Entlassmanagement in den Münchner Krankenhäusern
Antrag Stadtrats-Mitglieder Johann Altmann, Dr. Josef Assal, Eva Caim, Richard Progl, Mario Schmidbauer und Andre Wächter (Fraktion Bayernpartei) vom 29.8.2019
Antwort Gesundheitsreferentin Beatrix Zurek
In Ihrem Antrag vom 29.8.2019 wird das Gesundheitsreferat (GSR) gebeten, dem Stadtrat zur aktuellen Situation der Sozialdienste in den Münchner Krankenhäusern Bericht zu geben und mögliche Handlungsempfehlungen vorzuschlagen. Dabei ist auf die Fragestellung einzugehen, wie der Aufgabenbereich des Krankenhaussozialdienstes oder sonstiger Krankenhausentlassstrukturen personell oder organisatorisch zu den inzwischen gesetzlichen Vorgaben einer geplanten, geregelten und finanzierten Entlassung nach einem Krankenhausaufenthalt in Münchens Krankenhäusern aufgestellt wurde.
Zu Ihrem Antrag vom 29.8.2019 teilen wir Ihnen mit, dass Ihrem Anliegen bereits durch verschiedene Initiativen teilweise entsprochen wurde.
Für die gewährte Fristverlängerung bedanke ich mich.
Ihr Einverständnis vorausgesetzt erlaube ich mir, Ihren Antrag als Brief zu beantworten und teile Ihnen auf diesem Wege Folgendes mit:
1. Gesetzliche Regelungen zum Entlassmanagement
Seit dem 1.10.2017 sind neue gesetzliche Regelungen zum Entlassmanagement in den Kliniken und seit 1.2.2019 in den Rehabilitationskliniken verbindlich geworden. Krankenhäuser und Rehabilitationseinrichtungen sind demnach verpflichtet, rechtzeitig für eine lückenlose Anschlussversorgung für alle Patient*innen nach dem Klinikaufenthalt zu sorgen. Sie müssen ein standardisiertes Entlassmanagement in multidisziplinärer Zusammenarbeit sicherstellen. In Abhängigkeit vom Krankheitsbild der Patient*innen müssen sie feststellen, ob und welche weiteren medizinischen, pflegerischen oder sozialen Maßnahmen nach der Entlassung erforderlich sind, diese frühzeitig einleiten und die weiterbehandelnden Ärzt*innen bzw. die weiterversorgende Einrichtung rechtzeitig informieren. Die Kranken- und Pflegekassen müssen die Krankenhäuser beim Entlassmanagement unterstützen. Fachärzt*innen in den Kliniken dürfen Verordnungen von Arznei-, Verbands-, Heil- und Hilfsmitteln, häuslicher Krankenpflege sowie Soziotherapie ausstellen und eine Arbeitsunfähigkeit bescheinigen – für einen Zeitraum von bis zu sieben Tagen.Am 16.12.2021 hat der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) verein-
fachte Regeln für Rehabilitationsverfahren beschlossen. Das Antragsverfahren soll schneller und einfacher für alle Patient*innen werden, die nach einem Krankenhausaufenthalt eine Rehabilitation benötigen. Bei dieser Anschlussrehabilitation entfällt bei bestimmten Krankheitsbildern eine Vorab-Überprüfung der medizinischen Erforderlichkeit durch die gesetzlichen Krankenkassen. Ob bei Versicherten ab 70 Jahren eine geriatrische Rehabilitation medizinisch erforderlich ist, sollen künftig nicht mehr die gesetzlichen Krankenkassen, sondern die Vertragsärzt*innen prüfen.
