Besteht eine Pflicht zur Aufklärung der Mieter*innen über Abgeschlossenheitsbescheinigungen?
Anfrage Stadtrats-Mitglieder Marie Burneleit, Stefan Jagel, Thomas Lechner und Brigitte Wolf (DIE LINKE. / Die PARTEI Stadtratsfraktion) vom 30.9.2021
Antwort Stadtbaurätin Professorin Dr. (Univ. Florenz) Elisabeth Merk:
Mit Schreiben vom 30.9.2021 haben Sie gemäß § 68 GeschO folgende Anfrage an Herrn Oberbürgermeister gestellt, die vom Referat für Stadtplanung und Bauordnung wie folgt beantwortet wird.
Aufgrund der erforderlichen Klärungen mit einem weiteren städtischen Referat konnte die Anfrage nicht in der geschäftsordnungsgemäßen Frist erledigt werden. Der mit Schreiben vom 28.10.2021 beantragten Fristverlängerung bis 31.1.2022 wurde zugestimmt.
In Ihrer Anfrage führen Sie Folgendes aus:
„Eine Abgeschlossenheitsbescheinigung dient als rechtliche Grundlage für die Umwandlung von Mietswohnungen in Eigentumswohnungen und ist vom Inhaber der jeweiligen Gesamtimmobilie zu beantragen. Der Stadtverwaltung ist demnach bekannt, wann und wo eine solche Umstrukturierung einer Wohneinheit beabsichtigt wird. Die Mieter*innen hingegen bleiben meist lange Zeit uninformiert und werden dann vor vollendete Tatsachen gestellt.“
Deshalb, in Anlehnung an die Anfrage von DIE LINKE. und Die PARTEI zur „Aufteilung in Eigentumswohnungen im Erhaltungssatzungsgebiet: Sonderrechte für luxemburgische Immobilienspekulanten“ vom 7. Juli 2021 bitten Sie den Oberbürgermeister um Klärung folgender Fragen:
Frage 1:
Besteht eine Auskunftspflicht vonseiten der Investoren über eine geplante Umwandlung von Mietwohnungen in Eigentumswohnungen?
Antwort:
Eine generelle Auskunftspflicht vonseiten der Investoren*innen über geplante Umwandlungen von Mietwohnungen in Eigentumswohnungen be-
steht zwar weder gegenüber der Behörde noch gegenüber den Mieter*innen.Die Bildung von Wohneigentum setzt eine Eintragung ins Grundbuch voraus. Für diese Eintragung ist dem Grundbuchamt eine Abgeschlossenheitsbescheinigung vorzulegen. Die Abgeschlossenheitsbescheinigung wird von der Bauaufsichtsbehörde erteilt. Sie bestätigt, dass die, für die Begründung von Wohneigentum oder Teileigentum erforderliche räumliche Abgeschlossenheit tatsächlich gegeben ist. Durch den Antrag auf Erteilung der Abgeschlossenheitsbescheinigung wird die Bauaufsichtsbehörde über eine geplante Umwandlung von Mietwohnungen in Eigentumswohnungen informiert.
Für die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen im Bereich von Erhaltungssatzungen ist seit 1. März 2014 eine gesonderte Genehmigung erforderlich (§ 5 der Verordnung zur Durchführung des Wohnungsrechts und des besonderen Städtebaurechts). Dem Antrag auf Erteilung der Abgeschlossenheitsbescheinigung muss im Geltungsbereich einer Erhaltungssatzung daher auch der Antrag auf Genehmigung nach Erhaltungssatzung beiliegen. Im Rahmen des entsprechenden Genehmigungsverfahrens erhält zur Prüfung des Sachverhalts auch das Sozialreferat Kenntnis vom jeweiligen Vorhaben.
Darüber hinaus besteht jedoch keine Informationspflicht gegenüber der Behörde.
