„Kettensägen-Massaker in Bayerns Städten“ – Wie viele Bäume wurden in München gefällt?
Anfrage Stadtrats-Mitglieder Professor Dr. Jörg Hoffmann, Gabriele Neff, Richard Progl und Fritz Roth (FDP BAYERNPARTEI Stadtratsfraktion) vom 28.7.2022
Antwort Stadtbaurätin Professorin Dr. (Univ. Florenz) Elisabeth Merk:
Mit Schreiben vom 28.7.2022 haben Sie gemäß § 68 GeschO folgende Anfrage an Herrn Oberbürgermeister gestellt, die vom Referat für Stadtplanung und Bauordnung wie folgt beantwortet wird. Es wurde eine Terminverlängerung bis 30.9.2023 beantragt.
Sie thematisieren die stets negativen Baumbilanzen in München und weiteren bayerischen Städten. München weise nach Aussage des Bund Naturschutz seit 2011 einen Nettoverlust von 21.600 Bäumen innerhalb von 10 Jahren auf und auch eine Baumschutzverordnung sei kein Garant für den Baumerhalt. Vor diesem Hintergrund stellen Sie folgende Fragen:
Frage 1:
Können das Referat für Klima- und Umweltschutz und das Baureferat-Gartenbau die genannten Zahlen bestätigen? Wie viele Bäume wurden in den vergangenen zehn Jahren in München gefällt? Für wie viele gab es keine bzw. keine adäquaten Ersatzpflanzungen?
Antwort:
Der Stadtratsbeschluss „Baumschutz in der Landeshauptstadt München“ vom 28.7.2021, Nr. 20-26/V 03093 (https://risi.muenchen.de/risi/sitzungs- vorlage/detail/6544701) macht unter Ziff. 2.5. Angaben zur Gesamtbaumbilanz von städtischen und privaten Flächen im Zeitraum 2010-2019.
Die wichtigsten Aussagen sind:
In München wurden auf öffentlichen und privaten Flächen im Zeitraum 2010-2019 insgesamt 87.989 Bäume gefällt und 64.610 Ersatzbäume nachgepflanzt. Damit besteht über diesen Zeitraum ein Defizit von 23.379 Bäumen.
Das heißt: In München werden insgesamt durchschnittlich pro Jahr ca. 8.800 Baumschutzbäume/städtische Bäume mit Genehmigung gefällt und ca. 6.500 Bäume neu gepflanzt.
Resultierend aus Fällungen Privater und den fehlenden Baumstandorten für Ersatzpflanzungen im öffentlichen Raum ergibt sich somit rein rechnerisch insgesamt ein durchschnittliches Defizit von ca. 2.300 Ersatzpflanzungen pro Jahr.
Dies hat folgende Gründe:
- Der Verzicht auf die Festsetzung von Ersatzbäumen im Einzelfällungsverfahren ist rechtlich und z.T. fachlich begründet:
- Bei ausreichender Begrünung des Grundstücks kann es sein, dass die Pflanzung von Ersatzbäumen weder angemessen noch fachlich sinnvoll ist. Dies ist z.B. bei der Entfernung eines Baumes der Fall, der zu eng neben einem anderen steht, sich selbst nicht entwi- ckeln kann und die Entwicklung dieses Baumes behindert. Die
Baumfällung ist hier als Pflegemaßnahme zu sehen.
- Auch bei kranken, vorgeschädigten und bruchgefährdeten Bäumen kann eine Ersatzpflanzung nicht angemessen und zumutbar sein, insbesondere dann, wenn auf dem Grundstück entwicklungsfähiger Bestand vorhanden ist.
- In diesen Fällen, es betrifft ca. die Hälfte der Einzelfällungsanträge, stellt der Verlust von Bäumen keinen oder keinen signifikanten Verlust der Durchgrünung und ihrer Funktionen dar, der eine Ersatzpflanzung rechtfertigt.
In den ausgewerteten Zeitraum fällt auch der Sturm „Niklas“ im Jahr 2015. Für umgestürzte Bäume wurde kein Ersatz gefordert.
