Sozialer Außendienst
Antrag Stadträtin Alexandra Gaßmann (CSU -Fraktion) vom 16.12.2021
Antwort Sozialreferentin Dorothee Schiwy:
Sie beantragen die Etablierung eines Sozialen Außendienstes, der analog zum kommunalen Außendienst und dem Projekt SAVE funktioniert. Es sollen Menschen erreicht werden, die zum Beispiel Einsamkeit erleben, Gewalt im häuslichen Bereich erfahren oder in finanzielle Not geraten sind.
Zu Ihrem Antrag vom 16.12.2021 teile ich Ihnen, Ihr Einverständnis vorausgesetzt, Folgendes mit:
Das Sozialreferat hat Ihren Vorschlag geprüft und das Für und Wider eines Sozialen Außendienstes als zusätzliches, sinnvoll ergänzendes Angebot abgewogen. In vielen Fällen bedarf es niederschwelliger und zugehender Angebote für die hilfebedürftigen Bürger*innen, um darüber in Beratung und Unterstützung zu kommen.
Grundsätzlich können Menschen in allen Lebensphasen Einsamkeit erleben. Im Folgenden gehe ich zielgruppenbezogen auf die bereits bestehenden Angebote ein.
Ältere Menschen
Ältere Menschen sind häufiger als andere Zielgruppen von Einsamkeit betroffen. Daher setzt das Sozialreferat insbesondere auf das zuverlässige und tragfähige Netzwerk der drei Hauptsäulen der Altenhilfe bestehend aus der Bezirkssozialarbeit (BSA) 60plus in den Sozialbürgerhäusern, den Alten- und Service-Zentren (ASZ) und den Beratungsstellen für ältere Menschen und den Angehörigen. Speziell das von Ihnen benannte Projekt SAVE, das bei den ASZ angegliedert ist, soll Senior*innen erreichen, die den Weg alleine nicht in die Beratungssettings finden. SAVE wird an vier Standorten angeboten, fünf weitere werden derzeit aufgebaut. Das Projekt soll ab Ende 2022 evaluiert werden.
Es kann festgestellt werden, dass mit der Schaffung der BSA 60plus das Ziel, ältere Menschen stärker in den Fokus zu nehmen und einzelfallorientiert zu unterstützen, sehr erfolgreich umgesetzt wird. Es gelingt, mehr Haushalte zu erreichen und nachgehend zu unterstützen, die Kooperation mit den anderen Akteur*innen der Altenhilfe hat sich intensiviert. Die Fallzahlen sind seit dem Umsetzungszeitpunkt im Sommer 2021 bereits um knapp 50% gestiegen.Kinder und Jugendliche
Kinder und Jugendliche leiden unter der Corona Pandemie vor allem durch die eingeschränkten Kontaktmöglichkeiten. Mit Beschluss des Kinder- und Jugendhilfeausschusses vom 6.10.2020 und der Vollversammlung vom 21.10.2020 „Bedürfnisse von jungen Menschen* in Krisenzeiten“ (Sitzungsvorlage Nr. 20-26 /V 01231) und zuletzt in der Bekanntgabe in der Sitzung des Kinder- und Jugendhilfeausschusses vom 9.3.2021 „Darstellung der aktuellen Situation im Kinder- und Jugendschutz in Zeiten von Covid 19“ (Sitzungsvorlage Nr. 20-26 /V 02844) wurden ausführlich die Belange und Bedarfe von Kindern, Jugendlichen und Familien in der Pandemiezeit dargestellt.
Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene in München stellen keinesfalls eine homogene Gruppe dar. Selbst Wünsche, Bedürfnisse und Problemlagen der jungen Menschen innerhalb der gleichen Altersklasse sind sehr unterschiedlich.
Um den jungen Menschen in der Stadt gerecht zu werden, bietet das Sozialreferat/Stadtjugendamt ein vielfältiges Angebot für diese Zielgruppe im öffentlichen Raum an.
Mit Spielprojekten für Kinder an öffentlichen Plätzen in München wird zum einen die kulturelle Bildung und damit die Chancengleichheit sowie der soziale Zusammenhalt gefördert, zum anderen ist es darüber den Pädagog*innen möglich, Problemlagen der kindlichen Besucher*innen zu erkennen und frühzeitig zu intervenieren.
Auch für Jugendliche und Heranwachsende bietet das Sozialreferat/Stadtjugendamt im Sozialraum mit aufsuchenden und mobilen Angeboten der offenen Kinder- und Jugendarbeit adressat*innenorientierte Freizeitangebote und alltagsorientierte Beratung im öffentlichen Raum.
