Sozialer Zusammenhalt im Bahnhofsviertel V – Sicherer Drogenkonsum im Bahnhofsviertel
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Rathaus Umschau 42 / 2023, veröffentlicht am 01.03.2023
Sozialer Zusammenhalt im Bahnhofsviertel V – Sicherer Drogenkonsum im Bahnhofsviertel
Antrag Stadtrats-Mitglieder Anja Berger, Beppo Brem, Mona Fuchs, Nimet Gökmenoglu, Dominik Krause, Sofie Langmeier, Gudrun Lux, Marion Lüttig, Thomas Niederbühl, Clara Nitsche, Bernd Schreyer (Fraktion Die Grünen – Rosa Liste), Marie Burneleit, Stefan Jagel, Thomas Lechner, Brigitte Wolf (DIE LINKE. / Die PARTEI Stadtratsfraktion) und Sonja Haider, Dirk Höpner, Nicola Holtmann, Tobias Ruff (Fraktion ÖDP/München-Liste) vom 3.1.2022
Antwort Gesundheitsreferentin Beatrix Zurek:
Sie beantragen, im Bahnhofsviertel Entsorgungsmöglichkeiten für Spritzen aufzustellen, insbesondere in öffentlichen Toiletten. Des Weiteren sollen aufsuchende Sozialarbeit und eine Notschlafstelle für suchtkranke Menschen geprüft werden. Darüber hinaus soll der Oberbürgermeister beauftragt werden, sich bei der Bayerischen Staatsregierung und bei der Bundesregierung für die Einrichtung eines Drogenkonsumraums im Münchner Bahnhofsviertel einzusetzen. Die Weiterentwicklung der Angebote für suchtkranke Menschen in München ist eine Aufgabe des Gesundheitsreferats.
Ihr Einverständnis vorausgesetzt erlaube ich mir Ihren Antrag vom 3.1.2022 per Brief zu beantworten und teile Ihnen Folgendes mit:
Zunächst bedanke ich mich für die gewährte Fristverlängerung.
1. Entsorgungsmöglichkeiten für Spritzen
Auch wenn der Konsum von illegalen Drogen selbst keinen Straftatbestand darstellt, sind darüber hinaus nahezu alle Formen des Umgangs mit Betäubungsmitteln einschließlich des Besitzes strafbar. Drogenkonsum findet deshalb hauptsächlich in Privaträumen statt oder an öffentlich zugänglichen Orten, an denen das Risiko beobachtet zu werden möglichst gering ist. Das können öffentliche Toiletten sein oder Orte wie Tiefgaragen und leerstehende Gebäude, wie sie auch im Bahnhofsviertel zu finden sind. Dabei werden die Utensilien des Konsums oft liegengelassen, weil eine direkte Entsorgungsmöglichkeit fehlt oder die Personen konsumbedingt nicht zur Entsorgung in der Lage sind. Für Unbeteiligte sind dabei insbesondere liegengelassene benutzte Spritzen gefährlich aufgrund des Risikos sich zu verletzen bzw. sich darüber zu infizieren. Es wird daher nach Möglichkeiten gesucht, gebrauchte Spritzen direkt und sicher zu entsorgen.
1.1. Abwurfbehälter in öffentlichen Toiletten
Um die Einrichtung von Entsorgungsmöglichkeiten für Spritzen im Bereich des Hauptbahnhofs zu erörtern, wurden die relevanten Suchthilfeeinrichtungen um eine Einschätzung gebeten. Nach deren Erfahrung ist die Anbringung von Entsorgungsmöglichkeiten wie Abwurfbehältern für Spritzen in den öffentlichen Toiletten im Hauptbahnhof nicht zweckmäßig. Zwar haben nach Angaben des Referats für Arbeit und Wirtschaft Spritzenabwurfbehälter in Toilettenanlagen der U-Bahnhöfe zu einer deutlichen Reduzierung von Spritzenfunden geführt. Jedoch wird für die Benutzung der WC-Anlagen im Hauptbahnhof eine Nutzungsgebühr erhoben, weshalb diese von drogenabhängigen Menschen kaum in Anspruch genommen werden. Im Bereich des Hauptbahnhofs gilt zu berücksichtigen, dass intravenös Konsumierende aufgrund der häufigen Anwesenheit von Polizeikräften eher vermeiden, dort mit Spritzenbesteck angetroffen zu werden. Sollten nach der Neugestaltung des Hauptbahnhofs dort gebührenfreie Toilettenanlagen zur Verfügung stehen, wird die Anbringung von Abwurfbehältern erneut geprüft.