2. Aktuelle Herausforderungen im Entlassmanagement
Grundsätzlich läuft die Umsetzung des Entlassmanagements in den Kliniken überwiegend gut, es sind jedoch auch Mängel festzustellen. Die einzelnen Kliniken versuchen dem gesetzlichen Anspruch der Patient*innen auf eine bedarfsorientierte Versorgung im Anschluss nach dem Klinikaufenthalt gerecht zu werden. Sie sind personell und organisatorisch weitgehend gut aufgestellt, wenngleich derzeit auch offene Stellen in den Kliniksozialdiensten zu vermelden sind. Laut Rückmeldung des Arbeitskreises Kliniksozialdienste Bayern Süd war und ist die Umsetzung der neuen Regelungen zum Entlassmanagement für die Kliniken mit erheblichen Mehraufgaben und einem hohem Dokumentationsaufwand verbun-
den, z.B. durch die Schaffung neuer (IT)Strukturen und Prozesse, Bildung multidisziplinärer Entlassteams, Information der Patient*innen über das Entlassmanagement, Einholen der Einwilligung der Patient*innen in das Entlassmanagement, Durchführung eines ausführlichen Assessments zur Bedarfsfeststellung, Erstellung von Entlassplänen, Medikationsplänen, Entlassbriefen, Verordnung von Arznei-, Heil-, Hilfsmitteln etc.. Der zusätzliche Verwaltungs- und Organisationsaufwand wird nicht honoriert oder muss mit gleicher personeller Besetzung bewältigt werden.
Es gibt viele positive Fälle, bei denen das Entlassmanagement in den Kliniken sehr gut funktioniert. Allerdings sind auch immer wieder Fälle einer unzureichenden Kommunikation und Informationsweitergabe, einer mangelhaften Organisation der notwendigen Anschlussversorgung sowie Entlassungen zu ungünstigen Zeitpunkten zu beobachten. Die Gründe für ein nicht gut funktionierendes Entlassmanagement sind häufig multifaktoriell und voneinander abhängig. Herausforderungen rund um das Entlassmanagement gehen oftmals einher mit
-Abverlegungsproblemen im Pflegebereich, u.a. bedingt durch strukturelle Probleme wie z.B. Personalmangel in der ambulanten Pflege, mangelnde Kurzzeitpflegeplätze oder Pflegeplätze für besondere Bedarfe (z.B. für Gehörlose, Suchtkranke, Menschen mit intensivpflegerischem Versorgungsaufwand oder für Menschen unter 60 Jahren etc.),mangelnde Physiotherapieangebote oder lange Beantragungszeiten für eine Anschlussrehabilitation etc.. Die Abverlegungsprobleme von älteren, pflege- und hilfebedürftigen Menschen aus der Klinik haben sich in der Pandemie noch verschärft.
-Aufgrund der Fallpauschalen sind die Kliniken zu kurzen Verweildauern und schnellen Entlassungen gezwungen. Die Fallpauschalen werden
jedoch den klinisch-medizinischen Behandlungsbedarfen älterer und/ oder pflegebedürftiger Menschen und deren individueller Lebenssituation im Kontext mit der Organisation von Anschlussversorgungen nicht immer gerecht.
-Die Organisation der Anschlussversorgung nach dem Klinikaufenthalt z.B. von älteren, pflege- und hilfebedürftigen Patient*innen und/oder Alleinstehenden ohne soziales Netzwerk und ohne Klärung der Weiterversorgung sowie von Patient*innen in besonderen Lebenslagen ist sehr aufwändig. (Folge-)Einweisungen erfolgen u.a. häufig aus sozialer Indikation oder durch mangelnde Hausarztbesuche. Die Patient*innen werden älter und multimorbider, leben alleine und kommen zum Teil aus schwierigen Verhältnissen. Die Einleitung gesetzlicher Betreuungen über die Gutachten der Betreuungsstelle erfolgen nicht immer zeitnah oder es finden sich häufig zeitnah keine Betreuer*innen. -Häufig fehlt der Austausch (v.a. zum Einzelfall) und die Vernetzung der Kliniksozialdienste mit den weiterversorgenden Einrichtungen.
Die strukturellen Probleme der Nachversorgungsmöglichkeiten in der Langzeitpflege sind dem Sozialreferat (SOZ) bekannt und wurden zuletzt mit der „Bedarfsermittlung zur pflegerischen Versorgung in der Landeshauptstadt München 2020-2030“ benannt (Stadtratsvorlage Nr. 20-26/V 01771 vom 16.12.2020). Da die Langzeitpflege dem freien Markt und Wettbewerb unterliegt, wird dem im Rahmen der – allerdings begrenzten – Möglichkeiten mit verschiedenen Maßnahmen begegnet.