Mobile Angebote mit und ohne mobile Anlaufstelle (wie z.B. ein Bus oder Wohnmobil, Lastenfahrrad) orientieren sich an der Lebenswelt der jungen Menschen, indem sie Aktionsräume der jungen Menschen im Sozialraum aktiv nutzen, niederschwellige Kurzberatung zur Alltagsbewältigung anbieten und durch partizipative Ansätze Empowerment und soziale Teilhabe fördern.
Während die aufsuchenden, mobilen Angebote der offenen Kinder- und Jugendarbeit den freizeitpädagogischen Aspekt in den Vordergrund stellen, orientiert sich das Angebot der Streetwork an den Problemlagen der Zielgruppe.
Der Fokus liegt in der Beratung und Begleitung von sozial benachteiligten Jugendlichen und jungen Erwachsenen im Alter vom 14. bis zum vollendeten 26. Lebensjahr, die sich einzeln, in Gruppen, Cliquen oder Szenen anselbstgewählten Treffpunkten im Sozialraum aufhalten (Straßen, Fußgängerzonen, Parks, Innenhöfe, Plätze etc.). Kennzeichnend für diese Zielgruppen ist, dass sie bereits als auffällig und sozial benachteiligt gelten und vorhandene Freizeit- und Hilfsangebote punktuell oder ganz meiden.
Die Verschränkung der sozialräumlichen Angebote der offenen Kinder- und Jugendarbeit und der Streetwork agiert adressat*innenorientiert im öffentlichen Raum und bietet passgenaue niederschwellige Angebote für alle Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene in München.
Aufgrund des Bevölkerungswachstums und der Siedlungsentwicklung in München stehen leider nicht immer in allen Quartieren die Streetworkangebote im notwendigen Umfang zur Verfügung. Zur Deckung der Bedarfslagen der Quartiere werden daher regelmäßig Einsatzorte überprüft und im Rahmen der zur Verfügung stehenden Ressourcen neu festgelegt.
Wohnungslose
Von Einsamkeit bedroht sind auch obdach- und wohnungslose Menschen, da sie zum einen nicht über die finanziellen Mittel verfügen, um am gesellschaftlichen und kulturellen Leben teilzuhaben und es ihnen zum anderen oftmals schwerfällt auf andere Menschen zuzugehen oder Beziehungen zu anderen Menschen zu pflegen. In den vielfältigen Einrichtungen und Anlaufstellen der Wohnungslosenhilfe erhalten die Menschen individuelle Beratung, Einzelfallhilfe und Betreuung, auch aufsuchend oder zugehend, wie z.B. Hilfen zur materiellen Existenzsicherung, Vermittlung von finanzieller Unterstützung u.v.m. Auch die Tagestreffs und Begegnungsstätten (z. B. Teestube „komm“, otto und rosi, D 3 sowie das Café im Frauenobdach Karla 51) werden gut angenommen. Durch vermehrte Kontaktaufnahme und Gesprächsangebote an die Besuchenden und Bewohnenden wurde der Vereinsamung entgegengewirkt.
Das Projekt Tagesaufenthalt Teestube „komm“ mit Streetwork wurde bereits 1980 vom Stadtrat beschlossen. Die Streetworker*innen suchen hilfebedürftige, obdachlose Menschen im öffentlichen Raum an ihren Aufenthaltsorten auf den Straßen und Plätzen Münchens auf. Die Sozialarbeiter*innen versuchen durch intensive, langwierige Beziehungsarbeit einen Kontakt mit Vertrauensbasis zu den Hilfebedürftigen aufzubauen, damit ein Beratungs- und Veränderungsprozess möglich wird. Sie beraten und unterstützen bei allen Problemsituationen und bei der Verbesserung der jeweiligen Lebens- und Wohnsituation. Besonderes Augenmerk gilt dabei der psychosozialen, wirtschaftlichen und gesundheitlichen Situation der Bedürftigen. Schwerpunkte liegen in der ambulanten Beratung, der Begleitung zu Ämtern, dem Clearing und der Motivation zur Annahme von Hilfen, insbesondere im Hinblick auf eine Unterbringung bzw. Vermittlungin Wohnraum und das vorhandene Hilfesystem oder auch den Tagestreff Teestube „komm“ selbst mit gleichbleibenden Bezugs- und Beratungspersonen.
Als zusätzliche Maßnahme und als Ergänzung zur Streetwork wurde 2020 der „Münchner Wärmebus“ initiiert. In den kalten Wintermonaten können über dieses Angebot die Bedürftigen gleich direkt in den Übernachtungsschutz, in das Haus an der Pilgersheimer Straße (Unterkunft für wohnungslose Männer) oder das Frauenobdach Karla 51 (mit Karla 40 und dem Schutzraum für Frauen) etc. gebracht werden.