1.2. Abwurfbehälter im öffentlichen Raum
Das Aufstellen von Abwurfbehältern im weiteren öffentlichen Raum erscheint ebenfalls nicht geeignet. Eine zentrale Entsorgungsmöglichkeit, etwa an einer Straßenkreuzung, wird nach Einschätzung der Suchthilfe kaum genutzt werden. Zum einen besteht im Hauptbahnhofviertel die Möglichkeit, in einem Kontaktladen für drogenabhängige Menschen gebrauchte Spritzen gegen neue zu tauschen, wie unter 1.3 ausgeführt wird. Zum anderen wollen drogenabhängige Menschen nicht durch die Benutzung eines Abwurfbehälters in der Öffentlichkeit als Drogenkonsumierende erkannt werden. Zudem wird vermieden, gebrauchte Spritzen mit sich zu führen, aus Sorge, im Falle einer polizeilichen Personenkontrolle deswegen strafrechtlich belangt zu werden. Deshalb werden Injektionsmaterialien nach dem Konsum an Ort und Stelle zurückgelassen oder schnell unauffällig entsorgt.
Dem könnte mit möglichst flächendeckenden Entsorgungsmöglichkeiten begegnet werden, etwa indem öffentliche Abfallbehälter mit speziellen Entsorgungsmöglichkeiten für Spritzen versehen werden. Eine solche Lösung ist aber mit einem unverhältnismäßig hohen Aufwand verbunden, da eine große Anzahl an Abwurfbehältern beschafft sowie Wartung und Leerung langfristig gesichert werden müssten.
Eine weitere Möglichkeit bestünde in der Aufstellung von mobilen Entsorgungsmöglichkeiten in unmittelbarer Nähe zu Orten, an denen häufig Drogen konsumiert werden. Dagegen sprechen aus Sicht der Suchthilfe mehrere Gründe. Einerseits befinden sich die Orte häufig auf Privatgrundstücken, weshalb das Einverständnis der Eigentümer*innen erforderlich ist. Es ist davon auszugehen, dass dieses meist nicht gewährt wird, sondern vielmehr Anstrengungen unternommen werden, den Drogenkonsum auf dem Grundstück zu unterbinden. Andererseits macht das Aufstellen eines Abwurfbehältnisses deutlich, dass die Orte als Konsumorte bekannt sind. Das wird in vielen Fällen dazu führen, dass diese Stellen nicht mehr für den Drogenkonsum genutzt werden.
Darüber hinaus ist nach Einschätzung der Suchthilfe bei allen Varianten grundsätzlich zweifelhaft, ob die Entsorgungsmöglichkeiten aus den dargelegten Gründen überhaupt angenommen werden.
Erfahrungen aus anderen Städten bestätigen diese Einschätzung. So sind in Nürnberg seit 2017 in einem Versuch an sechs Standorten Abwurfbehälter für gebrauchte Spritzen in Betrieb. Diese befinden sich an Orten, an denen gehäuft Drogen konsumiert werden. Trotz dieser Entsorgungsmöglichkeiten werden dort zahlreiche Spritzen und andere Injektionsmaterialien im öffentlichen Raum hinterlassen. Die Stadtverwaltung Nürnberg stellt fest, dass nur ein sehr geringer Anteil der Spritzen in den Abwurfbehältern entsorgt wird. So wurden im Jahr 2022 in den sechs Abwurfbehältern 485 Spritzen entsorgt, was einer wöchentlichen Nutzung von ein bis zwei Spritzen pro Behälter entspricht.
