Münchner Stadtmuseum restituiert spätmittelalterliche Apostelfigur
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Rathaus Umschau 90 / 2023, veröffentlicht am 11.05.2023
Das Münchner Stadtmuseum restituiert eine spätmittelalterliche Apostelfigur an die Erben des Münchner Antiquars Jacques Rosenthal (1854–1937). Recherchen des Stadtmuseums in Kooperation mit dem Zentralinstitut für Kunstgeschichte kamen zu dem Ergebnis, dass die Figur Jacques Rosenthal 1938 verfolgungsbedingt entzogen worden war. Die Rückgabe erfolgt auf der Grundlage der „Washington Principles“, zu denen sich die Landeshauptstadt München bekannt hat. Sie verpflichten Museen und Sammlungen dazu, ihre Bestände auf NS-verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut zu prüfen und dies gegebenenfalls an die rechtmäßigen Eigentümer*innen bzw. deren Nachfahren zurückzugeben und eine „faire und gerechte Lösung“ zu finden.
Das Münchner Stadtmuseum hatte die Figur eines Apostels am 2. Dezember 1938 auf einer Auktion des Münchner Kunstversteigerungshauses Adolf Weinmüller erworben. Der Apostel war im Auktionskatalog mit dem Einlieferer-Kürzel „R. in M.“ ausgewiesen. Untersuchungen haben nun ergeben, dass die Skulptur einst Eigentum des als jüdisch verfolgten Münchner Buchantiquars Jacques Rosenthal war.
Jaques Rosenthal stammte aus einer international berühmten Dynastie von jüdischen Buch- und Kunstantiquaren. Zu seiner Kundschaft gehörten nicht nur Sammler*innen, Händler*innen und Bibliothekar*innen, sondern auch König Ludwig II.; der geschäftliche Erfolg spiegelte sich u.a. in dem Bau eines imposanten Wohn- und Geschäftshauses in der Brienner Straße 47 (heute 26). Seit den 1910er Jahren unterstützte der Sohn Erwin Rosenthal (1889–1981) seinen Vater in der Leitung des Geschäfts. Seit Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft 1933 war die Familie Rosenthal antisemitisch motivierten Angriffen ausgesetzt, durch die der Geschäfts- betrieb erheblich litt. Im Juli 1935 sah sich die Familie gezwungen, das Haus an die Deutsche Arbeitsfront zu verkaufen. Wenig später folgte der Ausschluss aus der Reichskammer der Bildenden Künste, was einem Berufsverbot gleichkam. Die Inhaber wurden aufgefordert, das Geschäft zu schließen und die Bestände innerhalb von vier Wochen zu veräußern. Erwin Rosenthal verkaufte daraufhin das Antiquariat an seinen Mitarbeiter Hans Koch und emigrierte im März 1936 nach Florenz. Seine Eltern Jacques und Emma Rosenthal wohnten fortan im Münchner Palast-Hotel Regina, wo Jacques Rosenthal im Oktober 1937 starb. Zwischen 1936 und 1938 wurde ein Großteil ihrer Kunstsammlung über die Kunsthandlung Julius Böhler und das Kunstversteigerungshaus Adolf Weinmüller zum Verkauf angeboten, darunter auch die nun restituierte Apostelfigur: Sie war im September 1938 vom Münchner Stadtmuseum bei Weinmüller erworben worden.
Der NS-verfolgungsbedingte Entzug der Apostelfigur konnte mithilfe der Expertise der Kolleg*innen aus dem Forschungsprojekt „Rekonstruktion der privaten Kunstsammlung von Jacques, Emma und Erwin Rosenthal“ am Zentralinstitut für Kunstgeschichte in München zweifelsfrei nachgewiesen werden. Durch die Vermittlung des Holocaust Claims Processing Office (HCPO) in New York entstand ein vertrauensvoller Dialog mit den Nachfahren der Familie Rosenthal, sodass die Restitution sowie der anschließende Rückkauf der Figur vereinbart und damit eine „faire und gerechte Lösung“ im Sinne der „Washington Principles“ umgesetzt werden konnte. Der Rückkauf wird durch den Verein Freunde des Münchner Stadtmuseums ermöglicht.
Weitere Informationen zum Forschungsprojekt am Zentralinstitut für Kunstgeschichte finden sich unter http://www.zikg.eu/forschung/projekte/projekte-zi/rekonstruktion-der-privaten-kunstsammlung-von-jacques-emma-und-erwin-rosenthal.