Menschen mit psychischen Erkrankungen und Suchtmittelabhängigkeit Auch psychisch erkrankte und suchtkranke Menschen sind als Folge ihrer gesundheitlichen Einschränkungen häufig mit sozialen Problemen belastet und von Einsamkeit oder auch Gewalterleben bedroht. Im öffentlichen Raum finden viele dieser Menschen einen Ort, den sie mangels Alternativen zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben nutzen und der für sie ein wesentlicher sozialer Bezugspunkt ist.
Suchtkranke Menschen im öffentlichen Raum werden durch Streetwork betreut. Diese nimmt vor Ort Kontakt zu den Menschen auf, unterstützt bei akuten Problemlagen und vermittelt in Unterstützungs- und Behandlungseinrichtungen. Eine Möglichkeit zum Tagesaufenthalt bieten mehrere Kontakt- und Begegnungsstätten für Menschen mit Alkoholproblemen und Kontaktläden für drogenabhängige Menschen. Für Menschen mit psychischen Erkrankungen bieten spezialisierte Tagesstätten und sogenannte Clubhäuser die Möglichkeit zum Kontakt und zur Unterstützung in der Alltagsbewältigung an. All diese Einrichtungen wirken mit ihrem niedrigschwelligen Zugang Vereinsamung und sozialen Notlagen entgegen und vermitteln den Kontakt in die Suchthilfe, zu den Sozialpsychiatrischen Diensten und/oder in weiterführende Angebote.
Die Ansprache im öffentlichen Raum kann aber auch Angst, Scham oder Abwehr auslösen. Insofern wären zielgruppengerechte Informationen über soziale Angebote und Hilfen im alltäglichen Umfeld eine ergänzende Möglichkeit, die im Antrag genannten Personengruppen zu erreichen. Mit Plakaten im Discounter oder an der Haltestelle, mit Empfehlungen in Arztpraxen oder Hinweisen in Social Media wurden bereits gute Erfahrungen gemacht. Zusätzlich können diese Formen der Information und Aufforderung auch zur Entstigmatisierung der sozialen Problemlagen beitragen.
Opfer von häuslicher Gewalt
Der Großteil der Meldungen von häuslicher Gewalt erreicht das Sozialreferat über die Polizei, aber auch über Selbstmeldungen. Hier ist es aus Sicht des Sozialreferats unerlässlich, direkt zu intervenieren. Häusliche Gewalt geschieht in der Regel im häuslichen Umfeld und bleibt der Öffentlichkeit verborgen, da das Thema viel mit Scham besetzt ist.
Neben den bereits oben dargestellten Hilfsangeboten für hilfebedürftige, wohnungslose Menschen, die in vielen Fällen gleichzeitig von irgendeiner Form häuslicher Gewalt betroffen sind oder waren, werden daher ebenfalls zahlreiche Angebote auch speziell für Frauen und deren Kinder vorgehalten, die sich durch niederschwellige Angebote und unkomplizierte Möglichkeiten der Kontaktaufnahme und der Ansprechbarkeit auszeichnen (z.B. offene Beratungsstellen für von Gewalt betroffene Frauen, Selbsthilfezentren, Hilfetelefon Gewalt gegen Frauen, Tagestreff Cafe Karla 51, Schutzraum für Frauen).
Die unkomplizierte Kontaktaufnahme ist insbesondere durch den hohen Bekanntheitsgrad in der Öffentlichkeit und zahlreiche Anlaufstellen im Stadtgebiet sichergestellt. Die entsprechenden Kontaktdaten der Beratungsstellen sind durch umfangreiche Öffentlichkeitsarbeit der Träger gut kommuniziert, sie können darüber hinaus durch entsprechende Internetauftritte (Hilfetelefonnummern etc.) abgefragt werden.
Weitere, umfangreiche Hilfsangebote für Frauen und ihre Kinder, die akut von Partnerschaftsgewalt betroffen sind, werden daneben auch von den Münchner Frauenhäusern vorgehalten.
Speziell für von häuslicher Gewalt betroffene Männer, aktiv wie passiv, ist das Münchner Informationszentrum für Männer, kurz MIM, zu nennen.
