Förderung und Unterstützung bei Dyskalkulie
Antrag Stadtrats-Mitglieder Kathrin Abele, Verena Dietl, Haimo Liebich, Christian Müller, Cumali Naz, Julia Schönfeld-Knor und Birgit Volk (SPD-Fraktion) vom 12.6.2018
Antwort Stadtschulrat Florian Kraus:
Ihr Einverständnis vorausgesetzt, erlaube ich mir, Ihren Antrag als Brief zu beantworten.
Für die gewährte Fristverlängerung bedanke ich mich.
In Ihrem Antrag baten Sie darum, darzustellen, wie Schüler*innen mit Dyskalkulie (Beeinträchtigung von Rechenfertigkeiten) unterstützt und gefördert werden können. Auch ist darzustellen, ob entsprechende Schwerpunktschulen – aufgeteilt nach den Schularten – das Thema im Besonderen aufgreifen können.
Hierzu kann ich Ihnen Folgendes mitteilen:
Die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften in Deutschland, AWMF, empfiehlt in ihrer Leitlinie zur Diagnostik und Behandlung von Rechenstörungen, möglichst frühzeitig Mathematikprobleme zu identifizieren und präventive Fördermaßnahmen einzuleiten. Eine frühzeitige Förderung wirkt sich aus Sicht der AWMF positiv auf die Entwicklung der Mathematikkompetenz und die späteren schulischen Leistungen aus. Entsprechend sollte die Förderung bei bestehendem Bedarf bereits im Vorschulalter beginnen, da in diesem Altersbereich die entscheidenden Basiskompetenzen entwickelt werden. Bei ausgeprägten Defiziten bzw. bei der Diagnose einer Rechenstörung sollte die Förderung intensiviert werden. Die AWMF geht davon aus, dass zusammen mit einem Nachteilsausgleich die erfolgreiche Teilnahme am Unterricht der Regelschulen bzw. Beruflichen Schulen sichergestellt werden könnte.
Dyskalkulie ist zwar grundsätzlich als Förderbedarf in Bayern anerkannt, es kann aber bedauerlicherweise aufgrund der gesetzlichen Regelungen in Bayern (Art. 52 Abs. 5 Sätze 1 und 2 BayEUG i.V.m. § 34 BaySchO) weder Nachteilsausgleich noch Notenschutz gewährt werden. Dies ist durch die bisherige Rechtsprechung bestätigt.
Als Voraussetzung für den Nachteilsausgleich hat der Gesetzgeber eine lang andauernde „erhebliche Beeinträchtigung“ festgelegt (Art. 52 Abs.5 Satz 1 BayEUG und § 33 Abs. 2 BaySchO). Diese Voraussetzung wäre durch das Vorliegen einer Dyskalkulie zwar grundsätzlich erfüllt, dennoch ist aus Sicht des Gesetzgebers nicht jede Beeinträchtigung nachteilsaus- gleichsfähig, da im Sinne der Chancengleichheit und Prüfungsgerechtigkeit beim Nachteilsausgleich lediglich die Prüfungsbedingungen – unter Wahrung des fachlichen Anforderungsniveaus der Leistungsanforderungen – angepasst werden, damit die Schüler*innen in die Lage versetzt werden, ihre vorhandene Leistungsfähigkeit darzustellen. Aus Sicht des Gesetzge- bers zählen das Konzentrationsvermögen und die mathematischen Fähigkeiten zum Kern der Leistungsanforderungen und rechtfertigen daher keinen Nachteilsausgleich oder Notenschutz.
Damit steht den Schüler*innen mit Rechenschwäche die Möglichkeit der individuellen Unterstützung an der Schule offen, soweit die hierfür notwendigen Voraussetzungen an Schulen vorhanden sind. Der Personenkreis, der für individuelle Unterstützungsmaßnahmen in Betracht kommt, ist weiter als der für Nachteilsausgleich bzw. Notenschutz, da die individuellen Unterstützungs- und Fördermaßnahmen nach § 32 BaySchO nicht die Leistungsfeststellung betreffen. Im Folgenden sind die Maßnahmen für Schüler*innen mit Dyskalkulie und die Fortbildungsangebote für Lehrkräfte der städtischen Schulen dargestellt. Da wir auf die Ausgestaltung an den staatlichen Schulen keinen Einfluss haben, gelten die folgenden Ausführungen in erster Linie für die städtischen Schulen.