1.3. Alternative Entsorgungsmöglichkeiten
Um die Belastung des öffentlichen Raums durch gebrauchte Spritzen möglichst gering zu halten, werden durch die Suchthilfe bereits mehrere Entsorgungsmaßnahmen durchgeführt.
Tragbare Abwurfbehälter
In den Kontaktläden für drogenabhängige Menschen werden kostenlos handliche Abwurfbehälter abgegeben. Diese sind so kompakt bemessen, dass sie bequem in einen Rucksack oder eine Handtasche passen und auch in einer größeren Jackentasche Platz finden. Die Behälter sind durchstichsicher und verschließbar. Gebrauchte Spritzen und Kanülen können darin sicher mitgeführt und der gefüllte Behälter in den Kontaktläden oder über den Hausmüll gefahrlos entsorgt werden.
Nach anfänglicher Skepsis werden die tragbaren Abwurfbehälter durch die Klientel der Kontaktläden zunehmend angenommen. Mittlerweile werden die Behälter in allen vier Münchner Kontaktläden angeboten, auch im Kontaktladen des Drogennotdiensts L43 des Suchthilfeträgers Prop e.V. in der Landwehrstraße, der hauptsächlich von drogenabhängigen Menschen besucht wird, die sich im Hauptbahnhofviertel aufhalten.
Spritzentausch in Kontaktläden
Um das Risiko der Übertragung von Krankheitserregern wie HIV oder Hepatitis-Viren beim intravenösen Drogenkonsum zu vermindern, werden in den Kontaktläden sterile Spritzen und andere Injektionsmaterialien an drogenabhängige Menschen ausgegeben.
Durch die zentrale Lage wird der Kontaktladen des Drogennotdiensts L43 von vielen wohnungslosen drogenabhängigen Menschen genutzt. Aufgrund der Bestimmungen des Betäubungsmittelgesetzes ist der Drogenkonsum im Kontaktladen untersagt. Die Einrichtung von Drogenkonsumräumen ist in Bayern nicht möglich, wie unter 4. ausgeführt wird. Dadurch sind wohnungslose Drogenabhängige gezwungen, Drogen im öffentlichen Raum zu konsumieren. Häufig geschieht das in der Umgebung des Kontaktladens.
Um der unsachgemäßen Entsorgung von Spritzen im Hauptbahnhofviertel entgegenzuwirken, bietet der Kontaktladen L43 Spritzentausch an. Dabei wird ein Set mit allen für einen intravenösen Konsumvorgang nötigen Materialien kostenlos ausgegeben, wenn dafür eine gebrauchte Spritze im Kontaktladen entsorgt wird. Ansonsten sind für ein Set Injektionsmaterialien 25 Cent zu entrichten. So wird ein Anreiz geschaffen, die Spritzen nach Gebrauch nicht am Konsumort zu hinterlassen. Dadurch konnte im Jahr 2022 eine Rücklaufquote von über 80 Prozent der ausgegebenen Spritzen erreicht werden. Weil erfahrungsgemäß davon ausgegangen werden kann, dass ein Teil der nicht zurückgegeben Spritzen mit nach Hause genommen und dort über den Hausmüll entsorgt wurde, lässt sich festhalten, dass nur ein geringer Anteil der abgegebenen Spritzen im öffentlichen Raum entsorgt wurde.