- Bei der Überbauung von Baugrundstücken ist es meist nicht möglich, die erforderliche Anzahl von Ersatzbäumen auf den verbleibenden Freiflächen zu pflanzen. Hier ergibt sich systembedingt ein Defizit von durchschnittlich 667 Bäumen pro Jahr (s. o.g. Stadtratsbeschluss, Ziff. 2.5, S.16). In aller Regel werden für diese Bäume Ausgleichszahlungen gefordert.
- In Bebauungsplänen überplante Baumbestände werden im Rahmen der Eingriffsregelung über Kompensationsflächen ausgeglichen, in denen wegen fehlender Flächen nicht immer die rechnerisch ausreichende Anzahl an Ersatzbäumen gemäß Baumschutzverordnung nachgewiesen werden kann.
Insofern ist das Defizit von Ersatzbäumen auch mit der hohen Anzahl von Bebauungsplänen, die im Zeitraum 2010-2019 umgesetzt wurden und die gerade z.B. bei ehemaligen Kasernenflächen zu umfangreichen Baumfällungen führten, zu erklären.Es werden bei der Umsetzung der Bebauungspläne im Rahmen der Baugenehmigung zwar die gefällten Baumschutzbäume erfasst. Die Pflanzung der Ersatzbäume ist allerdings – insbesondere aufgrund der kleinteiligen, grundstücksbezogenen Bauanträge einerseits, der auf den Gesamtumgriff der Bebauungspläne abgestellten Festsetzungen andererseits – statistisch nicht darstellbar.
Frage 2:
Falls sich die negative Baumbilanz bestätigen sollte, bis wann wird eine positive Baumbilanz angestrebt?
Antwort:
Einzelfällungen
Die Defizite erklären sich insbesondere aus den rechtlich nicht zulässigen und fachlich nicht sinnvollen Ersatzpflanzungen bei Einzelfällungen, die ungefähr die Hälfte der Fällanträge betreffen. Der überwiegende Anteil der Fällanträge bezieht sich auf kranke und vorgeschädigte Bäume, für die es – in Abhängigkeit von der Durchgrünung des Grundstücks – nicht immer angemessen, zumutbar und fachlich sinnvoll ist, Ersatz zu fordern. Es ist nicht zu erwarten, dass sich dies im Grundsatz in Zukunft ändern wird.
- Es soll jedoch in Zukunft klar erläutert werden, dass der rechtlich und fachlich begründete Verzicht auf Ersatzpflanzungen keine oder keine signifikante Beeinträchtigung der Durchgrünung und ihrer positiven Funktionen darstellt.
- Bei der Betrachtung einer künftigen „Funktionalen Baumbilanz“ sind die rechtlich nicht zulässigen und fachlich nicht sinnvollen Ersatzpflanzungen bei Einzelfällungen zu relativieren.
Fällungen im Baugenehmigungsverfahren
Für die auf dem überbauten Grundstück nicht nachweisbaren Ersatzbäume werden in aller Regel Ausgleichszahlungen gefordert. Es gab allerdings in den letzten Jahren kaum mehr Möglichkeiten, das Geld zweckgebunden für Baumpflanzungen im öffentlichen Raum zu verwenden (s. o.g. Stadtratsbeschluss, Ziff. 3.6).
Mehr Fläche für mehr Baumstandorte
Der Hebel zur Verbesserung der gesamtstädtischen Baumbilanz muss genau hier ansetzen: Mehr Fläche für neue Baumstandorte. Das Potenzial zur Verwendung dieser Ausgleichsgelder für die Schaffung neuer Baumstandorte
- im Rahmen der Verkehrswende mit der Neuaufteilung des Straßenraums auch zu Gunsten neuer Baumstandorte, insbesondere in klimatisch belasteten Bereichen,
- durch die Umsetzung von Freiraumquartierskonzepten sowie
- durch Förderprogramme auf Privatflächen
soll mit der Novellierung der Baumschutzverordnung genutzt werden.
Die für dem 5.7.2023 vorgesehene Behandlung des Grundsatzbeschlusses „Novellierung der Baumschutzverordnung – Perspektiven zur Stärkung des Baumschutzes“ im Planungsausschuss wurde auf den 20.9.2023 verschoben (https://risi.muenchen.de/risi/sitzungsvorlage/detail/7761826).