3. Bisherige Initiativen im Bereich Entlassmanagement
Die schon vor der Pandemie bekannt gewordenen Mängel in der Umsetzung des Entlassmanagements durch die Kliniken bestehen weiterhin. Um gezielt das Entlassmanagement in München zu verbessern, hat die Landeshauptstadt München bereits verschiedene Maßnahmen initiiert, die nachfolgend dargestellt werden:
Auch im Kontext Ihres o.g. StR-Antrages hatte das GSR im Februar 2020 die Katholische Stiftungshochschule (KSH) München beauftragt, eine Ist-Stand-Analyse zum Entlassmanagement und zu den Regelungen der Entlassstrukturen in den Münchner Kliniken durchzuführen. Dabei solltedie im StR-Antrag genannte Fragestellung analysiert und besonders auch das durchschnittliche Verhältnis der Anzahl der Patient*innen pro Mitarbeiter*in im Sozialdienst, im Case-Management und in der Pflegeüberleitung erhoben werden. Diese extern vergebene Studie sollte ursprünglich bis zum 3. Quartal 2020 zusammen mit den Studierenden durchgeführt werden. Aufgrund der Corona-Pandemie und der damit verbundenen hohen Arbeitsbelastung in den Kliniken musste die Studie, die in den Kliniken hätte stattfinden sollen, jedoch verschoben werden. Hinzu kam, dass die Anordnungen der Gesundheitsbehörden auf Bundes- und Landesebene Veränderungen im Entlassbereich mit sich brachten. Angesichts der fortwährend pandemiebedingten, hoch arbeitsbelasteten Kliniken und den veränderten Bedingungen konnte diese Studie letztendlich nicht mehr umgesetzt werden. Deshalb wurde der Studienauftrag zurückgezogen.
Am 20.2.2020 hat das GSR zusammen mit dem SOZ ein „Fachgespräch Entlassmanagement“ im Kulturhaus Milbertshofen veranstaltet. Ziel dieses Fachgesprächs war es, die Information und den Austausch zwischen den beteiligten Versorgungsbereichen zu verbessern. Das Interesse an der Veranstaltung war groß. Akteur*innen sowie Praktiker*innen, die für das Entlassmanagement in den Kliniken zuständig sind oder in Einrichtungen der (offenen) Altenhilfe, der Langzeitpflege oder in behördlichen Stellen (z.B. Bezirkssozialarbeit als kommunale Sozialdienste, Kranken- und Pflegekassen) unmittelbar damit konfrontiert sind, haben daran teilgenommen. Das Fachgespräch bestätigte die Annahme nach einem hohen Bedarf an mehr Information, Transparenz, Kommunikation, Vernetzung und Zusammenarbeit der einzelnen Versorgungsbereiche untereinander.
Bereits am 18.10.2019 führte die zuständige Fachabteilung des SOZ einen Workshop zum Thema „Entlassmanagement“ mit den Mitarbeitenden des städtischen Förderprogramms „Pflegeüberleitung“ durch. Als Referent*innen waren die pflegerische Leitung der München Klinik und die Patientenbeauftragte des GSR sowie Mitarbeitende des GSR eingeladen.
Das GSR sowie das SOZ beobachten im Arbeitskreis Versorgung des
Gesundheitsbeirats sowie in der Münchner Pflegekonferenz fortlaufend die Umsetzung des Entlassmanagements und weisen die Kliniken und Akteur*innen im Entlassmanagement regelmäßig auf erforderliche Verbesserungen hin. In diesen städtischen Gremien sind alle wesentlichen Akteur*innen der Gesundheitsversorgung sowie der Versorgung in der Akut- und Langzeitpflege vertreten. Darüber hinaus beschäftigen sich viele andere Gremien des SOZ und deren Vertragspartner*innen mit dieser Thematik. Besonders auch während der Pandemie legten und legen die Refe-rate ein besonderes Augenmerk auf die koordinierte Entlassung von Patient*innen aus dem Krankenhaus und sind hier im regelmäßigen Austausch mit den verschiedenen Akteur*innen.