Eine allgemeine Auskunftspflicht der Investoren gegenüber den Mieter*innen besteht ebenfalls nicht. Den Mieter*innen steht im Falle einer Umwandlung allerdings ein Vorkaufsrecht an der, von ihnen gemieteten Wohnung zu, sofern diese an einen nichtbegünstigten Dritten verkauft wird, § 577 Abs. 1 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Über dieses Vorkaufsrecht sind die Mieter*innen gemäß § 469 Abs. 1 BGB unverzüglich zu informieren. Das Vorkaufsrecht besteht auch dann, wenn zwar zum Zeitpunkt des Verkaufs noch kein Wohnungseigentum begründet worden ist, aber schon feststeht, dass ein solches begründet werden soll. Die Umwandlungsabsicht muss bereits nach außen konkretisiert sein, etwa durch eine im Kaufvertrag festgehaltene Verpflichtung zur Aufteilung. In diesem Falle sind die Mieter*innen bereits über die geplante Umwandlung zu informieren. Reine Vorbereitungshandlungen für die Umwandlung, wie die Beantragung der Abgeschlossenheitsbescheinigung, genügen hingegen nicht für die Entstehung eines Vorkaufsrechts. Es besteht daher insoweit auch keine Pflicht der Investoren*innen die Mieter*innen darüber zu informieren.
Frage 2:
Besteht eine Auskunftspflicht vonseiten der Stadt gegenüber den Mieter*innen bei einer geplanten Umwandlung von Mietwohnungen in Eigentumswohnungen?
Antwort:
Es besteht auch keine generelle Auskunftspflicht vonseiten der Stadt gegenüber Mieter*innen bei einer geplanten Umwandlung in Eigentumswohnraum.
Insbesondere besteht keine Verpflichtung für die Bauaufsichtsbehörde, die Mieter*innen über den Antrag oder die Erteilung einer Abgeschlossenheitsbescheinigung zu informieren. Eine Anhörung der Mieter*innen erfolgt in diesem Zusammenhang nicht, da die Mieter*innen durch die Erteilung einer Abgeschlossenheitsbescheinigung nicht in ihren Rechten berührt werden. Die Abgeschlossenheitsbescheinigung hat keine Auswirkungen auf privatrechtliche Vereinbarungen wie z. B. Mietverhältnisse. Zudem ist die Abgeschlossenheitsbescheinigung unabhängig von der Genehmigung nach Erhaltungssatzung zu erteilen.
Ist eine gesonderte Genehmigung im Bereich einer Erhaltungssatzung notwendig, die dem sogenannten Milieuschutz oder dem Schutz bei städtebaulicher Umstrukturierung nach § 172 Abs. 1 Nr. 2 und 3 Baugesetzbuch (BauGB) dient, so sind die Mieter*innen vor der Erteilung der Genehmigung von der Stadt (Sozialreferat) anzuhören, § 173 Abs. 3 Satz 2 BauGB. Die Voraussetzungen dieser Beteiligung bzw. Einbindung sind in § 173 BauGB abschließend geregelt:
Vor der Entscheidung über einen Genehmigungsantrag zur Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnraum ist das Sozialreferat verpflichtet, die betroffenen Mieter*innen, Pächter*innen und sonstige Nutzungsberechtigte zu hören (vgl. § 173 Abs. 3 Satz 2 BauGB).
Für den Fall, dass eine Genehmigung zur Umwandlung des Wohnraums erteilt wurde, weil sich die*der Verfügungsberechtigte verpflichtet hat, binnen eines Zeitraums von sieben Jahren nur an die bisherigen Mieter*innen zu veräußern, ist das Sozialreferat verpflichtet, die Mieter*innen nach Erteilung der Genehmigung entsprechend zu informieren (vgl. §173 Abs. 3 Satz 4 BauGB).
Somit werden die Mieter*innen in Erhaltungssatzungsgebieten vom Sozialreferat informiert, soweit ein konkreter Antrag auf Umwandlung ihrerWohnung - der aufgrund des Genehmigungsvorbehaltes zwingend für die Umwandlung erforderlich ist - beim Sozialreferat eingeht.
Darüberhinausgehende Verpflichtungen zur Einbindung oder Beteiligungen der Mieter*innen bestehen für die Stadt nicht.
