Niedrige Impfquoten in München bei Hepatitis B und Humanen Papillomvieren (HPV) – woran liegt es?
Antrag Stadtrat Professor Dr. Hans Theiss (Stadtratsfraktion der CSU mit FREIE WÄHLER) vom 21.7.2023
Antwort Gesundheitsreferentin Beatrix Zurek:
Sie führen in Ihrer Anfrage wie folgt aus:
„In der Beschlussvorlage ‚Der Geschäftsbereich Gesundheitsschutz des Gesundheitsreferats berichtet zur allgemeinen Infektionslage‘ (Sitzungsvorlage Nr. 20-26/V 09777) schreibt das Gesundheitsreferat (GSR): ‚Bei der 2007 bzw. 2018 neu eingeführten Impfung gegen HPV für Mädchen bzw. Jungen ist die Impfquote weiterhin sehr niedrig. Bei der Impfbuchkontrolle der 6.Klassen der Münchner Schüler*innen lag diese nur bei 20,52% für eine begonnene oder vollständige Grundimmunisierung. Auch die Impfquote gegen Hepatitis B liegt bei dieser Stichprobe mit 84% unter dem Ziel einer Impfquote von 95%.‘“
Herr Oberbürgermeister Reiter hat mir Ihre Anfrage zur Beantwortung zugeleitet.
Die einzelnen Punkte Ihrer Anfrage kann ich wie folgt beantworten:
Frage 1:
Wie bewertet der Oberbürgermeister diese besorgniserregend geringen Impfquoten?
Antwort:
Eine Bewertung der Münchner Impfquoten erfordert zunächst deren Einordnung in die Rahmenbedingungen des Impfens unter Berücksichtigung der Datenlage in Deutschland.
Als Maßnahme der Prävention kommt Schutzimpfungen eine wesentliche Bedeutung für die öffentliche Gesundheit zu, wie zuletzt auch die Corona-Pandemie gezeigt hat. Die Information der Bevölkerung mit dem Ziel einer Erhöhung der Impfquoten stellt nach der gesetzlichen Konzeption (§ 20 Absatz 1 Infektionsschutzgesetz (IfSG)) eine Aufgabe von Bund, den Ländern und den Gesundheitsämtern vor Ort dar. In Deutschland existiert – anders als z.B. in Österreich – kein einheitliches umfassendes System zur Erhebung von Impfdaten in Form eines zentralen Impfregisters. Daten zu durchgeführten Impfungen werden in Deutschland folglich überwiegend dezentral und regional erhoben. Aber auch hier sind die Möglichkeiten begrenzt. So besteht für das Gesundheitsamt München keine gesetz-liche Grundlage, zu einem späteren Zeitpunkt als den Impfbuchkontrollen in der 6.Klasse den Impfstatus der Bürger*innen zu überprüfen und so aus eigenen Daten Impfquoten zu erheben. Umfassender sind die Möglichkeiten des Robert Koch-Instituts (RKI), welches gemäß § 13 Abs.5 S.1 IfSG pseudonymisierte Abrechnungsdaten niedergelassener Ärzte insbesondere zu Impfleistungen und Diagnosen impfvermeidbarer Erkrankungen erhält. Mit Hilfe dieser so genannten KV-Surveillance, welche die Leistungen gegenüber allen gesetzlich Krankenversicherten widerspiegelt, kann das RKI Impfquoten, die Häufigkeit der Inanspruchnahme von Vorsorgeuntersuchungen und Erkrankungszahlen repräsentativ für alle Bundesländer für verschiedene Altersgruppen abschätzen. Dennoch kommt auch das RKI derzeit zu der Erkenntnis, dass das Wissen zum Impfgeschehen bei jüngeren Kindern (insbesondere zum zeitgerechten Impfen), Jugendlichen und Erwachsenen sowie in Bezug auf neu empfohlene Impfungen begrenzt ist. Angesichts dieser Rahmenbedingungen ist es aktuell nicht möglich, einen unmittelbaren und vollständigen Überblick über die Impfraten in einzelnen Städten oder Regionen und Bevölkerungsgruppen zu erhalten.
