fördermitglied werden. Doch die genaue Finanzierungsstruktur wird nicht klar.
Außerdem bleiben offene Fragen bzgl. des Recyclingsverfahrens. Es ist unklar, wie dieses genau funktioniert und ob die beigefügten Zigarettenkippen lediglich als Zusatzstoffe zum reinen Plastik gelten und dieses somit eher verunreinigen, ob ein Sammelbehälter nach Ablauf seiner Gebrauchszeit also noch für andere Zwecke gebraucht werden kann. Tobacycle führt auch nicht aus, woher das recycelte Granulat bezogen wird. Auch ist nicht offensichtlich, wie hoch der Energiebedarf und die CO2-Bilanz bei der Herstellung des Sammelbehälters ist.
Der AWM hat sich aufgrund dieser vielen Unklarheiten am 15.10.2021 per E-Mail an Tobacycle gewandt und um Auskunft zu den offenen Fragen sowie Übersendung eines Musterbehälters aus recycelten Zigarettenkippen gebeten. Außerdem hat der AWM mit dieser E-Mail die Kosten für eine testweise Etablierung des Sammelsystems in zwei Stadtgebieten erfragt und um Informationen zur weiteren Zusammenarbeit gebeten.
Trotz Erinnerung per E-Mail am 2.11.2021 hat Tobacycle nicht auf die Anfrage des AWM reagiert.
Stellungnahme der Stadt Amberg
Der hiesige Stadtratsantrag benennt die Stadt Amberg als Good-Practice-Beispiel. Vor diesem Hintergrund hat der AWM die Stadt Amberg angeschrieben und nach deren Erfahrungen mit Tobacycle befragt.
Die Stellungnahme des Amtes für Ordnung und Umwelt der Stadt Amberg lautet wie folgt:
„(…) die Abfallwirtschaft der Stadt Amberg unterstützt das Toba-Cycle Projekt nicht, weil wir viele angeblich positive Umweltgesichtspunkte dieses Projekts in Frage stellen. Wir haben hauptsächlich Bedenken hinsichtlich folgender Punkte:
-Transport der Kippen zur weiteren Verarbeitung
-Schadstoffverdünnung des giftigen Materials in unbedenklichen Kunststoff
-Zweckentfremdung Kippensammler
Nichtsdestotrotz hat die Initiatorin und treibende Kraft des Projekts in der Stadt Amberg (...) die Unterstützung von anderen städtischen Stellen gewonnen und deswegen werden mancherorts Kippen für Toba-Cycle gesammelt.
(...)
Da die Kippen tatsächlich ein Problem darstellen, hat das für die Straßenreinigung zuständige Amt die Papierkörbe in der Innenstadt umgerüstet, damit diese besser für die Kippensammlung geeignet sind. Die Kippen nehmen zusammen mit den anderen Abfällen den Weg in die nahe gelegene Müllverbrennungsanlage, die mit Rauchgasreinigungsanlagen ausgestattet ist.
Das Hauptaugenmerk bei der Kippenproblematik müsste unserer Meinung nach nicht darauf liegen, noch mehr Abfall (verunreinigte Kunststoffprodukte) zu produzieren, sondern Raucherinnen und Raucher zu motivieren, ihre Kippen nicht einfach auf die Straße und in die Kanalisation zu werfen.“
Stellungnahme des Baureferates
Das Baureferat als zuständiges Referat für die Straßenreinigung und damit für die Abfallbehälter im öffentlichen Raum in München wurde um Stellungnahme zu dem hiesigen Antrag gebeten. Die Stellungnahme des Baureferats lautet wie folgt:„Seit Jahren nimmt das Phänomen des ‚Littering‘, d.h. Abfälle oder Zigarettenkippen achtlos wegzuwerfen, ohne die dafür vorgesehenen Abfallbehälter zu benutzen und somit die Vermüllung von öffentlichen Flächen zu. Um dieser Verschmutzung entgegenzuwirken, passt das Baureferat seit Jahren regelmäßig seine Reinigungsleistungen und die Anzahl der Abfallbehälter an die aktuellen Situation an und führt entsprechende Kampagnen durch. So wurde das Baureferat mit Stadtratsbeschluss vom 22.11.2016 ‚Aktion Saubere Stadt – Wiederholung der Kampagne für Rein. Und Sauber, das städt. Servicetelefon gegen Vermüllung‘ (Sitzungsvorlage Nr. 14-20/V 06637) mit der Durchführung einer Kampagne im Jahr 2017 beauftragt. Hier wurden Raucherinnen und Raucher mit speziellen Maßnahmen, wie Plakaten, Flyern, proaktiver Ansprache durch Promotionteams, Verteilung von Taschen-Aschenbechern als Give-aways sowie allgemeinen Informationen zum richtigen Umgang mit Abfall, z.B. im Internet mit der Kernbotschaft ‚Abfall gehört in den Abfallbehälter‘, auf die korrekte Entsorgung ihrer Zigarettenkippen hingewiesen.