Innerschulische Förderung:
Die Form und der Umfang der innerschulischen Förderung an den städtischen allgemeinbildenden Schulen ist stark von der Art und dem Grad der individuellen Förderbedarfe der Schüler*innen und von den vorhandenen Ressourcen an der Schule abhängig. Die Unterstützung der Schulen zur individuellen Förderung von Schüler*innen mit besonderen Förderbedarfen erfolgt grundsätzlich durch den staatlichen Mobilen Sonderpädagogischen Dienst (MSD), der auch den städtischen Schulen zur Verfügung steht. Durch den MSD wird auch die Notwendigkeit von Förderstunden (Anrechnungs- und Budgetstunden) für Schüler*innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf oder anerkannter Behinderung festgelegt.
Allerdings sind die Anzahl der vom MSD genehmigungsfähigen Förderstunden auf maximal 3 Lehrerwochenstunden begrenzt, so dass die Förderung vor Ort oft nicht ausreicht. Hier besteht ein Handlungsbedarf, der im Rahmen der Umsetzung des Stufenkonzeptes Inklusion angegangen wird. Aktuell haben zwei städtische allgemeinbildende Schulen mit der Umsetzung des Stufenkonzeptes Inklusion begonnen und damit die Möglichkeitund die Mittel, auf die Bedürfnisse ihrer Schüler*innen intensiver einzugehen und diese zu unterstützen. Dies gilt auch für eine bestehende Dyskalkulie. So hat an einer der beiden Schulen eine Lehrkraft eine Fortbildung für die Förderung bei Dyskalkulie durchlaufen und kann somit Schüler*innen mit entsprechenden Förderbedarf unterstützen.
Mit Stadtratsbeschluss Nr: 20-26/V 04435 vom 19.1.2022 können zwei weitere städtische allgemeinbildende Schulen mit Beginn des Schuljahres 2022/2023 mit dem inklusiven Schulentwicklungsprozess beginnen.
Mit der geplanten sukzessiven Ausweitung des Stufenkonzeptes Inklusion auf alle städtischen allgemeinbildenden Schulen bestehen auch dort entsprechende Voraussetzungen für individuelle und intensivere Förderungen von Schüler*innen mit Dyskalkulie.
An den zahlreichen städtischen Berufsschulen ergibt sich aus der Didaktik der beruflichen Bildung der Vorteil, dass Rechnen nicht mehr isoliert als Fach vermittelt wird, sondern im Rahmen des Lernfeldkonzeptes „berufsbezogener Umgang mit Zahlen“ innerhalb von handlungsorientierten Lernsituationen unterrichtet und geprüft wird. Somit können Schüler*innen mit Dyskalkulie häufig durch andere Stärken schlechte Noten vermeiden. Zusätzlich zur schulinternen Unterstützung durch Schulpsycholog*innen oder Berufsschulsozialarbeiter*innen gibt es bei Leistungsschwierigkeiten in der Berufsausbildung auch spezifische schulexterne Unterstützung in Form von ausbildungsbegleitenden Hilfen (abH), die von verschiedenen Bildungseinrichtungen wie der Deutschen Angestellten Akademie oder der MVHS angeboten und über die Agentur für Arbeit finanziert werden. Die Kammern gewähren nach Einzelprüfung auch Nachteilsausgleich für Dyskalkulie bei Berufsabschlussprüfungen.
Ansprechpartner*innen in der Schule:
Für die Schüler*innen sowie für ihre Eltern sind die Schulpsycholog*innen die geeigneten Ansprechpartner*innen zum Thema Dyskalkulie. Diese verfügen über die nötigen Kenntnisse sowohl zur Beratung als auch zur Weiterempfehlung. Zudem besteht die Möglichkeit, sich an den Zentralen Schulpsychologischen Dienst der Landeshauptstadt München (Goethestraße 12, 80336 München) zu wenden. Hier kann ein Erstscreening für den Bereich der städtischen Schulen erfolgen.