Ein Vergleich mit anderen Städten und Regionen, welcher Maßstab für eine Bewertung sein kann, wird zudem dadurch erschwert, dass die von den unterschiedlichen Akteur*innen publizierten Impfzahlen nur eingeschränkt miteinander vergleichbar sind:
In Bezug auf Hepatitis B gab das Staatsministerium für Gesundheit und Pflege (StMGP) basierend auf den Impfbuchkontrollen in den 6.Klassen für Bayern für das Schuljahr 2021/2022 eine Impfquote von 83,2% an (vgl. StMGP, Gesundheitsreport Bayern 1/2023). Das StMGP verweist jedoch darauf, dass die Aussagekraft der ermittelten Quote gering sei, da sich die Zahl der eingesehenen Impfbücher aufgrund der Corona-Pandemie um 43% verringert habe und nicht einmal die Hälfte der bayerischen Gesundheitsämter während der Pandemie Impfbuchkontrollen durchgeführt hätten. Auf Bundesebene ging das RKI 2020 bundesweit von einer Impfquote von 87,3% aus (Epidemiologisches Bulletin 48/2022). Zu beachten ist, dass die im Epidemiologischen Bulletin veröffentlichten Zahlen auf Basis der Schuleingangsuntersuchungen (SEU) ermittelt wurden und somit nur begrenzt mit den bayerischen Zahlen vergleichbar sind. Dem Epidemiologischen Bulletin lassen sich für die Großstädte Berlin und Hamburg für 2020 leider keine Hepatitis-B-Impfquoten entnehmen, da Hamburg und Berlin diese nicht übermittelt haben – die SEU wurde hier wie auch in einigen Bundesländern coronabedingt ausgesetzt.In Bezug auf die Impfung gegen Humane Papillomviren (HPV) ist zu beachten, dass diese idealerweise vor Aufnahme erster sexueller Kontakte durchgeführt werden soll, die Ständige Impfkommission (STIKO) empfiehlt die Impfung daher für Mädchen und Jungen von 9-14 Jahren. Die in den 6.Klassen in Bayern gesetzlich vorgeschriebenen Impfbuchkontrollen, auf denen die vom GSR in der von Ihnen genannten Sitzungsvorlage Nr. 20-26/V 09777 genannten Zahlen basieren, betreffen in der Regel jedoch jüngere Schüler*innen von ca. 11-12 Jahren. Die Ergebnisse der Impfbuchkontrollen können deshalb keine Aussage darüber treffen, wie viele Schüler*innen sich in den höheren Schulklassen bis zum Alter von 14 Jahren noch impfen lassen. Die vom RKI auf Basis der im Rahmen der KV-Surveillance erhobenen und im Epidemiologischen Bulletin 48/2022 veröffentlichten Daten beziehen sich indes auf 15-Jährige. Für diese Personengruppe kann davon ausgegangen werden, dass die gemittelte HPV-Impfquote im Jahr 2020 bayernweit bei 28,4% lag, im Bundesdurchschnitt bei 34%. Dem Epidemiologischen Bulletin lassen sich für die Stadtstaaten Berlin und Hamburg folgende gemittelte HPV-Impfquoten entnehmen: 36,1%
(Berlin) bzw. 31,5% (Hamburg).
Auch wenn aufgrund der skizzierten verschiedenen Betrachtungszeitpunkte und Datenquellen nicht unerhebliche Unschärfen verbleiben, so zeigen die Daten, dass die in Bayern und auch in München zu verzeichnenden Impfquoten Anlass geben, die Bemühungen zur weiteren Steigerung der Impfquoten auf allen Ebenen weiter zu intensivieren.
Frage 2:
Wie stellt sich die Impfquote bei Gleichaltrigen bei den genannten Infektionskrankheiten in anderen Großstädten, im Landes- und Bundesdurchschnitt im Vergleich zu München dar?
Antwort:
Vgl. dazu die Ausführungen zu Frage 1.
Frage 3:
Vor allem die HPV-Impfung galt lange Zeit zu Unrecht als umstritten. Sieht das GSR darin einen Grund, dass die Impfquote hier besonders niedrig ist? Was kann getan werden, um speziell dieses „Impf-Hindernis“ zu beseitigen?
Antwort:
Jährlich bedürfen in Deutschland zehntausende junge Frauen aufgrund einer HPV-bedingten Krebsvorstufe (Dysplasie) einer Konisation (kegelför-miges Ausschneiden des Gebärmutterhalses). Studien zeigen, dass Frauen nach einer Konisation ein höheres Risiko für Frühgeburten haben. Dieses Risiko besteht bei jeder Schwangerschaft erneut. HPV-Impfstoffe schützen zu nahezu 100% vor einer Infektion mit den in den Impfstoffen enthaltenen HPV-Typen. Die Impfung von Jungen trägt in diesem Setting nicht nur dazu bei, dass diese im weiteren Lebensverlauf ihre Partner*innen vor HPV-bedingten Krebserkrankungen schützen kann, sondern schützt auch die Jungen selbst vor von HPV verursachten Tumoren vor allem im Mund-, Rachen-, Genital- und Analbereich. Aus wissenschaftlicher Sicht steht der Nutzen der Impfung für Mädchen wie auch Jungen somit unzweifelhaft fest, weshalb die HPV-Impfung seit 2018 für beide Gruppen von 9-14 Jahren von der STIKO als Standardimpfung empfohlen wird.
Inwieweit gegebenenfalls zu früheren Zeiten bestehende Zweifel an der Wirksamkeit der HPV-Impfung sich in den oben skizzierten Impfquoten niederschlagen, ist empirisch nicht erhoben. Es spricht – auch auf Basis der in der Corona-Pandemie gemachten Erfahrungen – indes viel dafür, dass geringe Impfquoten in aller Regel nicht monokausal zu erklären sind, sondern vielfältige, sich mit der Zeit ändernde Ursachen haben.