Beratung zur sicheren Entsorgung
Im Kontaktladen des Drogennotdiensts L43 und in den anderen Kontaktläden sowie durch Streetwork werden drogenkonsumierende Menschen laufend zu einem risikoärmeren Umgang mit Drogen beraten. Das umfasst sowohl Handlungsanleitungen zur Vermeidung von Drogennotfällen wie auch zur Infektionsprophylaxe. Regelmäßig wird dabei auf die sachgerechte Entsorgung hingewiesen, insbesondere darauf, dass gebrauchte Infektionsmaterialien nicht am Ort des Konsums hinterlassen werden dürfen, sondern entweder in die Kontaktläden zurückgebracht oder zumindestin einem Abfallbehälter entsorgt werden müssen. Das findet insbesondere dann statt, wenn bei der Vergabe von sterilen Injektionsmaterialien der Eindruck besteht, dass beabsichtigt wird, unmittelbar danach Drogen zu konsumieren. Gleichzeitig werden dabei die bereits erwähnten tragbaren Abwurfbehälter angeboten.
In München werden zur Infektionsprophylaxe jährlich ca. 150.000 sterile Spritzen durch die Einrichtungen der Suchthilfe ausgegeben. Nur ein kleiner Teil davon wird nach Gebrauch im öffentlichen Raum hinterlassen, die allermeisten Spritzen werden sachgerecht entsorgt. Solange drogenabhängige Menschen Drogen im Verborgenen konsumieren, wird das Hinterlassen von Injektionsmaterialien im öffentlichen Raum nicht vollständig zu verhindern sein. Dieser unsachgemäßen Entsorgung kann aber durch die beschriebenen Maßnahmen entgegengewirkt und damit zumindest zu einer Reduzierung der hinterlassenen gebrauchten Spritzen beigetragen werden. Das Gesundheitsreferat wird sich weiterhin zusammen mit den relevanten Einrichtungen der Suchthilfe mit der Thematik befassen, um die Maßnahmen zur Vermeidung von Spritzenfunden im öffentlichen Raum den Entwicklungen anzupassen.
2. Aufsuchende Sozialarbeit
Das Bahnhofsviertel wird von den Streetworker*innen der Suchtberatung des Gesundheitsreferats aufgesucht. Der Bereich Streetwork ist mit drei Personalstellen ausgestattet. Die Streetworker*innen nehmen vor Ort Kontakt zu drogenabhängigen Menschen auf, unterstützen bei akuten Problemlagen und vermitteln in spezielle Fach- und Behandlungseinrichtungen. Die Streetworker*innen helfen nicht nur bei Suchtproblemen, sondern auch in vielfältigen anderen Notlagen wie dem drohenden Verlust der Wohnung oder einer fehlenden Krankenversicherung.
Ein großer Teil der drogenabhängigen Menschen, die sich im Hauptbahnhofviertel aufhalten, befinden sich in schwerwiegenden gesundheitlichen und sozialen Problemlagen. Gleichzeitig stehen viele davon Hilfsangeboten misstrauisch gegenüber oder empfinden Scham für ihre Lebenssituation, was sie davon abhält, Einrichtungen der Suchthilfe zu nutzen. Diese Menschen werden durch Streetwork erreicht. Durch eine Haltung, die den Drogenkonsum und seine Auswirkungen als Teil der Lebensrealität suchtkranker Menschen akzeptiert und nur minimale Bedingungen für die Inanspruchnahme von Hilfe stellt, schafft Streetwork Vertrauen, das die Grundlage für Beratung und Hilfe darstellt. Das regelmäßige und verlässliche Aufsuchen der Menschen an den Orten, an denen sie ihren Alltag verbringen, ist dabei von wesentlicher Bedeutung.Die Veränderungen im Bereich um den Hauptbahnhof haben die Arbeit der Streetwork*innen des Gesundheitsreferats deutlich erschwert. Die Alkoholverbotsverordnung und die Baumaßnahmen, insbesondere am Bahnhofsvorplatz, haben zu einer Verdrängung drogenabhängiger Menschen aus der Umgebung des Hauptbahnhofs geführt. Gab es früher Treffpunkte etwa vor dem Haupteingang des Bahnhofs oder im westlichen Teil der Schützenstraße, an denen Streetwork viele drogenabhängige Menschen antreffen konnte, bewegt sich ein Teil davon nun einzeln oder in kleinen Gruppen im südlichen Bahnhofsviertel. Ein anderer Teil der Klientel von Streetwork hält sich jetzt am Sendlinger-Tor-Platz und im Nußbaumpark auf. Ein weiterer Teil hat seinen Aufenthalt in den Alten Botanischen Garten verlagert.