Außerschulische Förderung:
Hinsichtlich einer Finanzierungsmöglichkeit der Therapie durch das Jugendamt ist derzeit eine Kostenübernahme für eine Dyskalkulietherapie nur möglich, wenn eine Fachkraft der Jugendhilfe (z.B. durch das Sozialbür-gerhaus) ein individuelles Integrationsrisiko festgestellt hat. Ist dies nicht der Fall, müssen die Erziehungsberechtigten die Kosten selbst übernehmen. Um Chancengerechtigkeit herzustellen, wäre es erforderlich, dass die Übernahme der Kosten bei einer diagnostizierten Dyskalkulie gewährt wird, unabhängig von einem bestehenden oder drohenden sozialen Integrationsrisiko. Dies gilt auch für andere Förderschwerpunkte.
Fortbildungen:
Da die Vermittlung förderpädagogischer Kompetenz noch nicht Inhalt der Ausbildung ist, bedarf es einer Unterstützung der Lehrkräfte. Mathematiklehrkräften an weiterführenden Schulen stehen daher verschiedene Fortbildungsangebote zum Thema Inklusion und Dyskalkulie zur Verfügung. Das Pädagogische Institut – Zentrum für kommunales Bildungsmanagement (PI-ZKB) veranstaltet in regelmäßigen Abständen eine halbtägige Fortbildung zum Thema, in der die Lernschwierigkeiten der Schüler*innen sowie ihre Auswirkungen auf die Betroffenen behandelt werden.
Schulinterne Fortbildungen für Teile des Lehrerkollegiums können ebenfalls über das PI-ZKB organisiert werden.
Daneben besteht die Möglichkeit, außerhalb der Angebote des PI-ZKB Veranstaltungen zum Thema zu besuchen, wie etwa die interdisziplinäre Fachtagung Dyskalkulie (organisiert vom Landesverband Legasthenie und Dyskalkulie e.V. Bayern in Zusammenarbeit mit der Ludwig-Maximilians-Universität).
Bildung von Schwerpunktschulen:
Das Referat hat sich mit der Leitlinie Bildung und dem darin geforderten weiten Inklusionsbegriff schon früh den Herausforderungen der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) gestellt und verzichtet bewusst auf die Bildung von Schwerpunktschulen.
Nach den Vorgaben des Art. 2 Abs. 2 BayEUG ist inklusiver Unterricht Aufgabe aller Schulen.
Dies entspricht grundsätzlich den Forderungen der UN-BRK nach einem gemeinsamen Unterricht aller Schüler*innen, unabhängig von ihren individuellen Voraussetzungen und Veranlagungen sowie dem Zugang zur selben Bildungseinrichtung wie Schüler*innen ohne besonderen Förderbedarf.
Die Bildung von Schwerpunktschulen ist mit den Forderungen der UN-BRK nach einer gemeinsamen Beschulung im Sinne einer freien Schulwahl nur bedingt in Einklang zu bringen. Für Schüler*innen mit einem bestimmtenFörderbedarf besteht mit der Bildung von Schwerpunktschulen nicht mehr die Möglichkeit der Schulwahl, sondern sie werden in der Regel auf die bestehenden Schwerpunktschulen verwiesen.
Dies zeigen die Erfahrungen mit Schulen, die sich in der Vergangenheit bewusst für einen bestimmten Förderbedarf geöffnet haben. Auf die staatlichen Schulen hat das Referat für Bildung und Sport hinsichtlich der Bildung inklusiver Schwerpunktschulen keinen Einfluss. An beruflichen Schulen ist aufgrund der Bindung an Ausbildungsverträge, aufgrund der spezifischen Fachausbildung und der Sprengelgebundenheit die Errichtung von Schwerpunktschulen praktisch nicht umsetzbar.
Um Kenntnisnahme der vorstehenden Ausführungen wird gebeten. Ich gehe davon aus, dass die Angelegenheit damit abgeschlossen ist.