Diese Einschätzung stützen auch die Ergebnisse einer 2021 durchgeführten repräsentativen Studie mit dem Projekttitel „Einstellungen, Wissen und Verhalten von Erwachsenen und Eltern gegenüber Impfungen“ der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA). Ziel der Untersuchung war es u.a., Impfhindernisse und mögliche Vorbehalte gegenüber Impfungen im Kindesalter zu identifizieren. Denn gerade der Wissensstand und insbesondere die Einstellung der Eltern zum Thema Impfungen im Kindesalter sind wichtige Einflussfaktoren auf das Impfverhalten.
Frage 4:
Die HPV-Impfung ist inzwischen auch für Buben und männliche Jugendliche empfohlen. Dies ist jedoch nicht überall bekannt. Was kann getan werden um speziell diese Zielgruppe in Zukunft besser zu erreichen?
Antwort:
Das GSR unternimmt bereits jetzt im Rahmen seiner Aufgabenerfüllung Anstrengungen zur Steigerung der Impfquote, beispielsweise im Rahmen der verpflichtenden jährlichen Impfbuchdurchsicht bei allen Schüler*innen der 6.Klassen. Ziel dieser Aktion ist es, das Bewusstsein um die Bedeutung von Impfungen zu erneuern und auf Impflücken hinzuweisen. Allein im Schuljahr 2022/2023 wurden in diesem Rahmen 10.716 Impfbücher Münchner Schüler*innen der 6.Klassen überprüft. Nach Durchsicht je-des einzelnen Impfbuches erhalten die Sorgeberechtigten im Falle eines nicht den STIKO-Empfehlungen entsprechenden Impfstatus eine schriftliche Rückmeldung mit konkreten Impfempfehlungen, welche ggf. auch nicht durchgeführte HPV- oder Hepatitis B-Impfungen umfasst. Jedem Schreiben wird zudem der Flyer des Bayerischen Staatsministerium für Gesundheit und Pflege „Die HPV Impfung: Dein Schutz gegen Krebs – Informationen für Jugendliche“ beigelegt sowie der Flyer „Dein Ticket zur J1-Untersuchung – Die Vorsorge Untersuchung für Mädchen und Jungen zwischen 12 und 14“ beigelegt. Dieser soll zur ersten ärztlichen Jugendgesundheitsuntersuchung, der so genannten J1-Untersuchung, motivieren, welche auch eine Impfberatung umfasst. Insgesamt erhalten die Eltern im Rahmen der Impfbuchkontrollen somit nochmals umfassende Informationen zur Durchführung bzw. Komplettierung insbesondere auch der Hepatitis-B- bzw. HPV-Impfungen.
Doch auch ganz unabhängig von den Impfbuchkontrollen steht das GSR den Schüler*innen und darüber hinaus auch allen anderen Münchner Bürger*innen mit Rat und Tat zur Seite. So berät des Impftelefon des GSR, welches werktäglich von 11-12 Uhr unter der Nummer 089-233 66907 erreichbar ist, umfassend zu allen, besonders von der STIKO empfohlenen Impfungen. Natürlich können Impfungen auch im GSR durchgeführt werden, das Angebot ergänzt insoweit das Impfangebot der niedergelassenen Ärzteschaft.
Geplant ist weiterhin eine vermehrte Präsenz des Themas Impfen in den Social Media Angeboten des GSR.
Dass die Steigerung der Impfquoten bzw. Schließung von Impflücken auch darüberhinaus dem GSR ein sehr wichtiges Anliegen ist, zeigt auch ein kürzlich im Gesundheitsreff Hasenbergl gestartetes Pilotprojekt. Im Rahmen des Pilotprojekts sollen dezentrale Impfberatungs- und Impfangebote geschaffen werden. Perspektivisch soll das „Impfen in der Breite“ bedarfsorientiert verschiedene Destinationen und Zielgruppen umfassen. Bis zum Ende der Laufzeit (Sommer 2025) des Pilotprojekts sollen Erkenntnisse gesammelt werden, wie das Impfwissen, die Impfbereitschaft und auch die Impfquoten in jeweils impfspezifisch speziellen Zielgruppen, u.a. bei männlichen Jugendlichen, merklich gesteigert werden kann. In Bezug auf die HPV-Impfung haben zudem gerade Planungen zur Konzeption eines Aufklärungsprojektes unter Einbeziehung der STI-Beratungsstelle des GSR begonnen. Hier liegt bereits eine langjährige Expertise und Projekterfahrung insbesondere in der Arbeit mit geflüchteten jungen Menschen zum Themenkomplex sexuell übertragbarer Erkrankungen und deren Verhütung vor, worunter auch die HPV-Impfung fällt.Abhängig von der weiteren Entwicklung der genannten Projekte und der zur Verstetigung notwendigen Ressourcen wird ggf. zu einem späteren Zeitpunkt eine erneute Stadtratsbefassung erfolgen.