Lebensmittel-Rettung im Zuge der Novelle der GewAbfV: ein „Window-of-opportunity“ für den AWM und die Münchner Wirtschaft?
Anfrage Stadtrats-Mitglieder Sonja Haider, Dirk Höpner, Nicola Holtmann und Tobias Ruff (Fraktion ÖDP/München-Liste) vom 29.11.2022
Antwort Kommunalreferentin Kristina Frank:
Mit Ihrer Anfrage teilen Sie mit, dass der Umgang mit gewerblich anfallenden verpackten Bioabfällen in § 4a GewAbfV ab dem 1.5.2023 neu geregelt wird. Diese Neuregelung entspreche den Anforderungen, die für Privathaushalte bereits seit 30 Jahren gelten. Davon betroffen seien unverkäufliche Lebensmittel, die vor der Entsorgung in die Abfall-Fraktionen Bioabfall und Verpackung getrennt werden müssten.
In Ihrer Anfrage führen Sie aus, dass sich durch die Novelle eine große Chance für Abfallvermeidung und Lebensmittelrettung ergeben würde, da überlagerte Lebensmittel in Zukunft ausgepackt, ausgeleert und nach Abfall-Fraktionen getrennt gelagert werden müssten. Dies würde mit umfangreichen zusätzlichen Dokumentationspflichten einhergehen, bevor die Lebensmittel der getrennten Entsorgung zugeführt werden könnten. Sie erläutern in Ihrer Anfrage, dass aufgrund des hohen technischen und wirtschaftlichen Aufwands das Gewerbe bisher von Bioabfall-Trennung ausgenommen worden sei. Die überlagerten Lebensmittel könnten stattdessen der Lebensmittel-Rettung zur Verfügung gestellt werden und mithilfe der digitalen Nachverfolgung des MHD könnten so gute Lebensmittel rechtzeitig weitergegeben werden.
Sie fordern in Ihrem Antrag die Landeshauptstadt München dazu auf, das „Window-of-opportunity“ für den Abfallwirtschaftsbetrieb München (AWM) und die Wirtschaft zu nutzen, bevor das Fenster sich schließt. Die zuständigen Fachdienststellen wurden vom AWM um eine Stellungnahme gebeten.
Das Referat für Klima und Umweltschutz (RKU) bezieht allgemein zur Anfrage Stellung:
„Die Gewerbeabfallverordnung des Bundes beinhaltet im Wesentlichen keine absoluten Ge- und Verbote, sondern lediglich eine sog. Pflichtenkaskade, die auf jeder Stufe eine dezidierte Einzelfallprüfung und lückenlose Dokumentation erfordert. So gilt die Verpflichtung, Abfälle am Anfallort getrennt zu erfassen, die ab 1.5.2023 auch die in der Anfrage angesprochene Pflicht zur gesonderten Erfassung unverpackter und verpackter Lebensmittelabfälle und deren Verpackungsentfrachtung beinhaltet, nicht, wenn dies technisch unmöglich oder wirtschaftlich unzumutbar ist. EinFall technischer Unmöglichkeit im rechtlichen Sinne liegt zum Beispiel bei beengten Platzverhältnissen in Innenstadtlagen oder an öffentlich zugänglichen Anfallstellen vor. Fälle wirtschaftlicher Unzumutbarkeit müssen mit dezidierten Vergleichsberechnungen unterlegt werden. Konsequenz technischer Unmöglichkeit oder wirtschaftlicher Unzumutbarkeit ist, dass die Abfälle weiterhin gemischt erfasst werden dürfen und erst im weiteren Verlauf einer Aufbereitungsanlage zuzuführen sind, wobei auch für diese Verpflichtung wiederum diverse Ausnahmeregelungen bestehen.
Hieraus wird deutlich, dass keine pauschalen Aussagen zu den konkreten Verpflichtungen der Abfallerzeuger möglich sind, sondern eingehende Prüfungen des jeweiligen Einzelfalls zu erfolgen haben.“
Ergänzend dazu möchten wir Folgendes mitteilen:
Bereits vor der Novellierung der GewAbfV bestand für alle Gewerbebetriebe die Verpflichtung, Bioabfälle nach § 3 Abs. 7 KrWG getrennt von anderen Abfällen zu erfassen und einer Verwertung zuzuführen.
In der LAGA M 34 (Vollzugshinweise der Bund/Länder-Arbeitsgemeinschaft Abfall) vom 11.2.2019 und im BDE-Leitfaden zur Gewerbeabfallverordnung Stand 20.12.2019 wurde ein Entpacken der Bioabfälle zur besseren Verwertbarkeit der Bioabfälle empfohlen, wobei auf Ausnahmen bei technischer oder wirtschaftlicher Unmöglichkeit – wie vom RKU ausgeführt – hingewiesen wurde.
Die Novellierung erfolgt nun zur Verdeutlichung des Willens des Gesetzgebers und zur Anpassung an die Vollzugspraxis.