Von Juli 2016 bis Ende 2020 führte das Baureferat die Kampagne ‚Wahre Liebe ist‘ für mehr Sauberkeit an der Isar durch (Beschluss des Bauausschusses vom 26.4.2016, Sitzungsvorlage Nr. 14-20/V 05605 und Bekanntgabe zur Vorgehensweise vom 28.6.2016, Sitzungsvorlage Nr. 14-20/V 06521, Beschluss des Bauausschusses vom 4.7.2017, sowie der Vollversammlung des Stadtrates vom 23.11.2017, Sitzungsvorlage Nr. 14-20/V 08833). Mit vielfältigen Aktionen wurden auch hierbei die Menschen zu einem verantwortungs- und umweltbewussten Handeln angeregt. Dabei wurden u.a. tausende Taschen-Aschenbecher zum Mitnehmen verteilt.
Mit Beschluss ‚Aufstellung von Aschenbechern an U-Bahnabgängen; Finanzierung, Anmeldung zum Mehrjahresinvestitionsprogramm 2019 bis 2023‘ vom 23.10.2019 (Sitzungsvorlage Nr. 14-20/V 12107) hat das Referat für Arbeit und Wirtschaft der Vollversammlung des Stadtrates die Ergebnisse des Testbetriebes zur Aufstellung von Aschenbechern an U-Bahnabgängen vorgestellt. Als Fazit des Testlaufes konnte festgestellt werden, dass die Aufstellung von Aschenbechern ohne Kombination mit Abfallbehältern keine Verhaltensänderung der Bürgerinnen und Bürger zur Folge hatte. Die Öffnungen für Zigarettenkippen waren mit Müll verstopft, die Verunreinigung des Umfeldes der U-Bahnabgänge durch Zigarettenkippen hat sich nicht verändert. Erst die zusätzliche Aufstellung eines Abfallbehälters bzw. eines Kombibehälters erbrachte einen besseren Effekt.
Aus diesem Grund wird, um eine Verbesserung der Situation und langfristig eine Verhaltensänderung der Raucher*innen zu bewirken gemäß denBeschlüssen des Stadtrates ‚Aufstellung von Aschenbechern an U-Bahnabgängen; Finanzierung Anmeldung zum Mehrjahresinvestitionsprogramm 2019 bis 2023‘ vom 23.10.2019 (Sitzungsvorlage Nr. 14-20/V 12107) und ‚Aufstellung von Abfallbehältern mit Aschenbecher (Kombibehälter) im öffentlichen Straßenraum‘ vom 3.3.2020 (Sitzungsvorlage Nr. 14-20/V 17568) an U-Bahnabgängen mit einer großen Verunreinigung durch Zigarettenkippen oder mit einer hohen Frequenz an Fahrgastströmen und in Bereichen des öffentlichen Straßenraums mit Aufenthaltsfunktion das zwischenzeitlich entwickelte Kombibehälter-Modell des stadtweit verwendeten Abfallbehälters eingesetzt. Dieses Modell entspricht optisch dem aktuell verwendeten Abfallbehälter. Dieser wurde weiterentwickelt und die breite Ringabdeckung um eine speziell gekennzeichnete Einwurföffnung für Zigarettenkippen ergänzt.
Durch den Einsatz des Kombibehälters können die Raucher*innen ihre Zigarette an der Ringabdeckung ausdrücken und im Abfallbehälter entsorgen oder ihre Zigarette direkt in den Ascher einwerfen. Die Zigarettenkippen werden somit gesammelt und mit dem Inhalt der Abfallbehälter einer thermischen Verwertung zugeführt.
Das Hauptaugenmerk des Baureferates liegt darauf, dass die Raucher*innen die Möglichkeit haben, die Zigarettenkippen ordnungsgemäß zu entsorgen und nicht auf den Boden werfen.
Es ist zudem davon auszugehen, dass, wie oben bereits ausgeführt, auch die separaten Aschenbecher, bzw. Sammelstellen von TobaCycle im öffentlichen Raum keine Verhaltensänderung der Raucher*innen bewirken, sondern die Öffnungen mit Müll verstopft und diese somit nicht mehr genutzt werden können.“
Stellungnahme des Kommunalreferates in der Funktion als stadtinterne Vermieterin
Die Abteilung Immobilienmanagement des Kommunalreferates hat in ihrer Funktion als stadtinterne Vermieterin zwar angeboten, die im Testgebiet situierten Pächter*innen zur Teilnahme am Tobacycle-Piloter aufzufordern, weist jedoch darauf hin, dass keine rechtliche Grundlage, mit der die städtischen Pächter*innen zu einer Teilnahme verpflichtet werden können, besteht.
Fazit
Am Sammel- und Verwertungssystem von Tobacycle bestehen noch Zweifel, die mangels Reaktion von Tobacycle auf die Nachfragen des AWMbislang nicht ausgeräumt werden konnten. Auch die Stadt Amberg kann eine Zusammenarbeit mit Tobacycle unter Umweltschutzaspekten nicht empfehlen. Schließlich gibt das Baureferat zu bedenken, dass separate Sammelbehälter für Zigarettenkippen zielführend sind.
Vor diesem Hintergrund sieht die LHM von einer testweisen Etablierung des Sammelsystems von Tobacycle ab.
Um Kenntnisnahme von den vorstehenden Ausführungen wird gebeten. Wir gehen davon aus, dass die Angelegenheit damit abgeschlossen ist.