Für die Streetworker*innen hat sich damit der Zeitaufwand, der für das Aufsuchen der verschiedenen Treffpunkte von drogenabhängigen Menschen aufgebracht werden muss, deutlich erhöht. Um die Klientel im Umfeld des Hauptbahnhofs weiterhin in der Kontinuität betreuen zu können, die für ein erfolgreiches Arbeiten erforderlich ist, muss die Tätigkeit von Streetwork voraussichtlich an anderen Treffpunkten von drogenabhängigen Menschen reduziert werden. Aktuell ermittelt das Gesundheitsreferat, ob dadurch eine dauerhafte Versorgungslücke an anderen Orten der Stadt entsteht, und Probleme somit stärker in anderen Stadtbezirken und evtl. Wohngebieten entstehen. Sollte sich diese Vermutung nach fachlicher Prüfung und Beobachtung über weitere Jahreszeiten hinweg bestätigen, wird der Stadtrat mit diesem Thema und einem passenden Lösungsvorschlag befasst werden.
3. Notschlafstelle für suchtkranke Menschen
Der Suchthilfeträger Prop e.V. betreibt in der Nähe des Hauptbahnhofs in der Landwehrstraße eine Notschlafstelle für wohnungslose drogenabhängige Menschen. Diese bietet eine Übernachtungsgelegenheit für einen Zeitraum von bis zu drei Monaten für neun Frauen und 23 Männer. Eine Wohnmöglichkeit bietet die Notschlafstelle L43 nicht, weil der Tagesaufenthalt in den Zimmern nicht möglich ist. Die Bewohner*innen können sich tagsüber im Kontaktladen L43 aufhalten, der sich im selben Gebäude wie die Notschlafstelle befindet.
Grundsätzlich ist die Zahl der Übernachtungsplätze in der Notschlafstelle ausreichend und deckt die Nachfrage. Dennoch kommt es immer wieder zu Engpässen bei der Aufnahme, weil viele das Übernachtungsangebot für die maximale Unterbringungsdauer von drei Monaten nutzen, obwohl dies eigentlich die Ausnahme darstellen sollte. Der Grund dafür liegt darin, dasses für wohnungslose, schwer drogenabhängige Menschen kaum geeignete dauerhafte Wohnangebote gibt. Eine Miet- oder Sozialwohnung zu erhalten, ist für diesen Personenkreis aufgrund der großen generellen Nachfrage und der Anforderungen eines Mietverhältnisses nahezu aussichtslos.
Zwar betreibt der Suchthilfeträger Condrobs e.V. mit dem Suprima Wohnheim in Neuperlach eine Wohneinrichtung für drogenabhängige Menschen mit 20 Plätzen. Der sozialtherapeutische Ansatz der Einrichtung mit Tages- und Wochenstrukturierung sowie therapeutischen Einzelgesprächen und Gruppensitzungen kann für die Bewohner*innen die Grundlage für eine Suchttherapie bilden, stellt aber für einen großen Teil der Klientel der Notschlafstelle eine zu hohe Anforderung dar.