Auch die im Stadtratsbeschluss „Baumschutz in der Landeshauptstadt München“ vom 28.7.2021 unter Ziff. 2.6.2 beschriebenen „Planerische Ansätze zur Definition potentieller Flächen für neue Baumstandorte“ stellen Möglichkeiten und konkrete Ansätze dar, die Baumbilanz des Baureferats und somit die stadtweite Baumbilanz zu verbessern.
Ersatzbaumkontrolle
Seit September 2018 werden 60% der Ersatzbäume überprüft. Nach Besetzung von zwei neu zugeschalteten Stellen können in Zukunft alle Ersatzpflanzungen systematisch kontrolliert werden. Die Baumbilanz liefert somit in Zukunft bzgl. der Ersatzpflanzungen überprüfte Zahlen.
Hintergrundinformationen
Die gesamtstädtische Baumbilanz setzt sich aus der Baumbilanz des Baureferats-Gartenbau, die sich auf öffentliche Flächen bezieht, und die Baumbilanz des Referats für Stadtplanung und Bauordnung, die sich insbesondere auf private Flächen bezieht, zusammen.
Vom Baureferat-Gartenbau werden die Bäume auf den Flächen bilanziert, die sich in der Zuständigkeit von Bau- und Kommunalreferat auf stadteigenen Grundstücken befinden. Das Baureferat-Gartenbau führt hier Maßnahmen zur Bestandspflege und zur Verkehrssicherheit durch. Dennoch ist die Baumbilanz im Baureferat positiv, da mit der Umsetzung der Bebauungspläne neue Straßen mit Baumstreifen, Parks und Grünflächen, entsprechende Neupflanzungen hinzukommen.
Die gesamtstädtische Baumbilanz steht direkt in Bezug zur Wohnungsbaubilanz. München hat im Zeitraum von 2011 bis 2020 (10 Jahre) insgesamt 8.045 Wohnhäuser mit insgesamt 58.555 neuen Wohnungen hinzugewonnen (Quelle: Stat. Amt München; Bestand an Wohngebäuden und Wohnun-gen 1980-2021). Somit ist der Hausbestand um ca. 6%, der Wohnungsbestand um ca. 8% gestiegen.
Bei der Nachverdichtung im Innenbereich zur Schaffung von Wohnraum als politischem Ziel werden auch in Zukunft aufgrund der baurechtlichen Vorgaben – trotz des Engagements für baumschonende Lösungen und der Gartenstadt-Initiative (https://stadt.muenchen.de/infos/gartenstadt-muenchen.html) – Baumbestand und Baumstandorte verloren gehen. Eine funktional ausgeglichene Baumbilanz ist nur zu erreichen, wenn im Gegenzug durch den Stadtumbau unter Berücksichtigung der blau-grünen Infrastruktur neue Baumstandorte, insbesondere auf den Verkehrsflächen geschaffen werden.
Durch neue Förderprogramme für Baumpflanzungen im privaten Raum sollen in Zukunft Anreize für die Stadtgesellschaft geschaffen werden, ebenfalls einen Beitrag für mehr Bäume in der Stadt zu leisten.
Frage 3:
Schludert“ die Landeshauptstadt München beim Baumschutz? Bis wann ist mit einer Stadtratsvorlage zur Baumbilanz zu rechnen? Der Stadtrat hat in der Vollversammlung am 28.7.2021 das Referat für Stadtplanung und Bauordnung mit der Unteren Naturschutzbehörde beauftragt, jährlich einen Bericht vorzulegen (aufgeschlüsselt nach Stadtbezirken) mit Zahlen zu Fällungen, Nachpflanzungen und Maßnahmen in Zusammenarbeit mit staatlichen Stellen wie der Bayerischen Schlösser- und Seenverwaltung.
Antwort:
Die Baumbilanzen für 2021 und 2022 sowie die sonstigen Pflanzungen sind auf der Internetseite der Baumschutzbehörde abrufbar (https://stadt.muenchen.de/infos/baumschutz-muenchen) und wurden beide in der Presse veröffentlicht. Die Veröffentlichung erfolgt jeweils im ersten Halbjahr des Folgejahres.