Alle vorliegenden Angebote fangen hilfebedürftige Menschen mit unterschiedlichsten Problemlagen (z.B. Einsamkeit, häusliche Gewalt, finanzielle Not) auf. Das qualifizierte Fachpersonal vor Ort erfasst die Probleme der Menschen vollumfänglich und erkennt die vorliegenden Hilfebedarfe in den unterschiedlichsten Themenfeldern. So können die Menschen, die sich an eine Beratungsstelle wenden, auch zielgerichtet an weitere, speziell für die individuellen Problemlagen angepasste Beratungsstellen mit Hilfsangeboten oder geeignete Einrichtungen weitervermittelt werden. Dort erhalten die Menschen dann konkrete Hilfestellungen zur Lösung der persönlichen Probleme.Im Bereich der Erwachsenen- und Altenhilfe handelt es sich zudem häufig um Gewalt bei der pflegerischen häuslichen Versorgung. Die Offenbarung erfordert in der Regel ein gutes und stabiles Vertrauensverhältnis. Die Sensibilisierung von Ärzt*innen, Pflegediensten sowie anderen Akteur*innen, die in der Häuslichkeit tätig werden, und auch die gute Erreichbarkeit der BSA für Melder*innen sind für eine wirksame Hilfeleistung notwendig und wirkungsvoll.
Der aufsuchende Dienst der Gesundheits- und Kinderkrankenpfleger*innen und der Gesundheits- und Krankenpfleger*innen des Gesundheitsreferates achtet im Rahmen der Hausbesuche gezielt auf Hinweise für häusliche Gewalt, berät entsprechend und vermittelt in Unterstützungsangebote. Sind dabei Kinder tangiert, wird dies als mögliche Kindeswohlgefährdung eingestuft und entsprechend gemeldet.
Während der Covid 19 Pandemie wurden über eine bundesweite Kampagne alle Münchner Haushalte durch eine Postkartenaktion über Hilfsangebote wie z.B. das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ informiert. Weitere Materialien wurden über das Sozialministerium und die Gleichstellungsstelle für Frauen in München aufgelegt und verteilt. Man kann davon ausgehen, dass die Bevölkerung sowie zahlreiche soziale Einrichtungen für das Thema sensibilisiert und über entsprechende Angebote informiert sind und bei Bedarf weiterhelfen können.
Auch auf der Internetseite muenchen.corona-mehrsprachig.de, die in 18 Sprachen rund um das Thema Corona informiert, sind gezielt sehr viele Adressen aufgenommen, die in psychischen Krisen oder bei häuslicher Gewalt kontaktiert werden können.
Ergänzend merke ich an, dass im Rahmen des Gesundheitsförderungsprojekts „München – gesund vor Ort“ zukünftig in Riem Gesundheitslots*innen unterwegs sind, die vor allem junge Frauen, Mütter und Schwangere in gesundheitlichen Fragen beraten und begleiten. Das zunächst bis Mitte 2023 befristete Projekt Gesundheitslots*innen wurde kürzlich vom Stadtrat entfristet. Derzeit prüft das Gesundheitsreferat darüber hinaus eine Ausweitung auf einen weiteren Stadtbezirk. Die Gesundheitslots*innen sind selbstverständlich zu den Themen Einsamkeit oder Gewalt sensibilisiert.
Auch setzt das Gesundheitsreferat den Stadtratsbeschluss Impf-Guides (Sitzungsvorlage 20-26 /V 05456, Beschluss der Vollversammlung vom 2.2.2022) um. Impf-Guides sind Medizinstudent*innen, die seit März 2022 zunächst für sechs Monate in ausgewählten Stadtvierteln unterwegs sind,um die dortigen Münchner*innen zum Impfen zu motivieren. Sowohl das Sozialreferat wie auch das Gesundheitsreferat gehen davon aus, dass die Impf-Guides auch auf Menschen treffen, die einen offensichtlichen Hilfebedarf haben. Daher werden die Impf-Guides in den vorgesehenen Schulungen auch zu dieser Thematik sensibilisiert und es werden ihnen entsprechende Handlungsmöglichkeiten aufgezeigt.
Fazit
Das Sozialreferat stellt fest, dass sowohl hinsichtlich der Zielgruppen als auch hinsichtlich der Strukturen gute, wirkungsvolle Angebote vorhanden sind. Die zugehende bzw. aufsuchende Sozialarbeit ist seit Jahren ein Kernelement der Arbeit des Sozialreferats sowie der Arbeit der vom Sozialreferat bezuschussten Träger. Somit wird der Intention des CSU Antrags bereits jetzt ausreichend Genüge getan. Die Etablierung eines Sozialen Außendienstes als zusätzliches Angebot wird daher als nicht zielführend erachtet, vielmehr könnten Doppelstrukturen entstehen. Selbstverständlich beobachten wir die gesellschaftlichen Entwicklungen sehr genau und passen unsere Strukturen und Angebote bedarfsgerecht an.
Ich hoffe, auf Ihr Anliegen hinreichend eingegangen zu sein.
Ich gehe davon aus, dass die Angelegenheit damit abgeschlossen ist.