Auch in die Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe sind schwer drogenabhängige Menschen kaum zu vermitteln. Die langjährige, teils chronifizierte Suchterkrankung und die von Wohnungslosigkeit und Armut geprägte Lebenssituation erschweren eine suchttherapeutische Behandlung oder eine Substitutionsbehandlung und führen dazu, dass diese Menschen regelmäßig Drogen konsumieren. Das verhindert in vielen Fällen eine Unterbringung in Wohneinrichtungen, weil dort die Sorge besteht, dass nach der Aufnahme in der Einrichtung Drogen konsumiert und gehandelt werden und daraus strafrechtliche Probleme für den Einrichtungsträger erwachsen.
Ein niedrigschwelliges, dauerhaftes Wohnangebot für wohnungslose, schwer drogenabhängige Menschen mit bestehendem Drogenkonsum fehlt in München. Eine für diesen Personenkreis geeignete Wohneinrichtung muss ein selbstständiges Leben im eigenen Wohnbereich ermöglichen und Unterstützungsmöglichkeiten bieten, die nicht Voraussetzung für die Nutzung der Wohnung sind. Ein solches Wohnangebot kann nur durch die Suchthilfe und die Wohnungslosenhilfe gemeinsam geschaffen werden. Das Gesundheitsreferat steht dazu seit Längerem im Austausch mit dem Sozialreferat, aber neben den Kosten und der fehlenden Immobilie steht vor allem der bisher kaum überwindbare Aspekt des verbotenen Konsums innerhalb einer Einrichtung und die daraus folgende Strafbewehrung für den Einrichtungsträger entgegen.
4. Einrichtung eines Drogenkonsumraums im Münchner Bahnhofsviertel
In Bayern ist aufgrund der geltenden gesetzlichen Bestimmungen der Betrieb von Drogenkonsumräumen nicht möglich. Für eine solche Einrichtung ist nach § 10a Betäubungsmittelgesetz eine Erlaubnis der zuständigenobersten Landesbehörde erforderlich. Die Voraussetzung für das Erlaubnisverfahren ist eine Verordnung der zuständigen Landesregierung. Für Bayern liegt eine solche bislang nicht vor.
Die Vollversammlung des Stadtrats hat in der Sitzung vom 24.10.2018 das Gesundheitsreferat beauftragt, ein Konzept für ein Modellprojekt einer medizinischen Ambulanz für drogenabhängige Menschen zu entwickeln. Gleichzeitig wurde der Oberbürgermeister beauftragt, sich bei der Bayerischen Staatsregierung für den Erlass einer Rechtsverordnung zum Betrieb von Drogenkonsumräumen einzusetzen (Sitzungsvorlage Nr. 14-20/V 12149).
Ein erstes Schreiben von Oberbürgermeister Dieter Reiter an das Bayerische Staatsministerium für Gesundheit und Pflege (StMGP) blieb unbeantwortet. Am 29.1.2021 wandte sich der Oberbürgermeister erneut per Schreiben an das StMGP. Dieses Schreiben wurde durch Staatsminister Klaus Holetschek am 26.3.2021 beantwortet und das Anliegen abgelehnt, eine Möglichkeit zur Einrichtung eines Drogenkonsumraums in München zu schaffen.
Am 22.3.2022 wandte sich Bürgermeisterin Verena Dietl an das Bundesministerium für Gesundheit, mit der Bitte, durch eine Änderung des Betäubungsmittelgesetzes die Einrichtung von Drogenkonsumräumen zu erleichtern. Im Antwortschreiben verwies das Bundesministerium für Gesundheit auf die Gesetzgebungskompetenz der Länder. Zu mehreren Anlässen haben sich Bürgermeisterin Dietl sowie Gesundheitsreferentin Beatrix Zurek öffentlich und gegenüber politischen Mandatsträger*innen dazu geäußert, dass die Stadt München einen Drogenkonsumraum dringend benötigt. Das Anliegen wird auch intensiv von Trägern der Freien Wohlfahrtspflege verfolgt.
Um Kenntnisnahme der vorstehenden Ausführungen wird gebeten. Ich gehe davon aus, dass die Angelegenheit damit abgeschlossen ist.