Frage 3:
Besteht eine rechtliche Grundlage für die Stadt, die Investoren zur Auskunft über geplante Umwandlungen von Mietwohnungen in Eigentumswohnungen zu verpflichten?
Antwort:
Nein, eine solche rechtliche Grundlage für die Stadt besteht nicht. Weder die Abgeschlossenheitsbescheinigung noch die Genehmigung
einer Wohnraumumwandlung in Gebieten einer Erhaltungssatzung nach § 172 BauGB greifen in bestehende Miet-, Pacht- oder sonstige Nutzungsrechtsverhältnisse ein. Auswirkungen auf privatrechtliche Vereinbarungen bestehen nicht. Auch werden keine gesetzlichen Pflichten zur Duldung von vorgesehenen Maßnahmen ausgelöst. Eine Änderung der Rechtsverhältnisse wird erst durch Eintragung im Grundbuch bewirkt. Ein rechtliches Interesse der Mieter an der Abgeschlossenheitsbescheinigung oder der Genehmigung bzw. Versagung nach § 172 BauGB besteht daher nicht. Der Gesetzgeber hat deshalb über die Regelungen des Vorkaufsrechts hinaus keine Grundlagen vorgesehen, wonach die Investoren verpflichtet wären, die Mieter*innen über eine (geplante) Umwandlung zu informieren.
Frage 4:
Gibt es Regelungen oder zumindest Bemühungen seitens der Stadt München oder der durch sie dazu aufgeforderten Eigentümer*innen, Haus- bewohner*innen beziehungsweise Mieter*innen, über die vollzogene Erwirkung von Abgeschlossenheitsbescheinigungen zeitnah zu informieren? Wenn nein, warum nicht? Wenn ja, wie sahen diese in der jüngsten Vergangenheit aus?
Antwort:
Nein, solche Regelungen gibt es nicht.
Wie bereits unter 3. dargestellt, erscheint dies auch nicht erforderlich, da von der Abgeschlossenheitsbescheinigung keine rechtlichen Wirkungen auf das Mietverhältnis ausgehen. Instrumentarium für den Schutz der Mieter*innen vor Verdrängung sind die Regelungen der Erhaltungssatzung nach §§ 172 ff. BauGB. Deren Einhaltung wird im Rahmen der Abgeschlossenheitsbescheinigung nicht geprüft. Der Gesetzgeber hat die Einbeziehung der Mieter*innen an anderer Stelle geregelt. Die Verwaltungist insoweit an die rechtlichen Vorgaben gebunden. Zudem ist in diesem Zusammenhang anzumerken, dass nicht jede erteilte Abgeschlossenheitsbescheinigung grundsätzlich und zwangsläufig dazu führt, dass der jeweilige Mietwohnraum auch tatsächlich in Eigentumswohnraum umgewandelt wird.
Frage 5:
Welche rechtlichen Vorgaben verhindern eine Information der betroffenen Mieter*innen über beantragte oder erteilte Abgeschlossenheitserklärun- gen in Gebieten der Erhaltungssatzung, wo der Schutz der Mieter*innen von Verdrängung eins der wesentlichen Ziele ist?
Antwort:
Schon das allgemeine Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, welches in Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz geregelt ist, besagt, dass die Verwaltung nicht ohne Gesetz tätig werden darf (Vorbehalt des Gesetzes). Das heißt, die Verwaltung darf nur dann handeln, wenn hierfür eine gesetzliche Grundlage gegeben ist. Über die Regelungen der §§ 172 ff. BauGB hinaus, ist eine Beteiligung der Mieter*innen bei einer geplanten Umwandlung von Mietwohnungen in Eigentumswohnungen rechtlich nicht vorgesehen (siehe unter 4.). Es fehlt daher an der erforderlichen gesetzlichen Grundlage, die Mieter*innen über beantragte oder erteilte Abgeschlossenheitserklärungen zu informieren. Neben dem Verstoß gegen das im Grundgesetz allgemein geregelte Gebot der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, würde eine Benachrichtigung der Mieter*innen auch gegen datenschutzrechtliche Grundsätze verstoßen.