Sie bitten in diesem Zusammenhang um die Beantwortung der folgenden Fragen:
Frage 1:
Werden bereits Gespräche mit der Wirtschaft geführt, wie die Novellierung der Gewerbeabfallverordnung umgesetzt wird? Wenn ja, wer ist derzeit an den Gesprächen beteiligt?
Antwort:
Im Rahmen der personellen Möglichkeiten des RKU als Abfallrechtsbehörde erfolgen individuelle Firmenberatungen. Der AWM weist in seinem Informationsmaterial auf die gesetzlichen Verpflichtungen hin.
Frage 2:
Ist der LH München bekannt, wie viele Unternehmen betroffen sind und wie hoch das Aufkommen von verpacktem Bio-Abfall ist?
Antwort:
Weder dem AWM noch dem RKU liegen gesicherte Erkenntnisse zum Aufkommen an verpacktem Bioabfall vor. Bioabfälle sind nach den abfallrechtlichen Bestimmungen des Bundes nicht gefährliche Abfälle und unterliegen daher nicht der Nachweispflicht. Betroffen wären sämtliche Supermärkte, Lebensmittel verarbeitende/verkaufende Betriebe (z.B. Kioske, Tankstellen und Sonstige).
Frage 3:
Wie werden Unternehmen, die Lebensmittel-Rettung betreiben, von der LH München und/ oder dem AWM unterstützt? Beispielsweise finanzielle Unterstützung oder Vernetzung mit Gewerbetreibenden, die regelmäßig Lebensmittel entsorgen müssen.
Antwort:
Im vom Stadtrat verabschiedeten Zero-Waste-Konzept (Sitzungsvorlage Nr. 20-26/V 06600) wurden Maßnahmen zum Thema Lebensmittelverschwendung verabschiedet, deren Zielgruppe die Münchner Bürger*innen sind. Sobald die Zero Waste-Fachstelle voraussichtlich 2023 im Kommunalreferat eingerichtet ist, sollen unter anderem die Maßnahmen zum „Vorgehen gegen Lebensmittelverwendung nach dem Vorbild der AEZ Supermärkte“ sowie eine „Kommunikationskampagne zum Thema Mindesthaltbarkeitsdatum“ umgesetzt werden.
Das Referat für Arbeit und Wirtschaft (RAW) führt wie folgt dazu aus: „Im Rahmen eines Termins unserer Informationsveranstaltungsreihe ‚Das klimaneutrale Unternehmen‘ wird das Referat für Arbeit und Wirtschaft 2023 das Thema Circular Economy/Zero Waste behandeln. Dabei wird in Kooperation mit dem AWM auch die Novellierung der Gewerbeabfallverordnung vorgestellt.
Zudem wird im Projekt ‚ÖKOPROFIT‘, das gemeinsam vom Referat für Klima- und Umweltschutz sowie dem Referat für Arbeit und Wirtschaft getragen wird, regelmäßig im Themenfeld ‚Abfallvermeidung‘ auf die Novellierung der Gewerbeabfallverordnung eingegangen. Dies wird auch im Projekt ÖKOPROFIT München 2023/24, das turnusmäßig im Frühsommer 2023 startet, der Fall sein. Bereits in der Vergangenheit wurden im ÖKO-PROFIT-Abfallvermeidungs-Workshop den teilnehmenden Betrieben Infor-mationen von Lebensmittelretter*innen und auch entsprechende digitale Möglichkeiten wie z.B. App-Anwendungen an die Hand gegeben.“
Frage 4:
Wie und von wem wird die Umsetzung der Gesetzesnovelle kontrolliert?
Antwort:
Das RKU beantwortet diese Frage wie folgt:
„Zuständig hierfür ist das RKU als Untere Abfallrechtsbehörde. Im Rahmen der personellen Möglichkeiten des RKU erfolgen individuelle Firmenberatungen, Auswertungen von Dokumentationen sowie Vor-Ort-Kontrollen. Um den Vollzug intensivieren zu können, wurden dem RKU mit Beschluss vom 30.11.2022 (Sitzungsvorlage Nr. 20-26/V 07622) zusätzliche Stellen bewilligt. Es gilt nunmehr, diese Stellen zügig einzurichten und zu besetzen.“
Frage 5:
Ist es möglich, kurzfristig eine Informations- und Vernetzungsveranstaltung zwischen den involvierten städtischen Referaten, der Wirtschaft, dem AWM und der Lebensmittel-Rettung zu organisieren, um bei einer Win-Win-Win-Lösung zu unterstützen, bevor neue Entsorgungs-Prozesse seitens der Wirtschaft eingeführt werden?
Antwort:
Siehe Antwort auf Frage 3.
Das RKU beantwortet diese Frage ergänzend wie folgt:
„Wie bereits ausgeführt bedarf es im Vollzug der Gewerbeabfallverordnung individueller Lösungsansätze. Die Durchführung von ‚Groß- oder Sammelveranstaltungen‘ wäre daher nicht zielführend.“