Im Auftrag der Münchner Pflegekonferenz hat sich das SOZ am 19.6.2019 in einem Schreiben an das Bayerische Staatsministerium für Gesundheit und Pflege gewandt und auf die Defizite im Entlassmanagement hingewiesen. Die zuständige Fachabteilung im SOZ hat das Entlassmanagement zudem wiederholt im städtischen Förderprogramm „Pflegeüberleitung“ aufgegriffen. Diese Pflegeüberleitung begleitet pflegefachlich Einzüge und Entlassungen in die vollstationäre Pflege. Dortige Erkenntnisse zum Entlassmanagement werden an die jeweiligen Kliniken weitergeleitet.
Auch die Patientenbeauftragte des GSR nimmt individuelle Anliegen und Beschwerden von Patient*innen rund um das Thema Entlassungsmanagement auf und bringt diese fortlaufend in verschiedene Gremien ein, um Verbesserungen im Entlassmanagement zu bewirken.
Zudem ist das GSR in regelmäßigen Abständen in Kontakt mit dem Arbeitskreis Kliniksozialdienste Bayern Süd der DVSG-Landesarbeitsgemeinschaft Bayern, um sich über die aktuellen Herausforderungen im Bereich des Entlassmanagements auszutauschen.
4. Entlassstrukturen in der München Klinik (MüK)
Die MüK nimmt auf Anfrage des GSR zu den Entlassstrukturen wie folgt Stellung: „Die München Klinik stellt ein standardisiertes Entlassmanagement in multidisziplinärer Zusammenarbeit auf Grundlage transparenter Standards sicher. Multidisziplinäre Zusammenarbeit beinhaltet dabei die Zusammenarbeit von ärztlichem Personal, psychologischen Psychotherapierenden, Pflegepersonal, Sozialdienst/Pflegeüberleitung, approbierten pharmazeutischen Fachkräften und weiteren beteiligten Berufsgruppen. Das Entlassungsmanagement (Sozialdienst und Pflegeüberleitung) bietet Patient*innen und deren Angehörigen Beratung und konkrete Unterstützung bei Fragen und Problemen an, die sich im Zusammenhang mit ihrer Erkrankung im Laufe des Klinikaufenthaltes vor allem in Bezug auf die weitere Versorgung ergeben können. Die Abteilung besteht aus Diplom-Sozialpädagog*innen und Pflegefachkräften. Die Mitarbeiter*innen betreuen jeweils mehrere Stationen im Haus und sind werktags zu den üblichen Bürozeiten erreichbar. Neben den jeweiligen festen Sprechzeiten können auch individuelle Termine vereinbart werden.“5. Weitere geplante Maßnahmen im Bereich Entlassmanagement
Da bisher große Personalkapazitäten des GSR und weiterer Referate in der Bewältigung der Corona-Pandemie gebunden waren und nach wie vor sind, können weitere konkrete Initiativen im Bereich Entlassmanagement erst im laufenden Jahr 2022 weiter verfolgt werden.
Im Sommer 2022 werden das GSR und das SOZ ein weiteres „Fachgespräch Entlassmanagement“ durchführen mit dem Ziel, den Austausch und die Vernetzung der beteiligten Akteur*innen in München weiter auszubauen.
Zudem richtet das GSR ein Gremium zum „Entlassmanagement bei Patient*innen in besonderen Lebenslagen“ ein, das sich vertieft Fragestellungen des Entlassmanagements bei ausgewählten Zielgruppen (z.B. wohnungslos, in Unterkünften, ohne Krankenversicherung) widmen soll und im Frühjahr 2022 seine Arbeit aufnehmen wird.
Um Kenntnisnahme der vorstehenden Ausführungen wird gebeten. Ich gehe davon aus, dass die Angelegenheit damit abgeschlossen ist.